Stau in der Fahrradhochburg
REISE | VERKEHRSPLANUNG (02.06.2014)
Von Leandra Praetzel | |
Von Autos verstopfte Straßen, enge Gassen, holpriges Pflaster, hohes Unfallrisiko, schlechte Luft, mangelnde Stellplätze - Fahrradfahrer kennen diese Probleme nur zu gut. Auch in der Fahrradhochburg Münster. Eine Lösung: die autofreie Innenstadt. Straßenverkehr in Münster - sieht so eine fahrradfreundliche Stadt aus? (c) iley.de So ähnlich wie in Münster sieht es auch in vielen anderen Städten aus. Deshalb haben zahlreiche Kommunen den Autofluten den Kampf angesagt. Sie reduzieren den Verkehr, indem sie ihre Innenstädte autofrei gestalten. Fahrradhauptstadt richtet Verkehrsplanung auf Autos aus Münster gilt als Fahrradhauptstadt Deutschlands. So hat die Stadt schon mehrfach die Auszeichnung "Fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands" des ADFC-Fahrradklimatests erhalten. Der hohe Radverkehrsanteil von fast 40 Prozent und ein über 300 Kilometer langes Radwegenetz im Stadtgebiet sind Vorzüge, mit denen sich Münster gerne schmückt. Was jedoch verdrängt wird: Die Verkehrsplanung ist stark auf Autos ausgerichtet. Zentrale Parkmöglichkeiten locken in die Innenstadt. Statt den Autoverkehr fernzuhalten, wurde die Entwicklung in den letzten Jahren durch den Bau von neuen Parkhäusern wie in der Stubengasse oder am Alten Steinweg weiter gefördert. So gibt es allein innerhalb der Promenade an die 6.000 Parkplätze, für die darüber hinaus auch noch extrem geringe Parkgebühren erhoben werden. So kommt es, dass sich vor allem an Samstagen endlos lange Blechlawinen durch die Stadt ziehen. Vom Unfallopfer zum Sündenbock Radfahrer*innen dagegen sind in der angeblich "Fahrradfreundlichsten Stadt" Verkehrsteilnehmer 2. Klasse. Zwar gibt es viele Radwege, doch die sind gefährlich. Sie verlaufen zum Großteil auf sogenannten Hochbordradwegen, also auf dem Bürgersteig neben den Gehwegen. Das wird an vielen Stellen sowohl für Fußgänger*innen als auch für Radfahrer*innen sehr eng. Autofahrer*innen genießen dagegen freie Fahrt auf breiten Straßen. Wie problematisch die Lage für Radfahrer*innen wirklich ist, zeigen die Unfallzahlen - 2012 waren es fast 10.000 Unfälle mit 1.400 Verletzten - die gerne dem regen Radverkehr in die Schuhe geschoben werden. Fakt ist jedoch: Fast die Hälfte der Verletzten sind Radfahrer*innen. Sie sind jedoch nur an zehn Prozent der Unfälle beteiligt. Lärmbelästigung und Luftverschmutzung Nicht nur die vielen verursachten Unfälle. Auch die Lärmbelästigung und Luftverschmutzung durch Autos belasten die Menschen in Münster, insbesondere an den an den großen Haupteinfallsstraßen wie Warendorfer, Wolbecker, Hammer und Weseler Straße. Mehr als 13.000 Münsteraner*innen leiden laut einer Untersuchung der Innungskrankenkasse Tag und Nacht unter Straßenlärm. Ein erhöhtes Herzinfarktrisiko, Schädigungen des Gehörs und Schlafstörungen können die Folgen sein. Dicke Luft: Stau Richtung Innenstadt und kaum ein Durchkommen für Fahrradfahrer. (c) iley.de Die schlechte Luft in Münsters Innenstadt ist das nächste Problem. Die Messstation am Bült stellt regelmäßig fest, dass die gesetzlichen Grenzwerte überschritten werden. Zwar gibt es seit Januar 2010 die Umweltzone, um Belastungen durch Feinstaub und Stickoxide - kleinste Partikel, die zu schweren Atemwegserkrankungen führen - zu senken. Doch reicht das nicht aus. Ab 2015 dürfen nur noch Autos mit grüner Plakette in die Innenstadt. Sicherer wäre, das Zentrum würde für Autos gesperrt werden. Es gibt schließlich Alternativen. Doch die sind in Münster verbesserungswürdig. Tausende Pendler Auch wenn der Radverkehrsanteil in Münster hoch ist, bleibt der Anteil anderer umweltfreundlicher Verkehrsmittel relativ gering. So nutzen nur 10 Prozent der Münsteraner*innen den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) innerhalb der Stadt, etwa 15 Prozent sind zu Fuß unterwegs. Zum Vergleich: in der bundesweiten Verkehrsstatistik hat der Fußverkehr einen erheblich höheren Anteil von knapp 25 Prozent. Wer durch Münster fährt, den mag es außerdem wundern, dass trotz des vermeintlich hohen Radverkehrs auch auffällig viele Autos unterwegs sind. Der Grund hierfür sind die vielen Pendler*innen aus dem Umland, die täglich zum Arbeiten und Einkaufen nach Münster kommen. 