Graue Invasion oder: 'Vive les vélibes!'
UMWELT | PARISER NACHRICHTEN (15.04.2008)
Von Erik Schuchort | |
Seit letzten Sommer bevölkern sie in Scharen die französische Hauptstadt. Sie sind grau und verteilen sich großflächig auf alle 20 Pariser Arrondissements. Bis Juli 2008 könnten täglich über 20.000 durch die Innenstadt huschen. Eine Plage sind sie höchstens für die Autofahrer. Die Pariser für den Fahrradsattel gewinnen. Darauf hofft der sozialistische Bürgermeister Bertrand Delanoë. Seit sechs Jahren schwingt er mit den Grünen das Zepter in Paris. Sein Ziel: Die am liebsten bereiste Stadt der Welt ruhiger und umweltfreundlicher machen. Mit seinen Mitstreitern hat er sich den Kampf gegen den chronischen Verkehrsnotstand in Paris auf die Fahnen geschrieben. Busspuren sind in Farbahnen umgewandelt, Fußgängerzonen erweitert, Parkplätze nahezu alle gebührenpflichtig. Fahrradfahren in der Stadt der Liebe. (c) Gerd Altmann / pixelio.de Weil in Paris über zwei Millionen auf engstem Raum leben, die Stadt mit 112 Quadratmetern gerade mal die Fläche Emdens (52.000 Einwohner) aufweist, haben viele gar keinen Platz für eigene Tretmühlen. Die Beziehung zu den Drahteseln ist nicht so eng, wie die Euphorie beim größten Radrennens der Welt, der Tour de France, vermuten lässt. Lediglich 1,5 Prozent der französischen Hauptstädter gaben im vergangenen Jahr an, regelmäßig durch die Stadt zu kurbeln. Das Netz von Radwegen war da längst gesponnen. Erst mit der Einführung der "vélibes"; robuste Mercier-Räder aus Ungarn mit großem Korb vor dem Lenker; begann die "Tour de Paris" für Einwohner und Touristen. “Velibe” ist die Zusammenziehung der Wörter “vélo” (Fahrrad) und “libre” (frei). Seit dem 17. Juli 2007 können an 750 Stationen im Umkreis von etwa 300 Metern die Velo-Treter an nahezu allen Plätzen der Innenstadt ausgeliehen werden. Die erste halbe Stunde ist kostenlos! 20.000 Fahrräder, 1450 Stationen, 370 km Radweg Das Konzept "vélib", das in ähnlicher Weise schon in Städten wie Rennes, Lyon oder Straßburg existiert, ist kinderleicht: An den Stationen, im Schnitt mit 15 Tretern bestückt, löst der Benutzer mit seiner Chip-Karte eines der Räder aus, um es nach Benutzung an einer anderen Station wieder einzuschließen. Die Abrechnung erfolgt elektronisch. Einzige Voraussetzung: Der Verwender muss über ein Abonnement verfügen, zu erwerben in Rathäusern, auf Postämtern oder per Internet. Dies ist die bequemere Variante. Kurzurlauber können mittels Bankkarte ein Billet lösen. Das Prinzip wird an den Stationen in acht Sprachen erläutert. Die Kosten: 29 Euro für das Jahr, 5 Euro die Woche oder auch nur einen Euro pro Tag. Die Räder mit Korb am Lenker, Beleuchtung und leichtgängiger Dreigangschaltung sind 22 Kilogramm schwer und in grau gespritzt. Keine schicken Rennräder oder modischen Mountain-Bikes, die zum Stehlen verleiten, sondern solide Fortbewegungsmittel für den städtischen Dschungel, geschaffen für kurze Distanzen. Denn das ist der Grundgedanke des Konzepts - die Räder sollen rasch und oft den Nutzer wechseln. Damit die Fahrräder nach Gebrauch nicht im Keller verschwinden, sondern in gutem Zustand zu einer der Stationen zurückfinden, muss der Kunde über eine Kontodeckung von mindestens 150 Euro verfügen, um für eventuelle Schäden oder Diebstahl aufzukommen. Für Studenten und Arbeitslose kann sich diese "Bürgschaft" in gewisser Weise als Hürde darstellen. Vor allem an die Erwerbslosen habe man im Bezug auf die Preisfestlegung gedacht: Da erst die zweite halbe Stunde einen Euro kostet und eine weitere zwei Euro, ist es auch möglich, vor Ablauf der ersten halben Stunde den Drahesel zu wechseln und umsonst weiter zu treten. "So einfach ist das, damit alle Pariser Fahrradfahren können, auch ein Arbeitsloser", sagt ein Mitarbeiter der Stadt. Insgesamt 1450 "Velib"-Verleihstationen für 20.600 Fahrräder sollen bis Juli 2008 in der Pariser Innenstadt installiert werden, durch die sich über 370 Kilometer Radweg ziehen. Der bekannteste Künstlerhügel Montmartre mit der allseits beliebten Zuckerbäcker-Kirche Sacré-Coeur nimmt sich keiner "Velib"-Station an. Am Beispiel Lyon habe man gelernt. Dort muss jeden Tag aufs Neue ein LKW die Fahrräder zur Leihstation auf den Hügel Croix-Rousse bringen. Berganstieg bleibt eben doch Etappe der Tour de France! |