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Ausbildung statt Bildung - Zur Zerstörung des humanistischen Bildungsideals
GESELLSCHAFT | DEBATTE (15.06.2006)
Von Robert Laude
Die derzeitige Ökonomisierung der deutschen Hochschulen bedeutet eine Abkehr von der jahrhundertealten Tradition der Universität als Bildungseinrichtung.

Das deutsche Hochschulwesen steht vor tief greifenden Veränderungen. Wie scheinbar ja alles in diesem Land, so sind auch die Universitäten dringend reformbedürftig. Jeder Student kennt das aus eigener Erfahrung: Überfüllte Hörsäle, fehlende Dozenten, schlechte Ausstattung und die Angst vor Studiengebühren im Nacken, um nur die gängigsten Probleme zu nennen. Doch um die richtigen Lösungsansätze braucht nicht mehr gestritten werden, so scheint es. Politik und Wirtschaft haben die Weichen längst gestellt. Bekannte Floskeln und Leer-Begriffe weisen auch hier den Weg: Deregulierung, Privatisierung, Verschlankung, höhere Eigeninitiative und Selbstfinanzierung, Wettbewerb, Elitenförderung.

Studiengebühren sollen die prekäre Finanzlage der Universitäten, vor allem aber auch der Landeshaushalte, verbessern. Eine Verschulung des Studiums durch die überall eingeführten Bachelor- und Master-Studiengänge sollen die Studenten zu schnelleren Abschlüssen führen. Um die Studieninhalte konsequent an den angeblichen Erfordernissen des Arbeitsmarktes auszurichten, bekommt die Wirtschaft nun auch das Sagen an den Universitäten, siehe das geplante ?Hochschufreiheitsgesetz' (allein der Name eine Perversion) in Nordrhein-Westfalen.
Ein zentraler Bestandteil dieses neuen Gesetztes ist die Einrichtung eines demokratisch nicht legitimierten Hochschulrates, einer Art Aufsichtsrat über die Uni. Besetzt werden soll dieses Gremium, das über weitreichende Entscheidungskompetenzen verfügt, vor allem mit Personen aus der Wirtschaft.

Dann dürfte es vorbei sein mit dem hohen Gut der Bildung, das nun zur Ware gemacht wird, dann verkommt die bisherige Bildungsstätte Universität zur reinen Ausbildungsstätte. Doch wo liegt der Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung? Und warum ist dieser bedeutsam?

B. Krause

Soziale Selektion wird es nicht nur wegen der Einführung von Studiengebühren geben, sondern auch wenn das HFG (von manchen auch Hochschulfremdbestimmungsgesetz genannt) durchgesetzt wird. (c) B. Krause

Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung

Eine Ausbildung bereitet einen auf eine relativ klar definierte Aufgabe vor. Das Wissen, das zur Durchführung der angestrebten Tätigkeit nötig ist, wird vermittelt. Nicht weniger, aber auch nicht viel mehr. Unter Bildung hingegen wird ein umfassenderes Wissen verstanden. Doch das umfassende Wissen allein reicht nicht aus, um den Bildungsbegriff zu bestimmen. Vielmehr umfasst Bildung mehr, nämlich auch das Vermögen, mit dem gewonnenen Wissen auf eine bestimmt Weise umzugehen; Wissen nicht nur anzuhäufen, sondern sich durch das Wissen bilden zu lassen, sich immer wieder zu verändern. Eine Ausbildung hat einen Nutzen, Bildung ist ein Wert an sich. Anders ausgedrückt: "Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden - wir streben danach, auf eine bestimmt Weise in der Welt zu sein." [1]

Bildung ist also kein Endzustand, sondern ein Prozess, der darauf ausgelegt ist, die Welt und damit auch uns selber zu verstehen. Es geht also grundsätzlich und abstrakt um eine Abstimmung zwischen uns und der Welt, in deren Verlauf sich beide verändern.

Wilhelm von Humboldt, der große Gelehrte und Hochschulreformer, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland die moderne Universität einführte, war ein Verfechter des humanistischen Bildungsideals, nach dem der Mensch nur durch Bildung zu sich findet. Bildung so verstanden bedeutet einen Wert an sich, der weit über das Ziel, vorwiegend an der praktischen Nützlichkeit orientiertes Wissen zu vermitteln, hinaus reicht und vielmehr an der Herausbildung der eigenen Identität und der Ermöglichung von Selbstverwirklichung orientiert ist.

"Die Bestimmung des Menschen und den Zweck aller Bildung erblickt Humboldt gleichermaßen jenseits einer bloßen Anpassung des Menschen an die vorgegebene Ordnung der Welt wie jenseits einer bloßen Steigerung menschlicher Macht und Herrschaft." [2]

Bildung so verstanden, bedeutet also die Befähigung zu einem selbstbestimmten Leben. Bildung bedeutet Freiheit, die aber auch in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden soll.

