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Wohnungen als Ware
WIRTSCHAFT | IMMOBILIENMARKT (29.06.2013)
Von Sebastian Müller
Seit etwas mehr als zehn Jahren rollt eine Privatisierungswelle ehemals öffentlich geförderter Wohnungen durch die Republik. Wohnungen verkommen zu Spekulationsobjekten auf dem Finanzmarkt. Banken feiern Kreditorgien. Und völlig überschuldete Immobilienhändler sparen an der Wohnsubstanz und erhöhen die Mieten.

M. Billig

Schöner wohnen? Wohnungen werden zu Spekulationsobjekten. (c) M. Billig


Die Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus, die seit der Finanzmarktöffnung durch die rot-grüne Bundesregierung um das Jahr 2000 herum von der internationalen Immobilienfinanzwirtschaft aufgegriffen wird, erweist sich als ein Auslöser aktueller Kreditorgien, bei denen es um Hunderte und Tausende von Wohnungen und um viele Millionen und Milliarden Euro geht. Gerade in der Globalisierung der Immobilienwirtschaft geht es nun nicht mehr um Wohnen als einer Art Gegensatz zur Arbeit, also um Selbstverwirklichung, Freizeit und so fort, sondern um die Geld- oder Vermögenswerte, die als Kredit, Beteiligung, Hypotheken oder Hypothekenderivate am Kapitalmarkt gehandelt werden.
Seit etwa zehn Jahren rollt eine Privatisierungswelle ehemals öffentlich geförderter Wohnungen von bisher ungesehener Gewalt durch die Republik, bei der Werkswohnungsunternehmen, Städte und Bundesländer und auch die Bundesrepublik mit einer Reihe von ihr kommandierter Wohnungsgesellschaften wie denen von Bahn und Post oder von der Deutschen Treuhand skrupellos mitmachten, so dass von 1999 an bis heute geschätzte 900.000 bis 1,2 Millionen solcher Wohnungen die Besitzer wechselten.
Im Ruhrgebiet ist die Privatisierungswelle besonders gut zu besichtigen, weil hier zusätzlich zu den Wohnungen aus öffentlichen Händen auch die gesamten Berg- und Stahlarbeiterwohnungen des 20. Jahrhunderts verkauft wurden. Das war ein gewaltiger Schritt vorwärts in der systematisch betriebenen Erodierung der staatlich-öffentlichen Wohnungswirtschaft und ihrer Umwandlung zu einer Quelle des Profits für den privaten Sektor, der hier parasitär aus dem öffentlichen Sektor erweitert wird.

Milliarden-Deals

Bei dem Verkauf der 130.000 Wohnungen der VEBA/Viterra/EoN im Ruhrgebiet für 6,2 Milliarden Euro war klar, dass es sich um die Einverleibung dieser Wohnungsunternehmen samt der Wohnungen, die sie bewirtschaften, in die Finanzindustrie handelte. Die Deutsche Bank bejubelte die Finanzarchitektur des 2006 abgeschlossenen Deals als ganz außerordentlich innovativ. Die Käuferin, die Deutsche Annington, war Tochter einer britischen Annington, die das erforderliche Geld für den Kauf nur durch auf den Tisch legen konnte, dass dahinter ein Anlagenfonds mit Hunderten von dickeren Geldgebern gestellt wurde und der Kauf über einen Riesenkredit von 4,7 Mrd. mehrerer großer Investitionsbanken, federführend die Barclays in London, gestützt werden konnte.
Nach demselben Schnittmuster werden auch 2012 und 2013 die Aufkäufe von 21.000 Mietwohnungen des Landes Baden-Württemberg (LBBW) und 33.000 Wohnungen des Landes Bayern (GBW) finanziert sein, deren Gesamtwert zusammen 3,89 Milliarden Euro beträgt. Diese Deals machte das angeblich bodenständige Immobilienunternehmen Patrizia GmbH aus Augsburg. Ein Etikettenschwindel. Es waren Fondskonstruktionen, in denen Patrizia Konsortiumführerin ist. Für Bayern bildeten siebenundzwanzig, für Baden-Württemberg elf institutionelle Investoren die Fonds.

