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Studiengebühren und BA/MA-Drama
POLITIK | ZUR DEBATTE (15.04.2005)
Von Ronald Hild
Für viele ist die Studentenzeit die schönste Zeit des Lebens. Unter der Freiheit von Forschung und Lehre begegnen sich Studenten aus unterschiedlichen Ländern von verschiedener sozialer Herkunft, tauschen sich aus, diskutieren, lernen von und miteinander. Dieses Ideal scheint nun durch die Entscheidungen von Karlsruhe und Bologna einige Kratzer zu bekommen.

Spätestens mit den Offenbarungen der PISA-Studie wurde erkannt, dass im deutschen Bildungssystem einiges im Argen liegt. Und dass Bildung kombiniert mit sozialem Aspekt ein Erfolg versprechendes politisches Thema ist. Bereits im Wahlkampf 1998 erklärte die SPD-Spitze, dass es mit ihr keine Studiengebühren geben und auch weiterhin Schülern aus finanzschwachen Familien der Zugang zu den Hochschulen ermöglicht werde. Da Bildung aber unter die Verantwortung der Länder fällt, klagten daraufhin die CDU-geführten Bundesländer gegen die Bevormundung durch den Bund. Am 26. Januar diesen Jahres entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass der Bund ein gebührenfreies Erststudium nicht festschreiben darf. Das heißt, die Entscheidung, ob Studiengebühren erhoben werden, liegt weiterhin allein bei den Ländern. In einigen Ländern, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, werden bereits Gebühren für Langzeitstudenten oder Zweitstudiums erhoben. Sicherlich versteht jeder, dass der Typ aus dem 23. Semester, der gerade zwei Semester als Aussteiger in Kuba war, mal zur Kasse gebeten wird. Aber die Ankündigung von Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Niedersachsen auch Gebühren für das Erststudium zu erheben, trifft auf breiten Widerstand, nicht nur der Studenten.

Studiengebühren bleiben nach dem Karlsruhe-Urteil also Ländersache. Und bei 16 Bundesländern ist es doch sehr wahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit kein einheitliches Konzept geben wird. An dieser Stelle lohnt es, sich einige Gedanken über die Vor- und Nachteile von Studienbeiträgen zu machen. Vor allem sollte man mit dem Irrtum aufräumen, dass das Modell etwas völlig Neues darstellt. Denn bis zum Wintersemester 1970/71 wurden die Studenten durch die Erhebung einer Studiengrundgebühr sowie Unterrichtsgeldes an der Finanzierung des Ausbildungsangebotes beteiligt. Erst im Zuge der Hochschulreform von 1970 beschlossen die Ministerpräsidenten, darauf zu verzichten. Es war und ist demnach nicht selbstverständlich, dass ein Studium kostenlos ist.

Der Kerngedanke, der hinter der Studiengebühr steht, ist, dass durch finanzielle Beiträge der Studenten den Universitäten mehr Geld zur Verfügung steht, wodurch sich das Lehrangebot und die Ausstattung der Hochschulen verbessert. Die Gebühren fördern also in erster Linie Forschung und Lehre und entlasten somit auch die Studenten in der angespannten Lehrsituation. Unter der Prämisse, dass die Gebühren bezahlbar bleiben und zweckgebunden für die Universitäten verwendet werden, ist eine Mitbeteiligung der Studenten durchaus sinnvoll, zumal der Staat nicht mehr in der Lage ist, alles zu finanzieren, ohne in kürzester Zeit völlig zu kollabieren.

