Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...
KULTUR | RADDATZ' JAHRE MIT LEDIG (02.03.2016)
Von Robert Laude | |
... wie man auch mit Büchern als extended re-release Kasse machen kann. Wenn das kein gutes Timing des alten Medienprofis war. Einen Tag vor der Veröffentlichung seines letzten Buches im Februar 2015, nahm sich Fritz J. Raddatz in der Schweiz im Alter von 83 Jahren das Leben. Und so erlebte seine Erinnerung an die Jahre mit Ledig beim Rowohlt-Verlag in kürzester Zeit die fünfte Auflage. Gespannt war ich auf diese Schilderung seiner Zeit als stellvertretender Leiter des Rowohlt-Verlags und seine Zusammenarbeit mit dem schillernden Rowohlt-Erben Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Gefreut habe ich mich, als ich das schön gestaltete Buch mit seinem grünen Leinenumschlag aus dem Briefumschlag zog. Enttäuscht war ich, als ich es am nächsten Tag ausgelesen zuklappte. Da hatte ich mehr erwartet. Das war mein Fehler. Es hätte so interessant sein können, dachte ich - Raddatz, der Literaturverrückte, der Verlagsprofi, der Journalist, der Literaturwissenschaftler, der Großkritiker, der Schriftsteller, der eitle Selbstdarsteller, das böse Lästermaul, der bunte Vogel, der sensible Nonkonformist über seine Zeit bei einem der wichtigsten Verlage der Bundesrepublik und über seine Zusammenarbeit mit einem Verleger, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Nur leider kam mir der Großteil des Buches bereits seltsam bekannt vor. Als ich dann im Impressum den kurzen Hinweis fand: Dieses Buch enthält Passagen aus dem Werk: Fritz J. Raddatz ‚Unruhestifter. Erinnerungen‘ schien mir alles klar. Hier hatte also wohl jemand großzügig copy&paste aus seinem eigenen Werk betrieben, um nochmal im Jenseits abzukassieren oder die Erben zu versorgen. Im Musikbusiness würde man da von einem extended re-release sprechen, also alte Platte plus Bonusstück. Vieles, was dann den Inhalt des Buches ausmacht sind die für Raddatz typischen kurzweiligen Anekdoten. Verleger Ledig (r.) und Schriftsteller Raddatz (l.). (c) Rowohlt Wir erfahren über Raddatz: er durfte an Ledigs Schreibtisch sitzen und Telefonate über einen zweiten Hörer mithören; nach seiner Flucht aus der DDR bestellte er bei seinem ersten Treffen mit Ledig und dessen Frau Jane verdattert einen Whisky Tonic, was die sogenannte Lady Jane mit "Oh, isn‘t he rather excentric!" guthieß; er musste die Korrespondenz von Ledig mit Autoren führen, weil der ja keine Lust darauf hatte; ein in einem Pariser Bistro aufgegabelter junger hübscher Kerl stahl ihm nach dem Akt die Brieftasche mit all seinem Geld, aber Ledig überwies Hilfe; er füllte die Badewanne von Ledig mit heißem Wasser während sie über Autorenverträge diskutierten; er nahm Cohn-Bendit unter Vertrag und schaffte so einen weiteren Welterfolg; und natürlich: er war Linksträger; usw., usw. Will man so etwas lesen? Und wann hatten die beiden eigentlich Zeit zu lesen? Wie kann man so einen Verlag führen? Keine Verlagsgeschichte... Jetzt, wo ich nochmals durch das Buch blättere und hier und da Passagen wiederlese, wird mir klar, dass ich natürlich völlig falsche Erwartungen an das Buch hatte. Meine Enttäuschung war mein Fehler, nicht der von Raddatz. Ich wollte etwas über das Funktionieren eines Verlags erfahren, über das Business. Statt endlich mal in meine Bücher über das Verlagswesen zu blicken, die ungelesen im Regal stehen, wollte ich von Raddatz eine geistreiche, kurzweilige Schnellfassung präsentiert bekommen. Dass Raddatz die so nicht liefern würde, hätte mir jedoch klar sein müssen. ...sondern eine Liebesgeschichte Stattdessen hat Raddatz eine Art Liebesgeschichte über seine Beziehung mit Ledig geschrieben, die Geschichte einer Zeit in seinem Leben, die man sich wohl als erfüllt, als stürmisch, als glücklich vorstellen kann. Die Beziehung zu Ledig nennt er eine Ehe. "Die Ehe zwischen Ledig und mir wurde auf Buchpapier geschlossen, auf dem Papier ganzer dem Verlagsprogramm hinzugefügter Reihen: Rowohlt Paperback; rororo Sexologie; rororo aktuell. Ich hatte die Ideen, und es war Ledig, der das ermöglichte. Tatsächlich war es eine Ehe. Der Ältere liebte, der Jüngere verehrte." Oder kürzer: "Es war allein Ledig, der mir mit Freude und Enthusiasmus Wind unter die Flügel blies." Schön, wenn man so jemanden in seinem Leben trifft. Als sich die beiden Jahre nach dem Rauswurf von Raddatz, per Telegramm, versöhnten, sagte Ledig, der wenige Jahre nach der Kündigung seinen Verlag an den Holtzbrinck-Konzern verkaufte und sich aus der Verlagswelt zurückzog, in einer Geburtstagsrede für Raddatz: "Die Jahre mit Fritz, das waren die besten meines Lebens." Aber dann ist es doch auch ein Buch, das zeigt, wie ja nicht nur erfolgreiches Büchermachen funktioniert: in dem man seiner Kreativität freien Lauf lässt, in dem man sich auf das konzentriert, worin man wirklich gut ist, in dem man das macht, was man liebt. Man könnte sich einen alten müden Mann vorstellen, der die Entscheidung getroffen hat, sein Leben zu beenden. Und vielleicht sein Leben Revue passieren lässt, um dann aus der Menge an Erfahrungen, Erfolgen und Lieben, Kränkungen und Skandalen die Zeit herauszukristallisieren, die am bedeutsamsten, am reichsten für ihn war. Das war für Raddatz die Zeit mit Ledig bei Rowohlt. "Und ich steuerte in das phantastischste, phantasievollste Chaos meines Lebens, in eine fremdschöne, unheimlich-rätselvolle Liebesbeziehung, lasterlos, aber voller Hingabe: an die Literatur." Darüber veröffentlicht er dann sein letztes Buch und erreicht damit einen letzten, posthumen, Verkaufserfolg. Warum nicht. Es sei ihm gegönnt. Interessierte Leser allerdings sollten lieber zu Raddatz Unruhestifter greifen. Da gibt es die Ledig-Geschichte plus viele andere faszinierende und erschreckende Einblicke in das gewiss nie langweilige Leben von Fritz J. Raddatz. Nur in schönem grünen Leinen ist das nicht gebunden. --- Fritz J. Raddatz: Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung 2015, Rowohlt Verlag ISBN 978-3-498-05798-5 16,95¤ |