Die 41-Euro-Sünde
REISE | DURCHGERECHNET (06.10.2010)
Von Martin Kintrup | |
Im vergangenen Jahr habe ich mir einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Für Juni hatte ich mit einer Freundin eine Reise auf die Azoren gebucht, zwei Wochen Wanderurlaub. Was mich dort plagte, war mein Klimagewissen. Es war eine ziemlich aufwändige Anreise: Erst mit dem Auto von Münster zur Freundin nach München, dann in den Flieger nach Lissabon und schließlich noch mal zwei Stunden Weiterflug zur Insel Terceira im Atlantik. Vor Ort haben wir vier der neun Azoreninseln besucht, was stundenlange Fährfahrten nötig machte. Ach ja, und weil es auf den Inseln fast keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, haben wir uns für die 14 Tage einen Mietwagen gegönnt. So wurde der Urlaub zu einer wahren Odyssee, entschädigte jedoch durch wunderschöne Eindrücke. Aber mich plagte schon auf den Azoren mein Klimagewissen. Als Landschaftsökologe sind mir die Zusammenhänge von Flugreisen, CO2-Ausstoss und Klimaveränderung bewusst. Trotzdem hatte ich dieses Thema bei Urlaubsreisen immer vernachlässigt, ja eigentlich sogar ignoriert. Ich führe schließlich sonst ein CO2-sparsames Leben und besitze nicht einmal ein Auto. Die Urlaubslektüre verstärkte meinen Schuldkomplex. In „Öko“ schildert Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur der TAZ, seine Wandlung vom Hedonisten zum neuen Öko – und auf welche Widerstände er dabei trifft. Nach der amüsanten und lehrreichen Lektüre beschloss ich mein Leben zu “ökologisieren”. Moderner Ablasshandel Meine Mission startete nach dem Rückflug. Ich setze mich an den Computer, rief die Internetseite von „Atmosfair“ auf, tippte meine Urlaubsdaten ein und bekam dafür flugs eine Auflistung, wie viel Emissionen ich durch meine Reise verursacht habe. Mit einer Spende von 41 Euro, so bot mir Atmosfair an, könne ich meine Urlaubssünde mit klimafreundlichen Projekten wettmachen. Moderner Ablasshandel, dachte ich zunächst, aber die auf der Internetseite vorgestellten Solarthermie in Indien (c) atmosfair Jetzt wollte ich aber noch mehr alte Sünden loswerden, was ich bald bereuen sollte: Ich ließ meine zwei Fernreisen analysieren, Neuseeland und das „Around-The-World-Ticket“, mit dem ich einmal um die Welt gejettet bin. Zumindest weiß ich seither, dass ich bei einer vollständigen Kompensation mehr als 600 Euro spenden müsste. Ich habe tatsächlich so viel CO2 in die Luft geblasen, wie ein Kühlschrank in 260 Jahren ausstößt. Oder wie 30 Inder im Jahr erzeugen. Ich hätte sogar 13 Jahre lang jährlich 12.000 Kilometer mit einem Mittelklassewagen fahren können. Diese Vergleiche sind ziemlich gemein, jedoch auch wirkungsvoll. Jedenfalls kann ich mir nun sehr gut vorstellen, welche Klimawirkung Flugreisen haben. Aber hat sich mein langjähriger Autoverzicht überhaupt gelohnt, wenn ich schon durch zwei Langstreckenflüge meine Bilanz auf Jahre hin ruiniere? Allerdings: Denn jedes Kilogramm CO2, das irgendwo eingespart wird, zählt. Und wenn ich regelmäßig mit dem Auto durch die Gegend gegurkt wäre, sähe meine CO2-Bilanz deutlich schlechter aus. Eines wird aber deutlich: Jede abgesagt Flugreise verbessert die Klimabilanz deutlicher, als es normale Einsparungen vermögen. Kompensation ist dabei nur eine Abmilderung des Übels. Noch mal zum Thema Urlaub: Dieses Jahr ist die Toskana dran. Wir werden zu viert in einem Mittelklassewagen fahren. Die CO2-Bilanz, so habe ich ausgerechnet, sollte ganz in Ordnung sein. Statt einmal zu viert nach Neuseeland zu fliegen, können wir locker Hundertmal nach Italien fahren. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Dieser Beitrag ist jüngst schon in der MAZ (Münsters Alternative Zeitung) erschienen. Das Onlinemagazin iley und das Printprodukt MAZ, herausgegeben von den Grünen in Münster, kooperieren auf unbestimmte Zeit. Die Idee: Onlineartikel gehen bei der MAZ in den Druck und Printartikel wandern bei iley ins Netz. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- |