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1968, ein Kongress und das aktivierende Moment
POLITIK | DABEI SEIN (15.05.2008)
Von Olaf Götze
Elmar Altvater, Franke Deppe, Hans-Christian Ströbele, Katja Kipping, Klaus Dörre, Morus Markard, Gerd Koenen, Alain Krivine, Nele Hirsch, Andreas Keller, Hans-Jürgen Urban, Wolf-Dieter Narr und viele weitere. Es sind unter anderem die großen Namen, die viele Studierende am ersten Maiwochenende nach Berlin locken - zum großen 68er-Kongress.

Deshalb sitzen sie hier im Innenhof des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität auf der Wiese. Mittags gibt es Volxküche und die Studis genießen bei herrlichem Sonnenschein das Essen. Organisiert wurde das Ganze vom neuen Studierendenverband Die Linke.SDS.

LINKE.SDS

Das Plakat zum Kongress. (c) LINKE.SDS

Das Thema "1986" ist hochaktuell, auch die Medien von der taz bis zur FAZ, vom ZDF bis zum Spiegel beschäftigt die Aufarbeitung der 68er im Jubiläumsjahr. Die Debatte wird in den Mainstreammedien oft jedoch oberflächlich oder sehr einseitig geführt. Einzelne Beiträge gehen hart mit den 68ern ins Gericht, als sei nach 40 Jahren nun eine endgültige Abrechnung fällig. Bettina Röhl, Autorin und Tochter von Ulrike Meinhof, bezeichnete die 68er öffentlich als "eine Sekte" und Götz Aly zieht in seinem gerade veröffentlichten Buch "Unser Kampf" Parallelen zwischen der 68er-Generation und der Studentenbewegung von 1933. Ob das Erbe der 68er jedoch auf dem Scheiterhaufen der Geschichte landen soll oder aber bereits integraler Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft ist, darüber darf gestritten werden.

In den USA gelten Sozialisten als weltfremd

"Im englischsprachigen Raum werden die 68er viel positiver rezipiert, als hier in Deutschland," so Leo Panitch, Professor der Politikwissenschaft an der York University in Toronto. "Das liegt vor allem daran, dass man sich der Errungenschaften der 68er, der Frauenbewegung und der Bürgerrechtsbewegung, bewusster ist und diesen mehr Positives abgewinnen kann. Es liegt natürlich auch am Terrorismus der 70er Jahre. Terroristen gab es zwar bei uns auch, jedoch nicht in der Form wie sie sich in Deutschland formierten." Leo Panitch ergänzt, dass man natürlich auch in den USA schief angeschaut werde, wenn man sich als Sozialisten beschreibt. Man werde als weltfremd bezeichnet.

Auftrieb für Linke.SDS

Der Studierendenverband Die Linke.SDS nutzt das Jubiläumsjahr zu einer Aufarbeitung der anderen Art. Auf den Podien sitzen Zeitzeugen der 68er und in Workshops werden aktuelle Themen aufgegriffen, wie beispielsweise der Umgang mit kritischen Wissenschaften an der Hochschule. Es handelt sich um eine ernsthafte Aufarbeitung, wie der Verlauf des Kongresses zeigt. Der Verband Linke.SDS erhofft sich durch diesen Kongress und dem eigenen Bezug auf eine der stärksten Kräfte der 68er, dem damaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), weiteren Auftrieb.

Insgesamt 60 Hochschulgruppen bundesweit vereinen sich mittlerweile unter seinem Dach. Doch Kritik kommt direkt aus den Reihen der Alt-68er. "Der SDS verstand sich immer als außerparlamentarische Opposition. Linke.SDS vereinnahmt diese besondere Position. Der Verband hat heute eine eindeutige Anbindung an die Partei," heißt es aus den Publikumsreihen. Und weitere Befürchtungen werden laut. Der Verband und die Partei DIE LINKE würden noch schneller korrumpiert, wie es die SPD in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und später die Grünen vorgemacht hätten. Die Workshops auf dem Kongress eröffnen zumindest die Möglichkeit, aus der Vielfalt auszuwählen und die kritischen Fragen von Organisation, dem Marsch durch die Institutionen oder die Frage warum die APO im Terrorismus endete, näher zu beleuchten.

Erst die Mischung der TeilnehmerInnen aber macht den Erfolg dieses Kongresses aus. Neben der Mehrheit der Mitglieder von Linke.SDS konnten auch zahlreiche unabhängige Studierende für das Thema gewonnen werden. Es ist mit etwa 1.600 Anmeldungen einer der größten Kongresse und der einzige Studierendenkongress in diesem Jahr, der sich so intensiv einem gesellschaftspolitischen Thema widmet.

Was das alles mit Brecht´schem Theater zu tun hat?

"Eine Bewegung kann niemals allein aus dem Theater heraus entstehen, aber das Theater kann eine Bewegung, die in der Gesellschaft vorhanden ist, auf besondere Weise anschieben," erklärt Manfred Wekwerth. Der Theaterregisseur und Leiter des Berliner Ensembles arbeitete seit 1951 als Regieassistent von Berthold Brecht. In lebhaften Worten zeigt er auf, wie er am Theater in Berlin die Zeit vor und nach 1968 erlebte. Nachdem er den Zuhörern die Manipulationskraft des Theaters verdeutlicht hatte, erzählt er, wie 1967 einen Tag nach dem Militärputsch in Griechenland Rudi Dutschke zu ihm kam und ihn fragte, ob man dazu nicht eine Aufführung im Westen Berlins machen könne? So schrieb man noch in der Nacht gemeinsam ein Stück und am folgenden Tag reiste ein Teil des Ensembles unter dem Deckmantel, eine Theateraufführung besuchen zu wollen, in den Westen. An der Freien Universität in Berlin spielten sie vor den Studierenden so eindringlich, dass diese geradezu hinausrannten und später die Scheiben der griechischen Botschaft einschmissen. "Das war zugegebenermaßen ein wenig kühn," beschreibt Wekwerth diesen Ausgang der Veranstaltung. Zweifellos jedoch ist dies ein eindrucksvolles Beispiel für das "aktivierende Moment" im Brecht´schen Theater.

Zwischen Mythos und Wirklichkeit

Auch der Kongress in Berlin überlässt es dem Besucher, welche Schlüsse er aus der Nachbetrachtung der sogenannten 68er zieht. Die ältere Generation vermeidet es, einen Mythos aufzuzeigen. Zuweilen grenzt aber auch die Aufführung im Audimax an Theater, wenn beispielsweise Alain Krivine, ehemaliger französischer Präsidentschaftskandidat der trotzkistischen Partei (LCR), den Wert der "Utopie" hervorhebt und damit dem "Weltfremden" den Wind aus den Segeln nimmt und Applaus erntet.

Das aktivierende Moment stellt der Kongress gegen Ende dann eindrucksvoll unter Beweis. Einige hundert Studierende versammeln sich zu einer Spontandemonstration unter den Linden. "A-Anti-Anticapitalista" schallt es auf der Straße, der Verkehr staut sich und die überraschte Polizei kann den Zug lediglich noch mit einem Einsatzwagen durch das Brandenburger Tor geleiten. Zumindest der Bezug zur Außerparlamentarischen Opposition ist somit für einige Zeit wieder hergestellt. Ob der Studierendenverband Linke.SDS die Utopien von damals wirklich weiterzutragen vermag, muss sich in Zukunft erst noch zeigen.
   




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