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Versenkte Milliarden und eine verseuchte Bucht
WIRTSCHAFT | THYSSEN-KRUPP IN BRASILIEN (19.12.2013)
Von Nico Drimecker
Das Stahlwerk von Sepetiba ist ein Problemwerk. Es beschert seinem Eigentümer, dem deutschen Konzern ThyssenKrupp, finanzielle Verluste in Milliarden-Höhe. Doch damit nicht genug: Das Werk droht Anwohner in den Bankrott zu treiben und deren Gesundheit zu ruinieren.

ThyssenKrupp

Das Stahlwerk in der Bucht von Sepetiba kostet den Konzern Milliarden und den Menschen, die in der Nähe leben, ihre Gesundheit. (c) ThyssenKrupp

ThyssenKrupp wird seit Jahren von Krisen getrieben. Die größte verursacht das Stahlwerk TKCSA in Brasilien: Acht Milliarden Euro Verlust lassen auch einen Stahlriesen wie ThyssenKrupp nicht kalt. Mehrere Vorstandsmitglieder mussten ihren Stuhl räumen. Härter aber trifft es die Menschen, die in der Nähe des Werkes leben. "Das Areal um TKCSA gehört zu den schmutzigsten Orten Brasiliens", sagt der Südamerika-Experte Christian Russau.

70 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt dampft das Stahlwerk. Es steht in der Bucht von Sepetiba. Bau und Betrieb versprachen Tausende Arbeitsplätze. Der Stahlkocher sollte die Wirtschaft des Schwellenlandes und der Region ankurbeln, den Wohlstand der Menschen steigern. "Es gab damals viele Fotos von ThyssenKrupp-Menschen mit brasilianischen Politikern", sagt Christian Russau. Russau ist Autor für verschiedene Portale und Publikationen über Lateinamerika, besonders Brasilien, und er arbeitet für
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Der Journalist Christian Russau dokumentiert die Probleme in der Bucht von Sepetiba. Der Aktivist Russau demonstriert dagegen. (c) FDCL

Verein Kooperation Brasilien (KoBra). "KoBra vernetzt im deutschsprachigen Raum Brasiliengruppen, engagierte Einzelpersonen und Organisationen, die sich solidarisch mit den sozialen Bewegungen in Brasilien für eine gerechtere Welt einsetzen", heißt es auf der Homepage des Vereins. Christian Russau kämpft gegen das Stahlwerk von ThyssenKrupp. Er selbst nennt sich Journalist, ist für mich aber mehr Aktivist. Das erste Mal traf ich ihn in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin auf einer Diskussion über Menschenrechtsverletzungen für den Bau von Staudämmen in Brasilien. Ein anderes Mal auf einer Demonstrationen gegen Großprojekte vor der brasilianischen Botschaft in Berlin. Zusammen mit anderen Demonstranten trug er ein Banner: "Keinen Profit auf Kosten von Amazonas und Menschen".

Verschwundene Ärzte und Anwälte

Russau ist einer von den Guten. Und ThyssenKrupp? Im Fall des brasilianischen Werkes waren "Fehlplanung, Gier und Verantwortungslosigkeit" (DIE ZEIT) an der Tagesordnung. Nicht nur, dass die Anlage Verluste beschert. Sie bringt viele Menschen in der Umgebung um ihre Gesundheit. Rund 6000 Familien sollen betroffen sein. Bis zu 19 Jahre Haft droht einer Handvoll deutscher und brasilianischer Manager, wenn sich herausstellt, dass ThyssenKrupp wissentlich gegen Umweltvorschriften verstoßen hat. Ärzte und Anwälte, deren Gutachten die Gesundheitsprobleme der Anwohner bestätigten, sollen zum Teil verschwunden oder abgeschoben worden sein. Christian Russau, der sich vor Ort umgesehen hat und seine Eindrücke in einem 30-seitigen Dossier mit dem Titel "Schlacke und Staub" (pdf) schildert, fordert eine "notariell beaufsichtigte Untersuchung".

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Seit das Stahlwerk dampft, klagen die Anwohner über gesundheitliche Probleme. Sie protestieren gegen ThyssenKrupp und fordern, das Werk zu schließen. (c) FDCL

Im Juni 2010 ging der erste Hochofen des brasilianischen Stahlwerkes in Betrieb. Zwischenzeitlich erhöhten sich die CO2-Emissionen der 12-Millionen-Metropole Rio de Janeiro um 50 Prozent. Immer wieder steigt Staub in den Himmel auf und fällt mit dem Regen auf die Erde. Die Anwohner sprachen anfangs vom "Silberregen". Auf den Dächern, Trinkwassergefäßen, Baumblättern, auf der Haut und überall sonst blieben schimmernde Partikel zurück. Die Stiftung Oswaldo Cruz analysierte den Staub und entdeckte darin das giftige Metall Mangan. ThyssenKrupp behauptet, der Staub enthalte nur Graphit, und das gefährde die Gesundheit nicht.
Mit diesem Argument will sich der deutsche Politiker Uwe Kekeritz nicht beschwichtigen lassen. "Ich weiß nicht, warum man Menschen einem Graphitregen aussetzen sollte", sagt der Grüne Bundestagsabgeordnete, der in der vergangenen Legislaturperiode als Vorsitzender des Unterausschusses "Gesundheit in Entwicklungsländern" aktiv war. Wie Russau besuchte auch er die Bucht von Sepetiba und traf auf Menschen, die an Atemproblemen leiden und einen Mundschutz tragen. Andere klagen über Hautausschlag und Augenreizungen.

