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fzs, der unbekannte Dachverband
POLITIK | HINTERGRÜNDLICH (15.10.2007)
Von Jörg Rostek
Trotz aller Bemühungen ist der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs), der Dachverband der deutschen Studierenden, in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Der Großteil der deutschen Studierenden hat von ihm keine Kenntnis und sein politischer Erfolg ist bescheiden. Deshalb haben zahlreiche, vor allem hessische Studierendenschaften, den Austritt beschlossen. Auch dies ein Grund, warum die finanzielle Situation des fzs desolat ist. Dementsprechend laut ist der Ruf nach Reformen.

Während der vergangenen Mitgliederversammlung kam es zwischen den linken progressiven Studierendenvertretungen und den mitte-links orientierten Juso-Hochschulgruppen zum Eklat. Weitere Austritte folgten. Um die Kehrtwende einzuleiten, beschloss die 32. Mitgliederversammlung, am 30. November 2007 eine Perspektiventagung abzuhalten. Die Tagung soll von einer eigens zu diesem Zweck eingesetzten Kommission organisiert werden. Ob allerdings dort die Wende gelingen wird, ist noch ungewiss. Dringend notwendig ist dies, angesichts des Strukturwandels im Hochschul- und Bildungswesen, der Verschulung der Lehre, zunehmender Reglementierung der Wissenschaft, Ökonomisierung und Entdemokratisierung der Hochschulen, aber auch anderer Teile der Gesellschaft mehr denn je.
Dieser Artikel soll die neueste Geschichte der organisierten Studierendenschaft und das politische System des fzs darstellen. In einem zweiten Artikel soll später ausführlicher auf die Reformdiskussion, die innerhalb des fzs stattfindet, eingegangen werden. Beide Teile sollen in der Studierendenschaft, aber auch in einer breiten Öffentlichkeit zur konstruktiven Diskussion beitragen.

Der Vorgänger: Der vds – Geschichte und politisches System

Nachdem der Zweite Weltkrieg zu Ende war standen die Studierenden der Bundesrepublik vor einer großen Herausforderung. Hatten sie im nationalsozialistischen Studentenbund noch die Hitlerei tatkräftig unterstützt, sammelten sich nun die freiheitlich-demokratisch gesinnten Studierenden. Mit Hilfe der alliierten Besatzungsmächte gründeten sie 1949 den „Verband Deutscher Studentenschaften“, kurz „vds“. Hatten sich Studierende bereits 1946 zu „Studententagen“ in den Besatzungszonen (auch in Ostdeutschland) ausgetauscht, schlossen sich die einzelnen Studierendenvertretungen nun zu einer neuen Organisation zusammen. Die politischen Verhältnisse, die sich im Ost-West-Konflikt manifestierten, zerbrachen die vorübergehende Einheit und führten schließlich zur studentischen innerdeutschen Teilung. Wie die BRD der DDR stand der Verband Deutscher Studentenschaft der SED und seiner parteitreuen Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) gegenüber.

Das politische System des vds stützte sich auf drei Säulen: Mitgliederversammlung (MV), Delegiertenrat und Vorstand. Die MV, welche sich meist aus der Summe der VertreterInnen der Allgemeinen Studierendenausschüsse (AStA) der Mitgliedshochschulen zusammensetzte, bestimmte als Legislative die politische Ausrichtung des Verbandes. Die Delegiertenkonferenz setzte sich aus gewählten Studierendenvertretungen zusammen, übernahm die Legislative zwischen den halbjährlich stattfindenden Mitgliederversammlungen und kontrollierte den vierköpfigen Vorstand. Mit Sitz in Bonn betreute der vds nicht nur "Flüchtlingsstudierende" und politisch verfolgte Kommilitonen, sondern erschloss nach und nach auch eine Reihe internationaler Kontakte und erreichte die Einführung des BAföG, was heute als der bedeutendsten politische Erfolge des westdeutschen Studierendenverbandes gewertet wird.

