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Geteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-Terror
POLITIK | KURDEN IN IRAK UND SYRIEN (15.08.2014)
Von Metin Güler
Die USA fliegen Luftangriffe im Irak. Deutschland erwägt Waffenlieferungen. Doch wem soll da eigentlich im Kampf gegen die Terroreinheiten von IS geholfen werden? Ein Blick über die verworrene Lage der Kurden.

kyselak

Autonomes Gebiet: Der Mosul Highway in der nordirakischen Stadt Erbil. (c) kyselak

Elf Jahre sind nun vergangen seit dem zweiten Einmarsch der US-Amerikaner in den Irak. Ohne Zweifel waren die KurdInnen im Norden Iraks (Südkurdistan) die Profiteure dieses Krieges. Als Gegenleistung für ihre Dienste als Gehilfe der US-Streitkräfte im Kampf gegen das ba´thistische Regime von Saddam Hussein wurden sie mit dem endgültigen Autonomiestatus belohnt, der ihnen schon 1970 versprochen wurde, aber bis dato nie wirklich in die Tat umgesetzt war. Seither regieren die Kurden einen de-facto Staat in Nordirak, genannt Autonomes Gebiet Kurdistan. Doch bis heute sind die Widersprüche zur irakischen Zentralregierung in Bagdad nicht überwunden und nach wie vor werden Stimmen laut, die eine komplette Unabhängigkeit Kurdistans fordern. Allen voran Mesud Barzani, Präsident der autonomen Region. Er stellt diese Forderung bei jeder Gelegenheit auf. Anders dagegen die Kräfte der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die seit 30 Jahren einen Guerillakampf gegen den türkischen Staat führen und in Syrien "befreite Gebiete" ausgerufen haben. Sie sehen im Nationalstaat die große Gefahr für ihr Volk.

Der "dritte Weg"

Es tobt ein erbitterter Bürgerkrieg. Der sogenannte Arabische Frühling schwappte vor drei Jahren von Nordafrika nach Syrien herüber und unter dem Dach der "Syrischen Opposition" formierten sich bewaffnete Gruppen. Sie wollten das Regime von Bashar al-Assad stürzen, wobei zu keiner Zeit Einigkeit darüber bestand, wie es danach weitergehen sollte. Schnell witterten internationale Schwergewichte wie USA und die EU-Staaten die Chance, ein bis dato unter dem Einfluss Irans stehendes Syrien zu kontrollieren und unterstützen eine in sich zerstrittene und sektiererische Opposition. Doch haben sich diese verkalkuliert und eine von Russland und dem Iran unterstützte Regierung bis heute nicht stürzen können. Auch im Norden Syriens leben etwa drei Millionen KurdInnen.
Nachdem sich der Kampf zwischen den "Oppositionellen" und dem Regime schnell als Kampf der Konfessionen ohne demokratische Perspektive abzeichnete, ergriffen die KurdInnen die Initiative und schlugen einen sogenannten "dritten Weg" ein. Infolgedessen bildeten sie eigene bewaffnete Einheiten und erklärten die von ihnen besiedelten Regionen zu "befreiten Gebieten", nachdem sie die ba´thistischen Kräfte Assads verjagt hatten. Seit 2012 verwalten sie diese Gebiete, die geografisch getrennt voneinander liegen, selbst. Sie riefe "Kantone" aus.

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Die Gruppe Islamischer Staat breitet sich auf dem Gebiet Syriens und des Iraks immer weiter aus. (c) WWW


Durch die geschaffenen Selbstverwaltungsstrukturen unter der Inklusion aller auf dem Gebiet lebenden Ethnien und Konfessionen etablierte sich erst einmal das sicherste Gebiet in Syrien. Die kurdischen "Kantone" gelten heute als die einzigen, auf denen sich die Menschenrechtslage im Verhältnis zu den vorrevolutionären Zeiten verbessert hat. Nach fast einem ganzen Jahrhundert voller Unterdrückung und vieler Massaker konnten die KurdInnen zum ersten Mal aufatmen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Zu dem ganz großen kurdischen Erfolg fehlt aber gewiss noch eines: die kurdische Einheit.