Die Damen und Herren Politiker werden das Thema Bildung deshalb weiterhin auf ihrer Agenda haben. Ohne Frage, das Versprechen, Studiengebühren zu verhindern, hat der SPD im `98er Wahlkampf einige Stimmen gesichert. Mitte Mai steht nun die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an und nach vorläufigen Umfragen liegt die rot-grüne Regierungskoalition einige Prozentpunkte hinter der Opposition. Durchaus verständlich, dass die Bevölkerung bei über einer Millionen Arbeitslosen mit der Regierungsarbeit in NRW nicht zufrieden ist. Sollte die Landesregierung wechseln, wird sich auch für die Studis einiges ändern. Während (Noch-)Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) weiterhin an einem gebührenfreien Erststudium festhält, kündigte CDU-Fraktionschef und Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers an, dass die CDU nach dem Wahlsieg nachgelagerte Studiengebühren einführen werde: "Gezahlt werden muss erst, wenn das erste Gehalt kommt".

So sind zwei Möglichkeiten der Gebührenregelung denkbar. Nach dem Modell von Rüttgers könnten die Studenten weiterhin wie bisher studieren, haben dann allerdings schon beim Berufseinstieg einen immensen Schuldenberg angehäuft. Wer dann nicht reich heiratet oder im Lotto gewinnt, wird einige Jahre arbeiten müssen, um diesen abzutragen. Die andere Möglichkeit ist, dass die Studenten schon während des Studiums Gebühren bezahlen. Dabei kann es dann aber passieren, dass nach dem Job im Supermarkt, der Aushilfe in der Tankstelle und dem Kellnern, nur noch wenig Zeit für die Bibliotheksbesuche bleibt. Eine weitere Folge der Einführung von Studiengebühren in manchen Ländern wird sein, dass die betroffenen Studenten einfach in Bundesländern studieren, in denen das Erststudium umsonst ist. Die ohnehin schon überlaufenen Universitäten werden dann förmlich platzen. Als einziger Ausweg bleibt dann, ebenfalls Gebühren zu erheben. Egal ob man persönlich für oder gegen Studiengebühren ist: man wird als Student nicht mehr umhin können, sich mit dem Thema auseinander zusetzen.

Eine weitere "schöne" Neuerung, welche das Studium weitgehend verändern wird, ist die Einführung des Bachelor-Master-Systems bis spätestens Wintersemester 2009. Bereits 1999 einigten sich die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU in Bologna, ein europaweit einheitliches Studiensystem einzuführen. Dadurch sollte es möglich werden, an jeder Uni Europas unter gleichen Bedingungen zu studieren und die Wechsel zwischen den Universitäten zu erleichtern. Das Modell sieht vor, dass in einem Bachelor-Studiengang (BA) der Student in drei Jahren einen berufsqualifizierenden Abschluss erreicht. Danach besteht die Möglichkeit, in zwei weiteren Jahren den Mastergrad (MA) zu erlangen. Aber wie so oft bereitet auch hier die Umsetzung eines guten Gedankens einige Probleme. Eine europaweite Anpassung der Studiengänge ist wegen regionaler Spezifika schwer zu realisieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spanier in Deutschland etwas über Sächsische Landesgeschichte hören möchte, ist eher gering.

In Deutschland gibt es die Vorgabe vom Bund, dass die Studiengänge auf BA/MA umgestellt werden sollen. Da aber die Bildung Ländersache ist, gibt es keine einheitlichen Regelungen der Umsetzung. So entwickelt jede Uni, ja sogar jedes Institut eigene Vorstellungen und Konzepte. Deshalb kann es passieren, dass ein Wechsel zwischen den Universitäten, der für ganz Europa möglich sein sollte, nicht mal in Deutschland problemlos funktioniert. Außerdem weigern sich die Naturwissenschaften, das Bachelor-Master-System zu übernehmen und halten weiterhin an ihrem Diplomstudiengang fest.

Bei so vielen Problemen, die es im Bildungssystem gibt und noch einige Zeit geben wird, tröstet es, dass wenigstens der Kanzler in der Bildung die Zukunft unseres Landes sieht.

Weiterführende Links
http://www.studienplatz-recht.de/050126_...buehren_Volltext.pdfDas Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Thema Studiengebühren
   






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