Die linke Kraft - Der SDS als progressives Element

Der im Jahre 1946 gegründete SPD-nahe „Sozialistische Deutsche Studentenbund“ (SDS) war wesentlich progressiver. Vor allem links orientierten Studierenden ermöglichte er, als geschlossene Einheit aufzutreten. Beachtet von weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit gelang es den dort organisierten Studierenden, durch Schriften und Publikationen zahlreiche Studierende zu erreichen und auf intellektuell hohem Niveau ihre politischen Ziele zu artikulieren. Die Spaltung von der SPD, der Tod des Studenten Benno Ohnesorgs während einer Demonstration gegen den Schah von Persien am 2. Juni 1967, die Einführung der Notstandsgesetze - um nur einige Punkte zu nennen - brachten dem SDS nicht nur ein Mitgliederhoch von 2.500 Studierenden, sondern auch die Solidarität mit zahlreichen Entwicklungsländern . Die anfängliche Geschlossenheit verhinderte jedoch nicht, dass der SDS nach inneren Richtungskämpfen nach 24 Jahren politischer Arbeit 1970 seine Arbeit niederlegen musste.

Der vds im politischen Spannungsfeld

vds und SDS schienen einander zu beeinflussen. Je mehr der SDS in den ASten an Stärke gewann, desto mehr gewann die Linke in der Studierendenschaft an Einfluss. Da der VDS sich selbst als „politisch neutral“ definierte, lehnte er prinzipiell nicht nur progressive linke Positionen ab, sondern auch traditionelle Studentenverbindungen. Parteinahe hochschulpolitische Listen waren geächtet und dementsprechend machtlos. Dennoch gelang es 1956 einem Vertreter einer schlagenden Verbindung, sich zum Vorsitzenden des vds wählen zu lassen. Bemerkenswert dabei ist, dass ein SDS-Mitglied sein Stellvertreter war. Der Zusammenarbeit scheint dies keinen Abbruch getan zu haben. Dennoch griffen vor allem linke Studierende mit dem Ziel, einen effektiven linken Strömungsverband zu etablieren, den vds massiv an.
Schließlich wurde der Verband Deutscher Studentenschaften im politischen Machtkampf zerrieben. Als Folge dessen wurde 1969 die Bonner Geschäftsstelle aufgelöst sowie sämtliches Inventar veräußert.

Nach der Selbstauflösung des SDS füllten andere linke Gruppierungen wie der MSB Spartakus, der Sozialistische Hochschulbund (SHB), Juso-Hochschulgruppen, liberale und Basisgruppen die frei gewordenen Posten. Von dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust hat sich der vds bis zu seinem bitteren Ende nie mehr erholt. 1990 fand er, aufgrund erneuter politischer Auseinandersetzungen, ein bitteres Ende. Nachdem ein Großteil der Hochschulgruppen ausgetreten war, konnte er mangels Beschlussfähigkeit bis heute nicht einmal aufgelöst werden. Dennoch fand er einen Nachfolger: den fzs.

Der fzs – die Wiedergeburt einer demokratischen Idee

Der Bedarf einer geschlossenen politischen Vertretung aller Studierenden, durch den studentische politische Ziele wie die Demokratisierung der Hochschulen sowie ein freier und kostenloser Zugang zu Bildung, finanzielle Unabhängigkeit der Studierenden als auch der Abbau von Diskriminierung im deutschen Bildungssystem, eine kritische Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Gesellschaft aber auch internationale Kontakte geknüpft werden können, wuchs trotz vergangener Meinungsverschiedenheiten und Lagerkämpfe stetig. Als die Bundesregierung 1993 zum „studentischen Bildungsgipfel“ lud, rief der Arbeitskreis Bildungsgipfel (AG BiGi) aus Protest gegen die geplante Einführung von Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen zum „Gegengipfel“ in Hürth (nahe Köln). Dort nahmen die deutschen Studierenden einen weiteren Versuch, ihre Kräfte zu bündeln und vereinten sich zum „freien zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs). Ein neuer Dachverband war geboren, der, so ist in seiner Gründungserklärung zu lesen, „ein Forum zur Diskussion, der Koordination von Aktivitäten und der Vertretung studentischer Interessen in Deutschland“ dienen soll.

