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Gestatten, Gronausaurus!
KULTUR | ENTDECKUNG IM MUSEUM (03.06.2013)
Von Michael Billig
Ein Berliner Forscher hat einen phänomenalen Fund gemacht. Er hat eine neue Saurier-Art aufgespürt - im Geomuseum Münster. Dort musste das Urwesen rund 100 Jahre lang auf seine Entdeckung warten. Das Skelett wurde zwar schon 1912 aus einer Tongrube geborgen, dann aber einer anderen Gattung zugeordnet und mit falscher Identität ausgestellt.

MfN Berlin

Der Forscher Oliver Hampe hat den Gronausaurus entdeckt. So wie auf dem Bildschirm rechts könnte der Schwimmsaurier ausgehen haben. (c) MfN Berlin

Oliver Hampe, Experte für urzeitliche Meeresreptilien am Naturkundemuseum in Berlin, deckte diesen Irrtum jetzt auf. "Das Skelett war noch nie wissenschaftlich bearbeitet worden", sagt er. Hampe holte nach, was jahrzehntelang versäumt wurde. Er unterzog die Überreste des Sauriers einer genauen Untersuchung und stellte fest, dass er es mit einem weltweit einzigartigen Exemplar zutun hat. Der Forscher taufte die bis dahin unbekannte Spezie Gronausaurus wegneri.
"Der Name geht zurück auf den Fundort und den Entdecker", erklärt Markus Bertling, Leiter des Geomuseums in Münster. Als Entdecker gilt der Paläontologe Theodor Wegner. Wegner hatte das Skelett vor exakt 101 Jahren aus einer Tongrube im münsterländischen Gronau gerettet. Schädelfragmente, Wirbel, Rippenstücke sowie Teile des Beckens und der Flossen waren über Jahrmillion von der Erde konserviert worden. Der Steinbruch in Gronau gilt unter Paläontologen als Schatzgrube für die Erforschung der Urzeit. Dort förderten sie Fischfossilien, Schildkrötenreste, Hai- und Krokodilzähne zutage. "In derselben Grube hatte Theodor Wegner zwei Jahre zuvor einen anderen Saurier gefunden", erzählt Bertling. Wirbeltier-Experte Wegner habe den ersten Fund als eigene Art bestimmt und ihn nach dem bekannten deutschen Paläontologen Wilhelm von Branca benannt: Brancasaurus brancai.

Im Depot verschwunden

Der gleiche Fundort und die Ähnlichkeit der Knochen führten zu der Annahme, dass es sich bei dem zweiten Saurier um dieselbe Gattung handelt. "Wir waren davon ausgegangen, dass es ein zweiter Brancasaurus ist", sagt Museumsleiter Bertling. Er spricht bei beiden Urwesen noch heute von "Brüdern". Zwar vermutete bereits Mitte der 1990er Jahre ein Wissenschaftler, dass bei dem zweiten Exemplar womöglich eine andere Saurier-Art vorliegt. Doch machte sich niemand die Mühe, diese Zweifel wissenschaftlich zu überprüfen. So blieb die wahre Identität des Gronausaurus im Verborgenen. Als Brancasaurus schmückte er die Ausstellung - bis das Museum im Jahr 2007 wegen Sanierung geschlossen wurde und der Saurier im Depot verschwand.
Hampe

Lange Zeit verkannt: Die Überreste des Gronausaurus. (c) Hampe

Erst Oliver Hampe holte das Skelett wieder hervor. Er sagt, dass schon Entdecker Wegner in seinen Aufzeichnungen bezweifelt hatte, dass es sich tatsächlich um die Überreste eines Brancasaurus handelt. "Allerdings nur in einem Satz", relativiert Hampe. Doch dieser Satz und ein flüchtiger Blick auf die Knochen reichten dem Saurier-Forscher aus Berlin. Hampe ahnte, dass hier etwas im Dunkeln lag. Er beschloss, den eingemotteten Zeugen der Urzeit genau unter die Lupe zu nehmen. Besonders die Wirbel beschäftigten ihn. "Markant sind die sich unterhalb der Querfortsätze der Brust- und Rückenwirbel befindlichen Gruben", sagt Hampe. Es sind nur Details, die den Gronausaurus von seinem "Bruder" unterscheiden. Doch für Paläontologen sind sie ausschlaggebend, um eine neue Spezie zu bestimmen. Hampe schließt aus der Form der Wirbel, dass der Gronausaurus über eine starke Rückenmuskulatur verfügte und besonders gut durchs Wasser manövrieren konnte. "Er war ein Unterwasser-Flieger", sagt Hampe.
Der Gronausaurus lebte zur frühen Kreidezeit vor rund 137 Millionen Jahren in küstennahen Gewässern, etwa einem Fluss-Delta. Das verraten die Ablagerungen an den Knochen. "Mikroorganismen und Muscheln zeigen, dass es auf jeden Fall Brackwasser war". Dort machte der Räuber Jagd auf andere Tiere. "Er hat ein typisches Fisch-Fresser-Gebiss", so der Experte.

Paddelförmige Flossen

Auch wenn das Skelett nicht vollständig ist, wagt Hampe eine vorsichtige Angabe zur Größe des Schwimmsauriers aus Gronau. "Ich schätze, er war drei bis dreieinhalb Meter lang." Damit zählt der Gronausaurus zu den kleineren Exemplaren der sogenannten Plesiosaurier. Kennzeichnend für diese Gruppe ausgestorbener Meeresreptilien sind paddelförmige Flossen, ein langgestreckter Hals und ein im Verhältnis dazu kleiner Kopf. Ausgewachsene Plesiosaurier erreichten eine Körperlänge von bis zu 15 Metern.
Dass 100 Jahre ins Land gehen mussten, ehe jemand den Gronausaurus identifiziert, erstaunt Museumsleiter Markus Bertling kaum. "Die Masse unserer Funde ist noch unbestimmt", sagt der Paläontologe. Auch für Oliver Hampe ist die späte Entdeckung nicht ungewöhnlich. Erst in jüngerer Vergangenheit seien aus dem großen Fundus der Tendaguru-Expedition, die zwischen 1909 und 1913 tonnenweise Dinosaurier-Knochen aus Afrika ins Berliner Museum für Naturkunde geliefert hatte, neue Arten bestimmt worden, erzählt der Wissenschaftler. Der britische Paläontologe Michael J. Benton schätzt, dass allein die Gesamtzahl aller Dinosaurier-Gattungen bei rund 1800 liegt. Davon wurde bislang rund ein Drittel wissenschaftlich bestimmt.
   



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