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Neuer Wind in der Debatte um Studiengebühren
POLITIK | NACHGEFRAGT (15.12.2006)
Von Michael Billig
Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) vertritt als Dachverband mit rund 90 Mitgliedshochschulen über eine Million Studierende in Deutschland. Er hat einen Plan, wie Studiengebühren doch noch abgewendet werden sollen. Wir haben Konstantin Bender aus dem fzs-Vorstand dazu befragt.

Der fzs wird vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte Beschwerde gegen die BRD einlegen. Um was geht es dabei?

Bender: Es geht um den permanenten Verstoß gegen den Welt-Sozialpakt aus dem Jahr '73 durch die Bundesrepublik. Dieser Pakt sieht u.a. vor, dass das Bildungssystem in den jeweiligen Unterzeichnerstaaten sukzessive unentgeltlich werden soll. Es ist jedoch durch mehrere empirische Studien bewiesen, dass bereits vor der Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern maximal 66 Prozent aller Ausgaben für Bildung aus den öffentlichen, staatlichen Kassen erfolgte. Das heißt, dass mehr als ein Drittel aller Ausgaben privat finanziert werden. Es bleibt also festzuhalten, dass in mehr als 30 Jahren mehr Rückschritte als Fortschritte bei der Umsetzung des Paktes zu verzeichnen sind.

Deswegen legt der fzs Beschwerde ein?

Bender: Ziel ist es, den Verstoß der BRD gegen diesen Pakt durch das UN-Gremium feststellen zu lassen und in die juristischen Auseinandersetzungen neuen Wind zu bringen. Dies geschieht dann, wenn Studierende, die gegen Gebühren klagen, sich vor den Verwaltungsgerichten auf den UN-Sozialpakt berufen und auf den Verstoß verweisen können.

In Nordrhein-Westfalen hat es die Landesregierung den Universitäten selbst überlassen, über Studiengebühren zu entscheiden. Bis auf die WWU Münster und die Fern-Uni Hagen haben sich alle bereits für die Einführung entschieden. Müsste die Beschwerde sich nicht gegen diese richten?

Bender: Für die Einhaltung des Paktes ist primär die Bundesregierung zuständig, da es sich nach seiner Ratifizierung um geltendes Bundesrecht handelt. Dieser Pakt ist, bedingt durch die Außenvertretungskompetenz des Bundes, in geltendes Bundesrecht übergegangen. Hierauf hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Urteilsbegründung zur Einführung von Studiengebühren durch die einzelnen Länder ausdrücklich hingewiesen.

Falk Pißler

Kein Kommentar* (c) Falk Pißler

Wann wird es soweit sein?

Bender: Nun, zu den genauen Zeiten und Fristen können wir nichts genaues sagen. Wir werden unser Rechtsgutachten in Übersetzung geben und dann im kommenden Jahr dem zuständigen UN-Gremium zukommen lassen. Nach unseren Informationen ist die BRD seit dem 30. Juni 2006 mit ihrem Bericht zur Umsetzung des Paktes überfällig. Sobald unser Bericht vorliegt, wird die Bundesregierung aufgefordert, ebenfalls Stellung zu nehmen. Insgesamt kann dieses Verfahren schon etwas länger dauern. Wir gehen bisher von etwa einem Jahr aus.

Welche Konsequenzen könnte eine offizielle Rüge für die Bundesrepublik haben?

Bender: Hier ist zwischen der internationalen und innerstaatlichen Ebene zu unterscheiden. Auf internationaler Ebene würde die Bundesrepublik zunächst als vertragsbrüchig gebrandmarkt werden, und dies gerade als Land, welches sich den Schutz der Menschenwürde, hier sind auch die sozialen Aspekte mitgedacht, auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das Musterland Deutschland bekommt einen Fleck auf seiner weißen Weste.
Auf der innerstaatlichen Ebene ist zu sagen, dass wenn ein Bundesland Studiengebühren eingeführt hat, dies dann als rechtswidrig zu betrachten ist. Darauf sind die Verwaltungsrechtler im übrigen aufmerksam geworden. In juristischen Fachzeitschriften, die als Orientierungspunkte bei den Urteilsfindungen dienen, wird eine spannende Debatte in unserem Sinne geführt. Nach Auffassung prominenter Verwaltungsrechtler verstoßen die Studiengebührengesetze ausdrücklich gegen diesen Pakt und sind damit hinfällig. Und genau dies soll öffentlich durch unser Agieren festgestellt werden.

In Ihrer Pressemitteilung heißt es, dass Sie gemeinsam mit dem AStA der Uni Münster vor den UN-Ausschuss treten. Warum ausgerechnet Münster?

Bender: Wie bereits angesprochen wurde, hat die Universität Münster bislang noch nicht die Einführung von Studiengebühren beschlossen. Trotzdem sieht sich auch der AStA der Universität Münster in der Verpflichtung, aktiv mit ganzen Kräften gegen Studiengebühren vorzugehen und so eine zunehmende Verengung des Hochschulzugangs zu verhindern. Während sich die schon aktuell von Studiengebühren betroffenenen Studierendenschaften, gerade in NRW, auf die Proteste, Klagen und Boykotte vor Ort konzentrieren, hat der AStA Münster beschlossen, seinen Anteil durch eine Unterstützung der Beschwerde vor dem UN-Ausschuss beizusteuern.

Wie schätzen Sie Ihre Erfolgsausssichten ein?

Bender: Bereits in anderen Fällen ist es zu einer offiziellen Rüge des zuständigen UN-Ausschusses an die betreffenden Staaten gekommen. Hier seien exemplarisch Großbritannien und Kanada genannt. In dieser Hinsicht schätzen wir die Erfolgsaussichten, also, dass es tatsächlich zu einer Rüge gegen die Bundesrepublik kommt, als sehr hoch ein. Danach muss die öffentliche Diskussion über Studiengebühren neu geführt werden und auch die betreffenden Verwaltungs- und Verfassungsgerichte müssen den Pakt in ihre Rechtssprechung aufnehmen.

Weiterführende Links
http://www.fzs.de/freier zusammenschluss von studentInnenschaften e.V.
   










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