Das politische System des fzs

1993 waren 65 von 300 Studierendenschaften Mitglied. Der fzs umfasste somit 650.000 von 1,8 Millionen Studentinnen und Studenten in Deutschland. Das politische System des vds - Mitgliederversammlung, Delegiertenrat (nun Ausschuss der StudentInnenschaften, kurz AS und vierköpfiger Vorstand) - wurde weitgehend übernommen. Seit 2003 bildet der fzs thematisch orientierte Ausschüsse, die von StudierendenvertreterInnen aus den Mitgliedsstudierendenschaften besetzt werden. Sie reichen, ebenso wie die Arbeitskreise des fzs, Anträge und Positionspapiere entweder in die Mitgliederversammlung oder in den Ausschuss der StudentInnenschaften ein. Gegenwärtig sind von der Mitgliederversammlung die Universitäten Bonn, Dortmund, Göttingen, Jena, Köln, München, Siegen, die FH Düsseldorf, die Fachschaftenkonferenz der Uni Heidelberg sowie die GSO FH in das legislative Zwischengremium AS gewählt worden. Sie beschließen Stellungnahmen zu aktuellen politischen Fragestellungen und unterstützen den fzs beim Entwickeln von Verbandspositionen und Beschlüssen. Ebenso wacht der AS darüber, dass der Vorstand das Arbeitsprogramm umsetzt und bestimmt die Delegierten, die der fzs zu den Mitgliederversammlungen der Euopean Students Union (ESU) und der International Union of Students (IUS) entsendet.
Der Vorstand vertritt den fzs auf hochschulpolitischen Veranstaltungen, gegenüber den Medien, PolitikerInnen und Bündnispartnern. Sie arbeiten ehrenamtlich und erhalten dafür eine finanzielle Aufwandsentschädigung. Wie die der Ausschüsse beträgt ihre Amtszeit ein Jahr. Seit 2004 befindet sich die Zentrale des fzs in Berlin.

Die VertreterInnen der „großen“ Studierendenschaften hielten sich, sie bezeichneten die Regelung „eine Hochschule, eine Stimme“ als undemokratisch, vorerst mit dem Beitritt zurück. Dies führte im Jahr des studentischen Streikt 1997/1998 zu einer Reformdiskussion, die 2001 in einer Stimmstaffelung mündete. Nun hatten die studentischen Delegationen von Hochschulen mit bis zu 10.000 Studierenden zwei Stimmen, mit bis zu 30.000 Studierenden drei und mit mehr als 30.000 Studierenden vier Stimmen. Daher gelang es die Zahl der Mitgliedshochschulen auf 90 zu erhöhen, so dass der fzs von sich behaupten konnte über eine Million Studierende zu vertreten. Die Studierendenzahl ist auch deshalb bedeutsam, weil der fzs pro Mitgliedsstudent bzw. Mitgliedsstudentin einen jährlichen Beitrag von 55 Cent erhebt, also der fzs finanziell direkt mit der Mitgliederzahl zusammenhängt. Die knapp 40 nicht verfassten Studierendenvertretungen Bayerns und Baden-Württembergs, dort wurde die Finanzhoheit in den 60er Jahren von CDU/FDP geführten Landesregierungen abgeschafft, sind von ihrer Beitragspflicht befreit, also von den finanziellen Zuwendungen des fzs abhängig. In norddeutschen sowie ostdeutschen Bundesländern ist die Mitgliederzahl des fzs gering. Die meisten Studierenden stellt das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen.

Hochschulpolitische Gruppierungen und Bündnispartner

Parteinahe hochschulpolitische Gruppen sind im fzs wesentlich stärker vertreten als im Vorgängerverband vds. Vor allem den Juso-Hochschulgruppen gelang es, den fzs im Laufe der Zeit für sich einzunehmen und wichtige Positionen innerhalb des Vorstandes zu besetzten. Konservative Hochschulgruppen wie der CDU- nahe Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) beschreiben, obwohl auch sie teilweise dort vertreten sind, den fsz, welcher sich selbst in seiner Gründungserklärung als „einen Teil sozialer Opposition“ bezeichnet, als „Sammelbecken der Linken“ und lehnen ihn deshalb offiziell ab. Kritisiert werden vor allem grundsätzliche Positionen, wie die der Forderung nach einer freien und kostenfreien Bildungslandschaft an deutschen Universitäten.
Die wichtigsten Bündnispartner des fzs sind das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), das Bündnis für Politik- und Meinungsfreiheit (PM-Bündnis), der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi), der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) und der studentische Akkreditierungspool. Ein fzs-Vorstandsmitglied sitzt im Kuratorium des Deutschen Studentenwerks. Ebenso entsendet er zwei VertreterInnen in die Bologna-Arbeitsgruppe von Bund- und Ländern. Des Weiteren ist der fzs durch seine Mitglieder im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) vertreten.

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