Doch welche Facetten verbergen sich hinter dem allgemeinen Begriff ?Bildung'? Was genau macht Bildung so wichtig? Warum hilft Bildung uns, Mensch zu werden? Vielleicht erhellen ja die im Folgenden stichwortartig und keinesfalls umfassend zusammengetragenen Aspekte diese Fragen. [3]

Bildung

- hilft uns selber und die Welt zu verstehen und damit auch unseren Platz in dieser Welt
- macht neugierig auf die Welt in all ihren Facetten
- hilft uns die Grenzen und Beschränkungen unseres Wissens und Verstehens aufzuzeigen
- ermöglicht es uns, andere Perspektiven anzuerkennen und den eigenen Standpunkt zu überdenken, möglicherweise auch zu revidieren
- schütz vor oberflächlichen Erklärungen, will zum Kern der Sache vordringen
- hilft, sich ein eigenes, unabhängiges Urteil über etwas zu bilden und gewohnte Sichtweisen und Antworten in Frage zu stellen
- relativiert den eigenen Blick auf die Dinge und fordert dazu heraus, sich die Beschränkungen der eigenen Weltsicht deutlich zu machen und diese immer wieder mit neuem Wissen abzugleichen
- gibt Sicherheit und Orientierung
- ist kein bloßes Anhäufen von Faktenwissen, um bei ?Wer wird Millionär?' zu glänzen, sondern verändert den Gebildeten, macht ihn reicher, lässt ihn sich und seine Umwelt klarer erkennen
- fördert Toleranz und Respekt vor dem Anderen
- steigert sinnliche Erfahrungen; macht sie tiefer, wertvoller, da nuancierter bewertet und verglichen werden kann
- macht sensibel für Ungerechtigkeiten, Verlogenheiten, Beschönigungen und Unfreiheit

Kurzsichtiger Bildungsabbau

Neben den Schulen sollte besonders die Universität eine Heimstätte bieten, um sich frei bilden zu können. In Humboldts Konzeption der modernen Universität sollte diese frei sein von Einmischungen des Staates und der Ökonomie. Die Einheit und Freiheit von Lehre und Forschung steht im Mittelpunkt. Nicht am unmittelbaren Nutzen für den Staat, die Wirtschaft oder das praktische Leben allgemein sollten die Bildungs- und Forschungsbemühungen orientiert sein. Vielmehr sollte das Ziel, weit reichende, interdisziplinäre, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, die dann direkt oder indirekt zukünftig der ganzen Gesellschaft dienlich sein können, im Zentrum stehen.

Doch für die Ausbildung dieses oben idealtypisch formulierten Bildungsbegriffs braucht man neben guten Lehrern, die auf der einen Seite Fakten vermitteln, auf der anderen Seite aber auch zum eigenständigen, kritischen Denken auffordern und anregen, und einer diesem Prozess zuträglichen Atmosphäre auch einfach Zeit und die Möglichkeit zur Reflexion; Zeit zum Nachsinnen und Lesen, zum Entwerfen, Durchdenken und auch Verwerfen von Ideen; Zeit, um über den Tellerrand des eigenen Fachs zu schauen und andere Eindrücke und Erkenntnisse aufzunehmen. Ob dies in den zukünftigen Schmalspurstudiengängen möglich sein wird, ist jedoch mehr als fraglich.

Wenn allein kurzfristige Interessen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes an den Universitäten Priorität bekommen, wenn Forschungsinteressen sich nur nach der möglichst schnellen und profitablen Vermarktung richten, wenn gesellschafts- und kulturwissenschaftliche Fächer kaputt gespart werden, dann mag sich das kurzfristig auszahlen, auf lange Sicht aber werden die Folgen für den so gerne zitierten ?Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland' gravierend sein. Darin sind sich die meisten Bildungsexperten einig.

Bewusster Antihumanismus

Also stellt sich die Frage nach der Motivation des geplanten Bildungsabbaus jenseits aller fiskalischen Zwänge. Sollte es vielleicht gewissen, in diesem Land tonangebenden Gruppen gar nicht ungelegen kommen, wenn im oben genannten Sinne Gebildete durch lediglich Ausgebildete ersetzt werden? Wie sonst ist es zu erklären, dass im geplanten ?Hochschulfreiheitsgesetz' für NRW folgender, im alten Hochschulgesetz noch vorhandener, Absatz ersatzlos gestrichen wird?

"Sie [die Universitäten] wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei. [?] Sie setzen sich im Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den möglichen Folgen einer Verbreitung und Nutzung ihrer Forschungsergebnisse auseinander." [4]

Stattdessen lautet die Aufgabe der Universitäten nun lapidar:

"Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten im In- und Ausland vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern." [5]

Eine andere Erklärung, als die bewusste, zielgerichtete Zerstörung der humanistischen Tradition der Universitäten, bleibt kaum noch. Doch damit schneidet man sich ins eigene Fleisch, wenn nicht heute, dann morgen.



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[1] "Wie wäre es gebildet zu sein?" Festrede von Prof. Dr. Peter Bieri, Bern November 2005. Online unter: http://www.phbern.ch
[2] Dietrich Benner: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Weinheim und München, 2., korrigierte Auflage 1995
[3] Eine ausführlichere und elegantere Aufschlüsselung des Bildungsbegriffs findet findet sich der Rede des Berliner Philosophieprofessors Peter Bieri, s.o.
[4] §3 Abs.1 Hochschulgesetz NRW vom 30.11.2004 http://www.innovation.nrw.de/Hochschulen_....html
[5] §3 Abs. 1 Regierungsentwurf des Hochschulfreiheitsgesetzes NRW vom 30.05.2006.

Weiterführende Links
http://www.innovation.nrw.de/Hochschulen...freiheitsgesetz.htmlRegierungsentwurf des Hochschulfreiheitsgesetzes NRW
   













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