Hartmut910/pixelio.de

Werkswohnungen: Im Ruhrgebiet lässt sich die Privatisierungswelle besonders gut beobachten. (c) Hartmut910/pixelio.de

Ungebremste Kredite

Die Wohnungsfonds schieben große Schuldenlasten vor sich her und versuchen, sie durch Erhöhung von Mieten und durch Vernachlässigung der Wohnungsbestände zu verringern. Mindestens die Zinszahlungen decken die Mieten sowieso ab. Die Verschuldung der Fonds ist erheblich. Die Banken haben schon vor der Finanzmarktkrise 2008 den Immobilienfirmen so viele Kredite bewilligt wie sie wollten. Sie tun es anscheinend jetzt ungebremst wieder. Dadurch steigt der Fremdkapitalanteil auf ungeahnte Höhen - eine Verschuldung, die schon einigen das Genick gebrochen hat.
Als besonders hoch verschuldet gilt die Bonner IVG. Das Unternehmen steht bei den Banken mit 4,8 Milliarden Euro in der Kreide. Die Schulden machen inzwischen 72 Prozent der Bilanz aus. Auch bei der Gagfah sieht es gefährlich aus. Sie schiebt einen Schuldenberg von 5,7 Milliarden vor sich her. Der Verschuldungsgrad beträgt 67 Prozent. Auf die üblichen Quartalsdividenden mussten die Anleger schon einmal seit Anfang 2011 verzichten. Auch von der TAG-Immobilien, die Ende letzten Jahres 11.000 Wohnungen der Treuhand von der Bundesregierung kaufen konnte und zugleich die Länder Brandenburg und Berlin durch einen legalen Steuertrick um die Grunderwerbssteuer prellte, wurde schon 2011 berichtet, dass sie Mitte des Jahres einen Schuldenstand von 1,1 Milliarden Euro erreicht hatte.

Mieter sind die Verlierer

Das Aufbauen solcher Schuldenberge hat offensichtlich System. Es manövriert die Kredite gebenden Banken in eine zentrale Steuerungsfunktion, die mit den Private-Equity-Fonds Synergien eingehen, und entwickelt die Hochfrequenzfinanzmarktjonglage mit undurchsichtigen Finanzinnovationen weiter, samt der semikriminellen Entwicklung von Steueroasen in der City of London bis zu den Cayman Islands und der Auslagerungen von Vermögen und Aktivitäten dorthin. Finanzmarktinnovationen kommen schneller auf den Immobilienmarkt als Regulierung und Aufsicht schauen können. Hedgefonds arbeiten daran, die Zahl der Finanztransaktionen im Computerhandel von derzeit 250.000 auf 400.000 pro Sekunde zu erhöhen.
Da scheint sich die Wohnung als Wirtschaftsgut, das als besonders bodenständig, kulturverhaftet und lokal bestimmt gilt, in seiner Finanzialisierung durch Kredit und Banken von diesen Ortsverhaftungen zu befreien. Das geringe Interesse der Private-Equity-Investoren am Objekt der Investition, mangelhafte Lage- und fehlende Wohnungsverwaltungskenntnis oder die ortsferne Mieten- und Objektverwaltung, die immer wieder zu Fehlern führen, scheinen ebenfalls für eine solche These zu sprechen. Trotzdem stimmt sie nicht, schaut man genauer hin. Einerseits wird jeder größere Zahlungsausfall am Wohnort aufgrund von Mietminderung, Mietstreik, größeren oder längeren Leerstand schnell den Nachschub für den Bankenzins und dann die Tilgung blockieren und damit erst den Kredit der Bank und schließlich die Bank selber vor Existenzfragen stellen. Andererseits schlägt jede Finanzmarkt- und Bankenkrise, jede Pleite eines Wohnungsfonds auf die Mieter am Ort der Wohnungen durch. Sie werden vom Insolvenzverwalter als Teil einer Konkursmasse begriffen und entsprechend mäßig oder schlecht behandelt und in eine Abwärtsspirale der Lebensqualität in der Mietsache oder der Wohnungssubstanz gedreht.
Die Monopolpreisbildung des Bodens wird sofort wieder wirksam. Diese Monopolpreisbildung des Bodens hat aber entscheidende stadt- und raumstrukturierende Wirkung. Diejenigen, die am meisten für einen bestimmten Ort bezahlen können, schließen andere mit geringerer Zahlungsfähigkeit von diesem aus. Auch das ist im Ruhrgebiet gut zu sehen. Man liegt nicht falsch damit, die Autobahn A 40 nicht nur als Autoverbindung zwischen dem Osten und dem Westen des Ruhrgebiets zu sehen, sondern auch als Sozialäquator zu begreifen. Südlich davon liegen in der Regel die Wohn- und Arbeitsorte der wohlhabenderen Schichten, nördlich davon die der unteren Einkommensklassen und der Armen - im Übrigen auch die Masse der Finanzinvestorenwohnungen.

