Der exmatrikulierte Widerstand
POLITIK | HOCHSCHULE (15.07.2007)
Von Jörg Rostek | |
269 und 3.587 – zwei Zahlen, die eng miteinander verknüpft sind. In Zeiten allgemeiner Studiengebühren, in Zeiten des Boykotts. Beinahe parallel verliefen in Münster, einer provinziellen westfälischen Metropole und in Hamburg, der weltberühmten Hansestadt, politische Ereignisse ab, die zwei Hochschulen für die Zukunft entscheidend prägen werden. Demonstration gegen Studiengebühren in Darmstadt, Hessen. (c) media.uebergebuehr.de Anstatt gehorsam an die jeweiligen Kassen der Hochschulen haben die rebellischen Studierenden auf ein alternatives Treuhandkonto überwiesen. Jede/r, der an das Treuhandkonto überweist, zahlt also kein Geld an die jeweilige Hochschule. Wer aber nicht zahlt – so steht es in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg im Hochschulgesetz – fliegt. Der Trick dabei ist, dass mit Hilfe des Kontos, die nicht-zahlenden Studierenden zählbar sind. Und wenn alle nicht zahlen, werden dann alle exmatrikuliert? Da den Studierenden bewusst war, dass niemals alle boykottieren würden, haben sie eine bestimmte Anzahl Studierender festgelegt, eine Marke, die es zu erreichen gilt, um den Boykott zum Erfolg zu verhelfen. An der Uni Münster, der drittgrößten Hochschule Deutschlands lag sie bei 9600 Studierenden von insgesamt rund 38.500 Studierenden. An der HfbK in Hamburg, einer Hochschule mit 550 Studierenden bei genau 275. Studierende beider Hochschulen halten allgemeine Studiengebühren für unsozial. Im StudiVZ äußerte sich eine Studentin folgendermaßen: "Studiengebühren verstärken die Selektivität des deutschen Bildungssystems. Da ich diese Selektivität als ungerecht empfinde, bin ich gegen Studiengebühren". Ein Hamburger Student sagte Spiegel online: "Ich könnte mir die Pulsschlagadern aufschneiden und mit meinem Blut ein Bild malen." Es sind zwei Dinge, die Studierende gegen Studiengebühren aufbegehren lassen: einerseits die Überzeugung, dass Bildung keine Ware sein darf und andererseits die finanzielle Belastung, die sie durch Studiengebühren erfahren. Das organisierte Nicht-zahlen, Klagen von Allgemeinen Studierenden Ausschüssen (Asten) in zahlreichen Bundesländern vor Verwaltungsgerichten und der Klage des größten deutschen Studierendenverbandes, des freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte, stellen dabei nur Strohhalme dar, an die sich die GebührengegnerInnen klammern. Denn die Masse fehlt. Warum ist der Boykott an den großen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland gescheitert; und warum war er jetzt an der HfbK momentan so wirksam? Sind die Studierenden an sich unpolitisch und verneinen ihre gesellschaftliche Verantwortung? Ist die Gemeinschaft an kleineren Hochschulen stärker? Viele Fragen harren einer Antwort. Gewiss ist, dass jede Bürgerin und jeder Bürger politisch bedeutsam ist. Das gilt auch für jeden einzelnen Studierenden, selbst wenn er sich als unpolitisch wahrnimmt. Studierende, die sich als unpolitisch begreifen sind nur nicht "politisiert" und handeln dementsprechend nicht politisch bewusst. Das ist schade. Denn sie könnten viel erreichen. Vergangene Generationen haben dies demonstriert. Wenn auch die meisten nur bis zum Erreichen eines bestimmten Lebensabschnittes. Dass das Bedürfnis der Teilhabe die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist, muss jede Generation neu lernen. Die Diskussion um Studiengebühren zeigt den Studierenden ihre Grenzen auf. Aber wer oder was legt diese Grenzen fest... Kommentar Selbst wenn die politisch aktiven Studierenden scheitern sollten, wenn man sie, wie in Hamburg exmatrikuliert und ihnen noch eine Zahlungsfrist einräumt bis 30. September 2007 und alle "Rebellen" deshalb kapitulierten sollten, was noch lange nicht fest steht und selbst, wenn der Kampf gegen Studiengebühren vorerst keine Früchte trägt, haben zahlreiche Studierende doch Erfahrungen gesammelt, die sie an anderer Stelle anwenden können. Dieses Wissen ist wertvoll und das politische Feld ist weit. Die Ansatzpunkte für ein Engagement für eine emanzipierte, aufgeklärte und demokratische Gesellschaft zu streiten sind auf allen Politikebenen immer noch Legion. Widerstand und soziales Engagement zu exmatrikulieren, und das müssen alle PolitikerInnen einsehen, darf die Lösung nicht sein. Denn dadurch würde Opportunismus gefördert. "Wenn die Studierenden wahrhaftig politisiert wären, würden sie auch gegen den Irakkrieg auf die Straße gehen", war einmal in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Die Frage ist, ob die Zahl der Studierenden, die sich engagieren, andere begeistern und Bündnisse mit anderen Interessengruppen schmieden wollen, steigt oder abnimmt. Das wird auch davon anhängen, ob unter den Studierenden sich die Erkenntnis verbreitet, dass sich die Welt nicht an einem Tag oder in zwei Monaten verändert, sondern politische Prozesse, die in Ergebnissen münden, ihre Zeit brauchen. Eine Zunahme würde der Diskussionskultur und der Demokratie in Deutschland sicher gut tun. |