80 Prozent von ihnen nutzt dafür das Auto, das macht insgesamt rund 700.000 Fahrten pro Tag - Tendenz steigend. Eine autofreie Siedlung gibt es schon Paradebeispiel für eine autofreie Innenstadt ist Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt verfügt über ein großes Netz an Radwegen. Autos dürfen in weite Teile der City nicht einfahren und so entstand ein ausgedehntes Geflecht an Fußgängerzonen. Auch in Bologna, Lübeck und Nürnberg gibt es autofreie Innenstädte. Immer mehr Städte wollen nachziehen, darunter Brüssel, Ghent und Singapur. Dass es auch in Münster möglich ist, zeigt die autofreie Siedlung Weißenburg im Geistviertel. Hier leben Menschen, die auf ein eigenes Auto verzichten. Auf dem knapp vier Hektar großen Gebiet haben Fahrräder Vorrang. So ist im Notfall mehr Platz für den Krankenwagen. Parkplätze für Besucher*innen und Carsharing-Fahrzeuge befinden sich außerhalb der Siedlung. Die Kinder spielen gefahrlos auf der Straße. Eltern treffen sich mit Nachbarn zum Plausch vor der eigenen Haustür. Abgeschnitten von der Außenwelt sind die Bewohner der 130 Haushalte trotzdem nicht. Es gibt Bushaltestellen in unmittelbarer Nähe und ein gut ausgebautes Radwegenetz. In wenigen Minuten sind sie in der Innenstadt oder am Bahnhof. Den wöchentlichen Großeinkauf erledigen sie mit dem Fahrradanhänger bequem beim Laden um die Ecke. Parkhaus für Fahrräder und andere Visionen Die Vorteile einer autofreien Innenstadt liegen auf der Hand: Radfahrer könnten zum Beispiel, ohne an jeder Kreuzung anhalten zu müssen, über die Promenade - eine "Fahrradautobahn", die die Altstadt umgibt - schnell an ihr Ziel gelangen. Ausnahmen sollte es natürlich geben. Buslinien dürften weiterhin durch die Innenstadt fahren, Lieferverkehr ebenfalls. Auch Anwohner*innen, Taxen und Rettungsfahrzeugen sollte der Weg nicht verstellt werden. Parkhäuser könnten als Fahrradparkhäuser umfunktioniert und von Anwohner*innen genutzt werden. So würden die engen Straßen in Münsters Altstadt nicht mehr von Autos zugeparkt und die Gehwege nicht mehr durch Fahrräder verstopft. So käme man auch mit dem Kinderwagen bequem durch und müsste sich als Fußgänger nicht mehr über Massen an Fahrrädern ärgern. Eine unangenehme Situation, die viele Münsteraner*innen regelmäßig stört. Radfahrer erobern die Straße: Nur ein Protest wie hier bei der Critical Mass in Münster oder bald schon Normalität? (c) Ulrike Löw Alle anderen Menschen könnten die Innenstadt schnell und günstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad, zu Fuß oder einer Kombination aus allen drei erreichen. Denn Park & Ride-Angebote wie an der Weseler Straße und am Coesfelder Kreuz würden ausgebaut. Auch der Stadtbusverkehr würde zwischen Innenstadt und Außenstadtteilen verkehren - an Samstagen kostenlos - und Regionalbuslinien und Züge würden Münster mit anderen Städten verbinden. Leihstationen für Fahrräder wie am Hauptbahnhof und in der Stubengasse würde man in der ganzen Stadt finden. Das Fahrrad selbst würde als Transportmittel an Bedeutung gewinnen. Statt ins Taxi stiege man in eine Fahrradrikscha und Geschäfte in der Innenstadt würden Fahrradbringdienste einrichten, die Lebensmittel und andere Produkte zu den Kunden nach Hause transportieren könnten. Statt Autoreihen würden Bäume und Bänke Aegidiistraße und Spiekerhof säumen und auf dem Prinzipalmarkt säße man vor dem Restaurant auf der Straße, um Bier oder Kaffee zu genießen - ohne dass Autos über das Kopfsteinpflaster poltern. Dann würden auch die Samstagvormittage in Münster ganz anders aussehen. |