Bielefelder Uni im Ausnahmezustand
POLITIK | HOCHSCHULPOLITIK (15.03.2006)
Von Michael Billig | |
"Können Sie sich Ausweisen?", fragt eine Frau in dunkelgrüner Montur. Wir schauen uns an, zücken die Studentenausweise und werden durchgewunken. Der Weg in die Universität Bielefeld führt an einem Samstagnachmittag nur am Sicherheitsdienst Prodiac vorbei. Erst vier Wochen im Rektorat, jetzt seit zwei Wochen im Zeltlager in der Uni-Halle. (c) Jörg Rostek Inzwischen ist es ruhiger um die Besetzer geworden. Vor zwei Wochen haben sie das Rektorat über Nacht geräumt und sind in die Uni-Halle umgezogen. Vier Zelte sind hier aufgeschlagen. Ein breitangelegter Informationstand ist frontal aufgebaut. Vorratslager und Küche befinden sich durch eine Wand abgetrennt rückseitig. Daran schließt das Hauptzelt an, welches von drei Iglus umgeben ist. Platz wäre noch für viele mehr da. Die Bewohner fluktuieren. Zwischen fünf und 20 Leute halten sich im Camp auf. Wer wochentags bleibt, wird frühmorgens von den Kehrmaschinen geweckt, die ab sechs Uhr durch die Halle sausen. Das hindert aber kaum jemanden daran, wieder einzuschlafen. Im Laufe des Nachmittags und Abends kommen ein paar Leute hinzu - die, die sonst auch öfter da sind. Wegen der Semesterferien herrscht keine rege Betriebsamkeit, wie man sie von einer Uni mit über 17 000 Studenten zu Vorlesungszeiten erwarten kann. Außerdem ist Wochenende und da legt jeder gern mal die Beine hoch und die Arbeit beiseite. Seine Ziele hat deswegen noch niemand aus den Augen verloren. Mehr Mitspracherecht im Senat ist neben dem Rücktritt von Rektor Timmermann eine weiter bestehende zentrale Forderung, für die sich die Camper einsetzen. Das Gremium spiegelt nicht die Mehrheitsverhältnisse an der Universität Bielfeld wieder, lautet ihre Begründung. Timmermann signalisierte, nachdem er in die Rektoratsräume zurückkehren konnte, erneut Gesprächsbereitschaft. Die ist jedoch seit Beginn der Konfrontation von beiden Seiten an bisher unerfüllte Bedingungen geknüpft. Aug' in Auge saß man sich schon lang nicht mehr gegenüber. Während der Besetzung des Rektorats lief die Kommunikation vor allem über die Presse ab, was zu allererst den für so manche Personen schon abgehakten Diskurs um Studiengebühren wieder neu aufleben ließ. Über das Wie in der Berichterstattung lässt sich streiten. Die lokalen Tageszeitungen aber auch die überregionale Presse offenbarten in mehreren Fällen lückenhafte Recherche und teilweise unkritische Artikel. Die Süddeutsche betitelte einen Text über die Räumung des Rektorats mit den Worten des Pressesprecher der Universität, Hans-Martin Kruckis, "Die müssen sich abgeseilt haben" und holte dazu keine Stellungsnahme von den Besetzern ein. Die ZEIT zitierte den selbigen eine Woche vorher, er habe gehört, die Besetzung werde mit einem großen Knall enden. Er hoffe nicht, dass damit eine Explosion gemeint ist. Das Westfalen-Blatt und die Neue Westfälische berichteten wiederholt, dass Rektor Timmermann gesagt habe, er führe Gespräche mit der Polizei über eine mögliche Räumung. Der Druck auf die Besetzer nahm zu und erreichte nach einem Monat seinen Höhepunkt, als Timmermann für den 1. März um 12 Uhr die Rückgabe des Rektorats forderte und bei Nicht-Erfüllung strafrechtliche Verfolgung ankündigte. Keiner der Besetzer wusste genau um die juristischen Konsequenzen. In Abstimmung entschieden sich die knapp 30 verbliebenen für die Aufgabe der Besetzung. Das Ultimatum war zu diesem Zeitpunkt schon abgelaufen. Sie räumten auf, verbarrikadierten die Zugänge und verließen das Rektorat durch die Tür. Die vierwöchige Wohngemeinschaft hatte Spuren hinterlassen: Flecken auf dem Teppich, die eine oder andere Kreidezeichnung an der Wand und auf dem Boden sowie müde Augen in den Gesichtern der Besetzer. Mit Geschirr, Schlafsäcken, Müllsäcken, Herdplatten, Musikanlage, Kisten und Flaschen unterm Arm machten die Besetzer um die Prodiac-Mitarbeiter einen weiten Bogen. Sie veröffentlichten einen Offenen Brief, in dem sie an ihren Forderungen festhielten und gaben eine Pressemitteilung heraus, in der es hieß, dass die Besetzung fortgesetzt werde. Die lokale Presse verbreitete diese Nachricht, ohne sich jedoch ein eigenes Bild zu machen. Zwei Tage später schöpfte Rektor Timmermann Verdacht und beauftragte Prodiac, die Situation im Rektorat auszukundschaften. Anschließend konnte er der Presse verkünden, dass die Besetzung friedlich zu Ende gegangen ist. Im DeutschlandRadio Kultur war kürzlich zu hören, dass die von 200 Menschen drei Wochen lang besetzte Pariser Universität Sorbonne von 80 Polizisten gestürmt wurde und dass es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Soweit wollten es die Bielefelder nicht kommen lassen. Sie behalten sich zwar weitere Besetzungen vor, nutzen momentan aber die Zeit, um in ihrer Umgebung weiter aktiv für ein solidarisch finanziertes Bildungssystem mit möglichst "freiem Eintritt" zu werben. "Die Gruppe im Protest-Camp arbeitet für eine freie Bildung und Lehre, die nicht den Marktgesetzen und ihren Konsequenzen unterworfen ist und dementsprechend für mehr Studierendenbeteiligung, sprich Demokratie, an den Universitäten Deutschlands", heißt es auf der Internetseite der Protestbewegung. Zu ihrem Programm gehören auch kulturelle Veranstaltungen. An diesem Samstagabend ist die Musikerin Tania Pentcheva zu Gast. Sie spielt auf ihrer Gitarre überwiegend zeitgenössische Stücke. Beispielsweise von Roberto Fabbri, Nico Rojas und Luciano Berio. Bevor sie beginnt, sagt sie noch: "Ich bin hier, weil ich bin eine von Euch." |