Ökonomischen Einfluss zurückdrängen

privat

Der Autor Sebastian Müller ist Soziologe, Planungs- und Wohnungswissenschaftler. Er lebt in Dortmund. (c) privat

Wohnungspolitik darf sich aber nicht auf eine Mieter-, Mieten- und Mietrechtspolitik und eine ausgleichende städtische Bodenpolitik beschränken, um dem privaten Profit aus der Bodenrente und der sozialen Segregation Schranken zu setzen. Sie muss Niedrigeinkommensbezieher mit Wohnungen versorgen.
Sie darf nicht in den Schrei nach mehr Mietwohnungen einstimmen, solange nicht darüber Klarheit geschaffen ist, für welche soziale Schicht und wo gebaut wird, wie eine gemeinnützige Bewirtschaftung aussieht und wie die Miete und Energiekosten für das Neubauen gedeckelt werden.
Sie darf sich nicht begnügen, rebellisch Freiräume für besondere Wohnformen und Sozialmodelle einzufordern und auf deren staatliche Förderung zu pochen, so bedeutsam besondere Formen der Wohnfreiheit und vor allem das kommunitäre Zusammenwohnen und -wirtschaften für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft sind. Aus diesen Freiheitsbedürfnissen und sozialen Ansprüchen an das Wohnen speist sich viel Widerstand dagegen, Wohnungen zur Ware zu erniedrigen.
Es muss in der deutschen Wohnungspolitik auch darum gehen, einfache Bestandswohnungen aus dem privaten Bestand, gerade auch aus dem finanzialisierten Bestand, herauszulösen - womit auch immer, durch Geld, durch Gesetz oder durch Enteignung. Und es muss der politische und ökonomische Einfluss des Finanzmarkt- und Bankensektors wieder zurückgedrängt werden. Steuerschlupflöcher müssen gestopft, eine straffe Regulierung des Hypotheken- und Hypothekenhandelsmarktes muss international durchgesetzt werden. Verschuldungsgrenzen in der Immobilienfinanzierung beim Kauf von Wohnungsunternehmen müssen eingeführt und radikal niedrig angesetzt werden. Hedgefonds sind von der Immobilienfinanzierung auszuschließen. Private-Equity-Fondskonstruktionen sind durch die staatliche Bankenaufsicht einer Berichtspflicht zu unterwerfen und in jeder Hinsicht permanent zu prüfen und zu regulieren.

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Der Beitrag ist in ähnlicher Fassung in der Zeitschrift Amos erschienen, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Thema "Wohnen im Ruhrgebiet" auseinandersetzt. Das Onlinemagazin iley und das Printprodukt Amos kooperieren auf unbestimmte Zeit. Die Idee: Onlineartikel gehen bei Amos in den Druck und ausgewählte Printartikel wandern bei iley ins Netz.
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