Mehr als Mieter
GESELLSCHAFT | WOHNPROJEKT RIWETHO (23.07.2013)
Von Volker Wilke | |
Sie retteten ihre Wohnungen vor dem Abriss, gründeten eine Genossenschaft und sanierten die Häuser an der Ripshorsterstraße in Oberhausen auf eigene Kosten. Ein waghalsiges Projekt, das noch immer lebt. Die Innenansicht eines Bewohners: Volker Wilke spaziert durch die erhaltene Arbeitersiedlung. (c) Brigitte Karhoff Also mussten die BewohnerInnen damals selbst aktiv werden, wenn sie den Abriss oder eine Privatisierung mit Verdrängungsprozessen verhindern wollten. Sie beschlossen, die Genossenschaft Riwetho zu gründen, die 22 Häuser von der Eigentümerin Thyssen zu kaufen und damit einen neuen und in der Form einzigartigen Weg zu gehen. Andere Siedlungen wurden aufgegeben Stellt der Kauf einer Arbeitersiedlung durch eine Bewohnergenossenschaft ein wohnungswirtschaftlich nachhaltiges Modell dar? Um die Antwort vorweg zu nehmen: Ja, es kann zumindest ein guter alternativer Weg sein im Vergleich mit Siedlungen, die andere, schwierige bis schwerste Schicksale erlitten. Die Siedlung Dunkelschlag (Oberhausen) etwa wird mieterprivatisiert, während die ehemalige LEG Siedlung Stemmersberg (Oberhausen) nunmehr dem Immobilienfonds Whitehall der amerikanischen Investmentbank Goldman-Sachs verkauft wurde. Dem Symbol des Abrisswiderstands der 70er Jahre, der heiß umkämpften Siedlung Flöz Dickebank (Gelsenkirchen), droht nun die Einzelprivatisierung, nachdem 2012 die ehemalige Zwischeneigentümerin Deutsche Annington einen Verkauf an den Bochumer Siedlungsumwandler Häusserbau perfekt machte. Bis heute ist Riwetho die einzige Genossenschaft in Nordrhein-Westfalen der jüngeren Vergangenheit, die mit einer bestehenden Bewohnerschaft den Abriss bzw. Verkauf von preiswertem Wohnungsbestand durch die Übernahme als Genossenschaft verhindert hat. Sie ist damit beispielhaft - leider ohne große Mengeneffekte - und zeigt durchaus eine alternative, innovative Umgangsweise für die zahlreichen Wohnungsbestände in der ganzen Bundesrepublik auf, die von so genannte "Heuschrecken" geschluckt wurden, was massenweise zu neuen Wohnungsproblemen führte bzw. führen wird. Das Interessanteste ist sicherlich, dass mit der Genossenschaft Wohnen der Spekulation entzogen wurde. Kein Bewohner und keine Bewohnerin muss darum bangen, dass in einem profitorientierten Immobilienmarkt über Nacht ihre/seine Wohnung in das Eigentum einer temporeichen Verwertungsgesellschaft wechselt. Preiswerter Wohnraum Wir sind nicht von international agierendem Finanzkapital abhängig. Es geht bei den Genossen eher beschaulich zu. Die jährliche Rendite dient der Rückzahlung öffentlicher Kredite und der finanzierenden Hausbank für die rund zwei Millionen Euro Modernisierungskosten. Renditeerwartungen weiterer Kapitalgeber müssen nicht erfüllt werden. Die Jahresüberschüsse aus den 68 Wohneinheiten mit insgesamt 4.886,51 Quadratmeter Wohnfläche konnten in den letzten Jahren in die Rücklage genommen werden bzw. dienten als Eigenkapital für die Modernisierung des Bestandes. Mieten zwischen 3,66 und 4,27 Euro pro Quadratmeter im sanierten Bestand sind Beleg dafür und sorgen zugleich für ein bezahlbares Mietniveau. Die Genossenschaft hat die letzten 14 Jahre wirtschaftlich gut überstanden und steht mit einer 100-prozentigen Vermietung solide da. Angst um den Verlust der Wohnung muss niemand haben. Neues Lebensgefühl Das von der Punkrockband Ton Steine Scherben wunderbar wiedergegebene Lebensgefühl "Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch raus" (Rauchhaussong) wich zunehmend einem souligen Xavier Naidoo: "Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer." Ein seit der Gründung aktiver ehrenamtlicher fünfköpfiger Vorstand berät im Wochenrhythmus die anstehenden Probleme. Ihm steht ein Aufsichtsrat mit fünf Personen vor. Ein davon personell unabhängiger Belegungsausschuss administriert die Vergabe der Wohnungen. Die Genossenschaft Riwetho ist nicht vergleichbar mit einem klassischen, selbst organisierten Wohnprojekt. Die Bewohnerschaft ist eine in Teilen (ehemalige Hausbesetzer), aber nicht in Gänze, "frei" gewählte Gemeinschaft von 138 Menschen. Das Besondere ist die Vielfalt der Bewohnerschaft, die hier zusammenlebt: Das sind Junge und Alte; schlecht und weniger schlecht Situierte, Thyssen-Rentner häufig mit Migrationshintergrund, Single-Haushalte, Alleinerziehende, Familien und Hausgemeinschaften. Steinig und schwer Obwohl es Anfang 2000 gelang, über 90 Prozent der damaligen Bewohner für die Realisierung der Genossenschaftsidee zu gewinnen, gibt es bis heute einige hartnäckige Gegner innerhalb der Bewohnerschaft, die mit jahrelangen Prozessen die Modernisierung nicht nur ihrer Wohnung, sondern ganzer Häuser verhindert haben und trotz ihrer vergleichsweise historisch niedrigen Mieten immer wieder auf Instandhaltung klagen, statt einer Modernisierung zuzustimmen. Die sehr unsolidarische Verhaltensweisen richteten sich vor allem gegen die gewählten Gremienvertreter der Genossenschaft: Was der Alteigentümer jahrzehntelang an Instandhaltungsarbeiten unterlassen hatte, sollte nun der Vorstand "mal eben" regeln: Instandsetzungsarbeiten an Fenstern und Türen oder Ähnliches. Teilweise in absurder Form gab es Hausbesuche bei den Vorständen: Jetzt konnte man ja den "neuen Eigentümer" direkt als Nachbarn um jede Uhrzeit auf Mängel aufmerksam machen. Diese internen Auseinandersetzungen haben den Aktiven und ehrenamtlich Engagierten bis heute viel unnötige Kraft und Energie gekostet. Das bestehende Potential und die feste Grundüberzeugung bei den Aktiven und Engagierten haben Störungen immer wieder eingefangen. Ihre belastbaren Naturells, ihre Halb-Professionalität, Lernbereitschaft und die Liebe zum Menschen halfen über viele Schwierigkeiten hinweg. Ohne einflussreiche Überzeugungstäter, gestandene Verwaltungspersönlichkeiten und Profis (Finanzen, Bauwesen, Mietverwaltung, Banken, Presse), die auch mal einen schwierigen Wegesabschnitt mitgehen, hätte die ganze Sache sicherlich einen anderen Verlauf nehmen können. Denn Selbstverwaltung hat auch einen Preis: Nichts geht ohne Eigeninitiative und Identifikation mit dem Projekt. In Genossenschaften lässt sich Demokratie im Kleinen lernen und üben. Konfliktfähigkeit, Toleranz und die nötige Empathie für die Suche nach tragfähigen Lösungen sind nachhaltige Befähigungen über das reine Wohnen hinaus. Hohe Lebensqualität Die Lebensqualität der Siedlung, wovon ein wesentlicher Teil das Miteinander ausmacht, wird von vielen - auch von Älteren - geschätzt: Die Belegungsliste der Siedlung zeigt eine hohe Nachfrage. Drohender Leerstand ist überhaupt kein Thema für die Genossenschaft. Das Durchschnittsalter der Bewohnerschaft sinkt, und gerade für Familien gibt es mit großen Gärten und viel Grün ein optimales Wohnumfeld. Kinder finden tolle Spiel- und Aufenthaltsqualitäten im Freien. Eine Perle der Architektur stellt das Gemeinschaftshaus der Siedlung dar. Über das Förderprogramm "Initiative ergreifen" des Landes NRW wurde ein Gemeinschaftshaus mit einem sehr hohem Selbsthilfeanteil als erste große Bewohneraktivität nach dem Ankauf (und noch vor der Sanierung der Häuser) erbaut. Auch zwölf Jahre nach der Fertigstellung bietet es sowohl in lauen Sommernächten als auch in den langen Wintermonaten den Raum für vielfältige Aktivitäten. Im Gemeinschaftshaus sind eine Werkstatt und das Büro der Genossenschaft angesiedelt. Kern aber ist ein fast 100 Quadratmeter großer Versammlungs-, Feier- und Veranstaltungsraum, der durch seine vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten das gemeinschaftliche Siedlungs- und Quartiersleben bereichert. Hier wird einfach mal gefeiert, über strittige Themen diskutiert, aber auch Situationen von Solidarität und Gemeinschaftsgefühl geschaffen und damit auch an der Zukunft geschmiedet. Autor Volker Wilke ist Sozialwissenschaftler, er arbeit als Geschäftsführer bei der kommunalpolitischen Vereinigung der Grünen NRW und lebt seit den 80er Jahren in der Siedlung. ----------------------------------------------------------------------------------- Der Beitrag ist in ähnlicher Fassung in der Zeitschrift Amos erschienen, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Thema "Wohnen im Ruhrgebiet" auseinandersetzt. Das Onlinemagazin iley und das Printprodukt Amos kooperieren auf unbestimmte Zeit. Die Idee: Onlineartikel gehen bei Amos in den Druck und ausgewählte Printartikel wandern bei iley ins Netz. |