Geburtshelferinnen vom Aussterben bedroht
WIRTSCHAFT | TEURE HAFTPFLICHT FÜR HEBAMMEN (02.03.2014)
Von Sylvia Nübel | |
Hebamme ist einer der ältesten Berufe der Welt, doch in Deutschland sieht die Zukunft der Geburtshelferinnen düster aus. Immer weniger können sich die hohen Beiträge zur Berufshaftpflicht leisten. Und ohne Versicherung keine Geburtshilfe. Nun hat ein großer Versicherer angekündigt, ganz aus dem Geschäft auszusteigen. Hebamme - ein Beruf ohne Zukunft? (c) Hartmut910/pixelio.de Zum Vergleich: Der Beitrag für Hebammen, die keine Geburtshilfe anbieten, lag ab 2012 bei verhältnismäßig moderaten 362,95 Euro, für im Krankenhaus fest angestellte Hebammen bei 377,23 Euro und bei im Krankenhaus in der Geburtshilfe tätigen Hebammen, die auch freiberuflich (ohne Geburtshilfe) arbeiten, bei 500,99 Euro. Stundenlohn von 7,50 Euro Dem gegenüber stehen die Einnahmen. In Vollzeit tätige freiberufliche Hebammen erzielten im Jahr 2007/08 durchschnittlich 23.300 Euro im Jahr, von denen sämtliche laufenden Kosten sowie Ausgaben wie etwa Weiterbildungen und Fahrtkosten finanziert werden mussten. Eine Hebamme, die etwa Beruf und Familie vereinbaren will, kann nur eine begrenzte Anzahl von Geburtsbegleitungen annehmen. Die Natur ist unberechenbar und der Zeitpunkt einer natürlichen Geburt immer ungewiss - so gehört eine 24-stündige Rufbereitschaft der Hebamme selbstverständlich zur Geburtsbegleitung dazu. Diese wird aber nicht berechnet, so dass man sie als kostenlosen Service sehen kann - für viele bei den hohen Kosten für Versicherung nicht mehr tragbar. Nach Abzug aller Kosten kommt eine selbstständige Hebamme im Durchschnitt auf einen Stundenlohn von 7,50 Euro. Im Krankenhaus angestellte Hebammen haben einen Verdienst, der in etwa dem einer Krankenschwester entspricht. Obwohl den Hebammen schon im Jahr 2007 von der damaligen schwarz-roten Bundesregierung eine zweistufige Vergütungserhöhung zugesagt wurde, wurden diese Versprechungen nur bedingt eingehalten. Die erste Erhöhung um 6,5 Prozent wurde zwar realisiert, doch mit der Argumentation der schlechten finanziellen Situation der Krankenkassen wurde im zweiten Schritt die Vergütung statt um 12,5 lediglich um 2 Prozent erhöht. Die Anzahl der freiberuflichen Hebammen, die geburtsbegleitend tätig sind, sank schließlich innerhalb von zwei Jahren von 25 auf 21 Prozent. Damit bieten derzeit rund 3.500 (freiberufliche) Hebammen Geburtshilfe an. Zurzeit ist es vor allem die Zukunft der Hebammen, die deutschlandweit diskutiert wird. In der Geburtshilfe tätige Ärzte - insbesondere Belegärzte - stehen aber ebenfalls vor dem Problem der wachsenden Versicherungsprämien. Das hat zur Folge, dass die Zahl der Belegärzte in der Frauenheilkunde und der Geburtshilfe zwischen 1991 und 2010 von 1.569 auf 919 sank. Gleichzeitig stieg zwar die Zahl der festangestellten Ärzte in dem Bereich allerdings im Gegenzug dazu stark an. Dennoch ist Geburtshilfe für eine Klinik wegen der Versicherungsbeiträge ein Verlustgeschäft und so wundert es nicht, dass vor allem kleinere Kliniken überlegen, ihre Geburtsstationen zu schließen. Mutter und Kind verdanken ihr Glück nicht selten der Betreuung einer Hebamme. (c) m.g./pixelio.de Wieso aber dieser drastische Beitragsanstieg? Eine Hebamme haftet 30 Jahre, wenn bei der Geburt etwas schief geht. Dieses Risiko muss erst einmal von einer Versicherung abgedeckt werden - und das kostet. Lagen die Kosten für einen einzelnen Schadensfall laut der Deutschen Ärzteversicherung im Jahr 1998 noch bei durchschnittlich 340.000 Euro, beliefen sie sich 2008 schon auf rund 2,9 Millionen Euro. Die Ursache liegt zum einen darin, dass die Behandlung und Pflege von Betroffenen immer vielfältiger, langwieriger und damit vor allem teurer wird. Zudem sorgt die Tatsache, dass Kranken-, Pflege- und Rentenkassen Regressansprüche stellen können - was sie in den letzten Jahren auch getan haben - für erhebliche Mehrkosten. Nun hat die Nürnberger Versicherung angekündigt, sich zum 1. Juli 2015 aus dem Konsortium zurückzuziehen, das heutzutage Hebammen die einzige Versicherungsmöglichkeit bietet. Wenn sich die verbleibenden zwei Versicherer bereit erklären sollten, Hebammen auch weiterhin zu versichern - was ohnehin schon unwahrscheinlich ist - so kann man mit einer weiteren, massiven Kostenerhöhung rechnen. Im Grunde wird ab dem Zeitpunkt keine ausreichende Versicherung für Hebammen mehr in Deutschland existieren und Anfragen bei ausländischen Versicherern haben bisher zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt. Dies kommt einem Berufsverbot gleich, denn Hebammen haben dann keine Möglichkeit mehr, sich gegen Schadensersatzforderungen abzusichern. Betroffen davon sind nicht nur freiberufliche Hebammen - der gesamte Berufsstand ist bedroht. Die meisten Hospitäler und Kliniken sind im Bereich der Geburtshilfe unterversichert. Dort angestellte Hebammen müssten mit ihrem Privatvermögen