Staatsfrage spaltet die KurdInnen

Doch zwischen den KurdInnen gibt es tiefgreifende ideologische Differenzen, die bisher unversöhnlich schienen. Während die Stammeseliten, welche die Autonomieregion Kurdistan in Nordirak regieren, einen klassischen zentralistischen Nationalstaat als die Lösung der kurdischen Frage fordern, hält die PKK den Staat geradezu als Ursache allen
Jim Gordon

Ein Peshmerga - Kämpfer für einen kurdischen Staat (c) Jim Gordon

Übels. Getreu dem Motto "Mehr Staat heißt weniger Demokratie und mehr Demokratie heißt weniger Staat" setzt die antitribale PKK auf die Demokratisierung und Dezentralisierung jener Staaten, auf die KurdInnen verteilt sind. Langfristig sollen die Staaten durch Selbstverwaltungsstrukturen ersetzt und damit obsolet gemacht werden. Da passt es nicht ins Konzept, noch einen Staat zu schaffen, sei es auch ein kurdischer. Der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind bringt die zerstrittenen Kurden nun wieder zusammen. Mit der Eroberung der zweitgrößten irakischen Stadt Mosul durch die Terroristen "Islamischer Staat" (IS) werden die Karten zumindest neu gemischt.

Doch zunächst müssen die KurdInnen um ihr Überleben kämpfen. Die Terroristen erlangten in Mosul schweres militärisches Inventar aus den Beständen der irakischen Armee, da das Militär sich widerstandslos zurückgezogen hatte. IS führt nun einen Kampf mit mehr Feuerkraft. Die Terroristen ließen auch nicht lange auf sich warten, ehe sie ihre neuen Geschütze auf KurdInnen richteten. Schon wenige Tage nach der Einnahme Mosuls griffen sie den kleinsten der "Kantone" in Nordsyrien (Westkurdistan) an. Doch die Verteidigung hielt stand.

Urväter der Kurden im Visier der IS-Terroristen

Nur kurze Zeit danach nahmen die IS-Terroristen die Stadt Sinjar, östlich von Mosul, ins Visier. Dort leben etwa 500.000 Jesiden. Sie sind Mitglieder einer monotheistischen Religion und gelten als die Urväter der KurdInnen, weshalb sie einen besonderen Stellenwert bei den KurdInnen haben. Einst hatten fast alle KurdInnen diese Religion, ehe die Zwangsislamisierung einsetzte. Die Jesiden gelten für die Islamisten jedoch als "Khufar" (Ungläubige) und haben ihrer Ansicht nach kein Existenzrecht. Weltweit gibt es rund 700.000 Jesiden. Neben dem Irak verteilen sie sich auf die Länder Türkei, Syrien, Armenien, Georgien und auf Europa. Besonders viele leben in Deutschland.

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KurdInnen demonstrieren in Deutschland für Solidarität mit den Jesiden. (c) iley.de


Wegen der Angriffe auf Sinjar flüchteten hunderttausende Menschen in die Berge, aus Angst vor Massenexekutionen durch die Islamisten. Seither zeichnet sich eine humanitäre Katastrophe ab. Ohne Verpflegung müssen die Menschen in der glühenden Hitze in den Bergen verharren und bereits jetzt ist die Rede von etwa 3.000 Toten. Sinjar wurde von den Peshmergas, den bewaffneten Einheiten aus der autonomen Region Kurdistans im Norden des Iraks, bewacht. Doch Augenzeugen berichten, dass die Verteidiger abzogen, als die IS-Terroristen angriffen. Sie überließen die Jesiden ihrem Schicksal.
Nur durch eine Intervention der kurdischen Streitkräfte aus dem syrischen Teil Kurdistans konnte das Vorrücken der Islamisten vorerst gestoppt und ein Massaker an der Zivilbevölkerung verhindert werden. Mittlerweile kämpfen auch die Peshmergas wieder an dieser Front. Nun kämpfen die KurdInnen gemeinsam, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit.

Erinnerung an Halabdscha erwacht

Nach dem weiteren Vormarsch von IS in kurdische Gebiete haben die USA begonnen, Stellungen der Terroristen zu bombardieren. Zusätzlich werfen Engländer und Franzosen Hilfsgüter über Shengal ab. Ob der Widerstand der KurdInnen und das Bombardement der US-Amerikaner die Terroristen aufhalten, muss sich erst noch zeigen. Doch schon jetzt wird deutlich, wie zerbrechlich die kurdischen Errungenschaften sind. Die Bilder aus der Stadt Halabdscha, die 1988 von Saddams Truppen mit Giftgas bombardiert wurde, sind uns noch im Gedächtnis. Damals starben mehr als 5000 Menschen. Tausende waren auf der Flucht. Sie mahnen uns: Nicht die Unabhängigkeit eines von vier Teilen Kurdistans, sondern der Schutz aller KurdInnen sollte die dringendste Aufgabe sein. Die jüngsten Ereignisse geben die Hoffnung, dass die Widersprüche nicht unüberwindlich sind, legt man doch nur die kleinkarierten parteipolitischen Interessen beiseite und macht gesamtkurdische Interessen zum Maßstab. Von einem gemeinsamen Agieren aller KurdInnen können alle profitieren, die KurdInnen selbst, der Mittlere Osten aber auch Europa und die USA.
   



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