Verseuchtes Meerwasser

Grund für den Staub sind technische Mängel an den Hochöfen - das ist die Gier: Der Konzern verzichtete beim Bau auf einen bewährten Partner, beauftragte stattdessen eine chinesische Firma, die billiger war. So nahm das Desaster seinen Lauf. Aber die Verschmutzung regnet nicht nur vom Himmel herab. Sie schwimmt auch im Meer. So wurde extra ein Hafenbecken für das Stahlwerk ausgehoben. Giftige Abfälle, die in den Achtzigern durch eine Zinkgewinnungsanlage der Companhia INGA am Meeresboden abgelagert wurden, kamen dabei wieder an die Oberfläche und kontaminierten das Wasser. Die Fischer machten weniger Fänge.
5763 Fischer haben sich für eine Sammelklage zusammengeschlossen. Sie fordern Entschädigungen. Doch welcher Fischer in der Bucht hat über seine Fänge Buch geführt? Sie sagen zwar, dass sie bis zu 80 Prozent ihres Ertrages wegen der Verschmutzung einbüßten, doch belegen können sie es nicht.
Und ThyssenKrupp hält dagegen. In einem Brief an einen Bundestagsabgeordneten, der iley vorliegt, behauptet der Konzern, dass "Anstrengungen" unternommen würden, "um Flora und Fauna in der Bucht zu schützen". Dazu gehöre die Entgiftung des Meeresbodens. Das Institut TuTech der Universität Hamburg-Harburg, das im Auftrag von Thyssen-Krupp mit einer Studie über die verseuchten Sedimente beauftragt wurde, "bestätigt ein deutliches Anwachsen der Artenvielfalt".

Stahlwerk in Alabama abgestoßen

Das Stahlwerk ist nicht nur eine Drecks-, sondern auch eine Kostenschleuder. Mehr als acht Milliarden Euro hat das Werk in Brasilien gekostet. Mit dem zweiten Sorgenkind im Hause ThyssenKrupp, einem Werk im US-Bundesstaat Alabama, standen 13 Milliarden Euro auf der Soll-Seite. Für beide Anlagen suchte ThyssenKrupp händeringend Abnehmer und wurde jüngst für das Werk in Alabama fündig. Für 1,1 Milliarden Euro übernahmen der transnationale Konzern ArcelorMittal und der japanische Konzern Nippon Steel & Sumitomo Metal Corporation das Stahlwerk in den USA. Rund fünf Milliarden Euro Schulden hat ThyssenKrupp nun noch in den Büchern stehen. Die Einbußen der Fischer und die erkrankten Anwohner tauchen in der Unternehmensbilanz nicht auf.
Nicht zuletzt spielt auch der brasilianische Staat eine wichtige Rolle pro ThyssenKrupp. Das Unternehmen musste beim Bau keine Gewerbesteuer zahlen und erhielt einen zinsvergünstigten Kredit. Geld von ThyssenKrupp floss auch - an die brasilianische Umweltbehörde (INEA), wie eine ARD-Reportage zeigt. Die INEA soll das Stahlwerk kontrollieren. Der Aufsichtsbehörde kann niemand vorwerfen, sie mache ihren Job nicht. Sie hat dem Konzern Auflagen und Strafen erteilt. Aber: Würde die INEA energischer handeln, wenn nicht zuvor zwei Millionen Euro den Besitzer gewechselt hätten? "Da geht es auch um Entwicklungsglauben", sagt Katja Maurer von der Hilfsorganisation Medico International. "Dass nur mit Großindustrie der Aufstieg in die sogenannte Erste Welt gelingen kann."

Die Verantwortlichen suchen das Weite

Wikipedia

Gerhard Cromme, Ex-Vorstand bei ThyssenKrupp, ist mitverantwortlich für die Sorgen von Sepetiba. (c) Wikipedia

Von denen, die für das Desaster verantwortlich sind, sitzt heute keiner mehr im Vorstand des Stahlriesen aus Deutschland. Mit Gerhard Cromme räumte Ende März 2013 der letzte Zeuge der Gier und Fehlplanung seinen Posten. Vor ihm verließen schon Karl-Ulrich Köhler, ehemaliger Chef der Stahlsparte, und der ehemalige ThyssenKrupp-Vorstandsvorsitzende Ekkehard Schulz den Konzern. Bei ThyssenKrupp verwischen die Spuren. Jeder, der Verantwortung tragen müsste, hat das Weite gesucht, und der Konzern wäscht sich rein.

Christian Russau schließt sich den Anwohnern an, die sagen: Das Stahlwerk muss schließen. Am besten sofort. Spätestens seit dem 2. Dezember stehen die Chancen dafür aber schlechter denn je. Teil des Geschäfts zwischen ThyssenKrupp und ArcelorMittal ist auch ein Vertrag, der langfristige Lieferungen vom Stahlwerk in Rio de Janeiro nach Alabama beinhaltet. Mit einem solchen Vertrag könne man eine "wertsichernde Lösung für das brasilianische Stahlwerk" erreichen, schrieb die dpa. Russau fürchtet, dass der Streit zwischen dem Konzern und den Anwohnern noch lange dauern könnte. "Thyssen hat schon einmal einen Prozess über 22 Jahre hingezogen."

Die Anwohner der Bucht haben bereits Ideen, wie das Areal - ist es einmal sauber - genutzt werden könnte. Sie erstellten ein Konzept, wie das Gelände künftig ökologisch genutzt werden könnte. Diese Idee vom "Öko-Campus" ist ein Vorschlag für die Schublade, wie es scheint.
   




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