haften, so dass auch hier eine Berufshaftpflichtversicherung unverzichtbar ist. DIE Ansprechpartner für Eltern Was bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft? Dazu muss man sich anschauen, was Hebammen heute eigentlich alles leisten. In vielen Artikeln liest man zurzeit davon, dass man als Frau keine Wahlmöglichkeit des Geburtsortes mehr hat - Hausgeburten und Geburten in Geburtshäusern würden in naher Zukunft unmöglich werden. Dies aber betrifft nur rund 2-4 Prozent der Schwangeren, da das Gros der zukünftigen Eltern heutzutage in Kliniken entbindet. Sicherlich ist dieses Argument nicht unwichtig, doch man sollte sein Augenmerk auch auf die ganzen anderen Tätigkeitsbereiche einer Hebamme legen. Viele werdende Eltern entscheiden sich dafür, die nötigen Vorsorgeuntersuchungen sowohl durch den Frauenarzt als auch durch die Hebamme durchführen zu lassen - es ist heute oft üblich, dass Ärzte und Hebammen Hand in Hand arbeiten. Für (werdende) Eltern sind Hebammen wertvolle Begleiter und Ansprechpartner. (c) JMG/pixelio.de Ob im Krankenhaus oder Hausgeburt - eine normale Geburt findet eigentlich nicht ohne Hebamme statt. Ohne Hebamme können wir uns in Zukunft darauf gefasst machen, dass eine Geburt "geplanter" absolvieren zu müssen - wie auch sollen die Ärzte die Aufgaben der Hebammen übernehmen und die im Normalfall stundenlang andauernden Geburten lückenlos betreuen? Kaiserschnitte sind eh schon auf dem Vormarsch, so lassen sich Geburten noch besser in kurzen Zeiträumen abwickeln. Hat man die Geburt erfolgreich hinter sich gebracht, beginnt die Zeit des Wochenbettes. Man kommt mit einem kleinen Bündel heim und das ganze Leben verändert sich. Die Hebammen stehen frischgebackenen Eltern in der Anfangszeit zur Seite, helfen ihnen, den Alltag zu meistern und bei eventuell auftauchenden Problemen. Sie dokumentieren in den ersten Wochen jede einzelne Entwicklung des Neugeborenen und können bei Auffälligkeiten schnell handeln. Auch die Gesundheit der Mutter liegt in ihren Händen. Vom Babyblues über ausgewachsene Wochenbettdepressionen bis hin zu Stillproblemen - eine Hebamme erkennt meist kleinste Veränderungen und Probleme und kann eingreifen und so schlimme Folgen verhindern. Wer soll in Zukunft diese Aufgaben übernehmen? Ohne Hebamme kann eine umfassende Wochenbettbetreuung von Kind und Mutter nur durch Kinder- und Frauenärzte durchgeführt werden. Das würde nicht nur steigende Kosten für Krankenkassen zur Folge haben, da die Gebühren für Ärzte weitaus höher sind als für Hebammen - es ist schlichtweg nicht machbar! Deutschlandweiter Protest und Lösungsvorschläge Infolge der Ankündigung der Nürnberger Versicherung hat sich ein deutschlandweiter Elternprotest entwickelt, um die Parteien und Politiker für die Problematik zu sensibilisieren und Maßnahmen von Seiten der Politik zu fordern. Ein Herz für Hebammen: Gegen das drohende Aussterben der Geburtshelferinnen hat sich wie hier in Bonn Protest formiert. (c) Christina Heßling Auf Elternbriefe erhält man von den verschiedenen Parteien und Abgeordneten die einhellige Meinung, dass man sich des Problems durchaus bewusst sei und man sich selbstverständlich dafür einsetzen würde, eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe zu gewährleisten und für eine angemessene Vergütung zu sorgen. Nach dem enormen Zuspruch, den eine Petition zur Rettung des Hebammenberufs ausgelöst hat, hat sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe von der CDU am 18. Februar mit Vertreterinnen der fünf Hebammenverbände getroffen. Es konnte jedoch kein konkreter Maßnahmenkatalog entwickelt werden. Dabei gibt es vielversprechende Lösungsansätze, die in die Diskussionen einbezogen werden können. Dazu wird auch ein Blick über die Staatsgrenzen hinaus auf die Systeme anderer Länder geworfen. Eine staatliche Übernahme der Versicherung gehört genauso zu den Ideen wie die Bildung eines staatlichen Fonds, durch den Geburten abgesichert werden. Des Weiteren besteht in Bezug auf die Gebühren der Hebammen durchaus auch die Bereitschaft bei den Eltern, sich - wie z.B. auch bei Kindergärten und Kindertagesstätten üblich - an den Kosten zu beteiligen. Inzwischen ist in Düsseldorf der "Runde Tisch Geburtshilfe in NRW", der "tragfähige Konzepte zur Sicherung und zum Ausbau der Hebammenhilfe in der Geburtshilfe und der Begleitung junger Familien in NRW" erarbeiten will, zusammengekommen. Unterdessen läuft die Petition, die bislang mehr als 300.000 Menschen unterzeichnet haben, weiter. So kritisch die Situation zurzeit aussieht, so hat es ein Gutes: nun kann die Chance genutzt werden, um endlich eine längst überfällige und vor allem nachhaltige Lösung für das Versicherungsproblem der Hebammen zu finden. Die Politiker geraten in Zugzwang und es ist unstrittig, dass das Problem schnellstmöglich angegangen werden muss, denn eines ist ganz klar: auf Hebammen kann auch in Zukunft nicht verzichtet werden. |