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Mitfahrer lenken selbst
REISE | CAR-POOLING MIT BERLINSHUTTLE (06.11.2013)
Von Nico Drimecker
Ein kleines Verkehrsunternehmen aus Berlin macht Bahn, Fernbussen und Mitfahrzentralen Konkurrenz. Das Besondere: Die Fahrgäste sitzen selbst am Steuer.

Drimecker

Maximilian Zielosko (c) Drimecker

Auf einem DIN-A-4-Blatt hakt Maximilian Zielosko Namen ab. Zielosko vermietet Kleinbusse. BerlinShuttle heißt sein Unternehmen, Prinzip und Ablauf ähneln einer Mitfahrgelegenheit. Nur stellt er keinen Fahrer, sondern überlässt das Auto der Gruppe. "Ich bin eine Autovermietung", sagt der 28-Jährige. "Ich biete meine Fahrzeuge zur Miete an, damit andere Leute eine Fahrgemeinschaft bilden."
Neun junge Männer und Frauen, Studentenalter, stehen im Kreis um ihn herum und warten auf Kugelschreiber-Häkchen an ihren Namen. Dann können sie ihr Gepäck in den Kofferraum verstauen, auf der Klappe liegen Decken und Nackenkissen.

Nervige Mitfahrgelegenheiten

Die Idee entstand, als Zielosko für sich selbst nach alternativen Reise-Möglichkeiten suchte. Mitfahrzentralen hatte er satt. Erfahrene Nutzer wie er haben einfach schon zu viel durchgemacht: zu viert im Twingo sitzen und den Kopf einziehen, weil ein Snowboard quer im Fahrgastraum steckt; bangen um das eigene Leben, weil der Fahrer im klapprigen Bus seines nicht angemeldeten gewerblichen Personenbeförderungsunternehmens rasant fährt, während er unentwegt in eins seiner zwei Handys spricht oder tippt; warten, obwohl schon 20 Minuten zuvor das Handy vibrierte und eine SMS behauptete, "bin gleich da".

Viermal täglich zwischen Hamburg und Berlin

Mit zwei Renault-Bussen gründete Zielosko im Mai dieses Jahres sein kleines Verkehrsunternehmen - ein sogenanntes Car-Pooling-Konzept, so wie das der Mitfahrgelegenheit. Beim Car-Pooling sitzen die Nutzer gemeinsam im Auto, beim Car-Sharing nicht, sie nutzen es nacheinander.
Für die Finanzierung erhielt Jungunternehmer Zielosko einen EU-Gründungskredit. Mitte August kaufte er zwei weitere Busse. Viermal täglich pendeln sie heute zwischen Hamburg und Berlin. Obwohl schon in seinem Businessplan für den Kredit-Antrag stand, dass er sich mehr als zwei Busse anschaffen wolle, um rentabel zu wirtschaften, sagt er: "Es hat besser angefangen, als ich es mir vorgestellt hatte."

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Günstig und kuschlig von Berlin nach Hamburg. (c) Drimecker


Treffpunkt Tankstelle

An der Spree - um genau zu sein: am Treffpunkt Jannowitzbrücke - riecht es nach Benzin. Die Mitfahrer sind abgehakt und sitzen im roten Renault, als ein zweiter grauer aufs Tankstellengelände biegt. Kein hübscher Treffpunkt, aber wer einmal auf einer schmutzigen Holzbank am 50 Jahre alten ZOB in Charlottenburg saß, von wo die Fernreisebusse starten, hat gegen eine moderne Tankstelle kaum Einwände.
Seit dem 1. Januar 2013 dürfen Fernbusse durch Deutschland fahren. Sie machen wegen ihrer günstigeren Tarife vor allem der Deutschen Bahn Konkurrenz. Bei MeinFernbus.de kostet eine Fahrt, etwa an einem Freitag, gebucht zwei Tage vorher, zwischen 15 und 27 Euro, bei Flixbus zwischen 19 und 23 Euro. Mit dem ICE von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof fährt man zwar fast doppelt so schnell (1 Stunde, 42 Minuten), zahlt aber in diesem Beispiel 62 oder 76 Euro ohne Bahncard.

Liberalisierung des Fernverkehrs

Zielosko glaubt, dass die Liberalisierung des Fernverkehrs gut für sein Geschäft ist: "Die Leute gucken sich wieder mehr um, wie sie reisen können." Der Jungunternehmer hat für die Strecke Berlin-Hamburg einen Fixpreis von 16 Euro pro Mitfahrer. "Den möchte ich auch halten." BerlinShuttle soll erschwinglich bleiben. Wer sich bei der Buchung auf der Internetseite bereit erklärt, den Wagen zu fahren, zahlt nur 5 Euro.
"Es gibt Leute, die Sharing und Pooling rein aus Kostengründen nutzen, und andere, die es aus Nachhaltigkeitsmotiven tun", sagt Thomas Wagner vom Collaborating Centre of Sustainable Consumption and Production (CSCP). Wagner analysiert gemeinschaftliche Nachhaltigkeitskonzepte und entwickelt Vorschläge, nachhaltige Ideen mit Unternehmensstrategien zu verknüpfen. Nachhaltig, das wäre etwa das Schonen der Umwelt. Dieser Gedanke könne eben auch eine Rolle spielen. Allerdings gibt Thomas Wagner zu bedenken, dass eine Idee an sich nicht nachhaltig ist, es komme auf das Nutzerverhalten an. Wenn durch Car-Pooling viel mehr Leute mehr verreisen, könnte letztlich mehr CO2 in die Luft geblasen werden.

Im Wettbewerb mit Mitfahrzentralen

Die größte Konkurrenz für sein Car-Pooling-Modell sieht Zielosko in den Mitfahrzentralen. Deren Nutzer sind seine Zielgruppe. Bei dem bekanntesten deutschen Portal für Mitfahrgelegenheiten, mitfahrgelegenheit.de, hat man vor einigen Monaten einen Schritt zur Weiterentwicklung gemacht und ein verpflichtendes Buchungssystem eingeführt. Damit zahlen Mitfahrer im Voraus, zum Beispiel via Paypal. Das ist eine Sicherheit für den Fahrer, der dafür 11 Prozent des Betrags an die Betreiber der Seite abführt. Das Buchungssystem erzieht die Nutzer somit zum verlässlichen Verhalten. Dadurch, dass Zielosko das Auto zur Verfügung stellt, ist es definitiv da. Keine Absage. Fällt ein Fahrer aus, stellt der Unternehmer einen, oder es findet sich spontan einer aus der Gruppe.

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Um rentabel zu werden, muss auch der Fahrplan stimmen. (c) Drimecker

Ein Angestellter von Zielosko erklärt dem Fahrer des Busses, wie er fahren soll: 120 bis 130 km/h, keine ausschweifenden Pausen, Pinkeln und vielleicht kurz Rauchen, dann bitte weiter. Um rentabel zu werden, muss auch der Fahrplan stimmen. Zwei Stunden und 45 Minuten sind für die Fahrt angesetzt. Führerschein- und Personalausweisnummer werden notiert, der Fahrer unterschreibt, dann bekommt er den Schlüssel.
Wenn andere Zugriff auf etwas haben sollen, muss es einen Eigentümer geben. Vier Busse hat Maximilian Zielosko, zwei weitere kauft er demnächst. "Wenn sich das Wertesystem von Eigentum und Besitz auflockert, ist die Share Economy mehr als ein Trend", sagt Thomas Wagner. Aber es gebe weder "das eine Konzept" noch "den einen Verbraucher". Nicht jeder möchte am Steuer sitzen.

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