"Bildung für alle, sonst gibt's Krawalle"
POLITIK | HOCHSCHULE IN HESSEN (15.06.2006)
Von Ceterina Lobenstein | |
Vorlesungen boykottieren? Die gute alte Bildung im selbst gebastelten Papp-Sarg zu Grabe tragen? Mit ausgelutschten Trillerpfeifen durch die Straßen trödeln? Mit dem gängigen Klischee der Studentenstreiks haben die jüngsten Proteste in Hessen offensichtlich nicht mehr viel gemein. Tausende Studierende gehen in Hessen auf die Straße - hin und wieder auch auf die Autobahn. (c) Caterina Lobenstein "Die neuen 68er!" titulierte jüngst eine große deutsche Tageszeitung. Ob der Vergleich gerechtfertigt ist oder nicht, sei dahingestellt, eines aber steht fest: die aktuellen Proteste in Hessen sind so stark und laut wie schon lange nicht mehr. Der Grund für den energischen Widerstand: Obwohl das Recht auf unentgeltlichen Hochschulzugang in der hessischen Verfassung festgeschrieben ist, kündigte die Landesregierung im vergangenen Monat an, mit Beginn des Wintersemesters 2007/2008 allgemeine Studiengebühren erheben zu wollen. Tritt das Gesetz tatsächlich in Kraft, müssen Studierende zukünftig mindestens 500 Euro pro Semester zahlen. Studierende aus Nicht-EU-Ländern, Doktoranden und Langzeitstudenten sollen sogar noch erheblich tiefer in die Tasche greifen, ohne dabei ein Darlehen aufnehmen zu dürfen. Obwohl bei der Ausarbeitung des Gesetzes weder Vertreter der Hochschulen noch Sprecher der Eltern- oder Studierendenschaft zu Rate gezogen wurden, bezeichnet der hessische Wissenschaftsminister Udo Corts die geplanten Gebühren als "fair, finanzierbar und sozial ausgewogen", da die Möglichkeit bestehe, die erforderlichen Beträge durch die Aufnahme eines verzinsten Darlehens abzudecken. Hessenweiter Protest Aus den Unis schallt nun heftige Kritik. Das geplante Gesetz verstärke die soziale Selektion, sei diskriminierend und verstoße zudem gegen die hessische Verfassung und die Sozialcharta der Vereinten Nationen. Bildung, so heißt, sei ein originär öffentliches Gut, das jedem zugänglich sein müsse und nicht der privatwirtschaftlichen Marktlogik unterstellt werden dürfe. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des umstrittenen Gesetzestextes organisierte sich landesweit Widerstand gegen die Gebührenpläne der CDU-Regierung. Innerhalb kürzester Zeit wurden Flugblätter verteilt, Infoveranstaltungen gehalten und Demonstrationen geplant. Tausende gingen seitdem in ganz Hessen auf die Straße, Autobahnen, Schienen und Gebäude wurden besetzt, wütende Studenten skandierten "Bildung für alle, sonst gibt's Krawalle". In Darmstadt gründete sich der "Udo-Corts-Fanclub", dessen ironiegetränkte Homepage über wichtige Termine des Wissenschaftsministers informiert und mittlerweile vom Staatsschutz beobachtet wird. Egal, wohin es Corts und seine Parteifreunde seitdem verschlägt, der "Fanclub" ist immer schon da. "Keine Alternative" Die Landesregierung, offensichtlich überrascht von derart heftigem Widerstand, versucht nun, die Proteste zu entschärfen und fordert die Versachlichung der Debatte um Studiengebühren. Doch die von den Regierungsvertretern signalisierte Gesprächsbereitschaft ist in den Augen vieler Studierender nicht mehr als eine medienwirksame, aber leere Versprechung. Denn die hessische CDU ist bisher lediglich bereit, über Detailfragen zu diskutieren und verweigert Gespräche über einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Hochschulpolitik. An allen hessischen Universitäten gibt es mittlerweile Arbeitskreise und Diskussionsforen, in denen die Gebührengegner über Alternativen zur privaten Bildungsfinanzierung debattieren, doch ihre Ergebnisse stoßen in Wiesbaden nach wie vor auf taube Ohren. "Die Grundsatzentscheidung über die Erhebung von Studiengebühren ist gefallen", betont Roland Koch, und Wissenschaftsminister Udo Corts meint schlicht: "Es gibt keine Alternative". Die Antwort der Gebührengegner: In einer Nacht- und Nebelaktion klettern fünf Studierende auf das Dach des Wiesbadener Landtags und hissen ein Banner. Die Botschaft an den Ministerpräsidenten ist eindeutig: "Schluss mit lustig, Herr Koch!". Vorbild Frankreich Immer öfter verweisen die Demonstranten auf ihre Kommilitonen in Frankreich, die erst kürzlich so lange gegen ein geplantes Gesetz zur Lockerung des Kündigungsschutzes auf die Straßen gezogen waren, bis die Regierung einlenkte. "Wir müssen Druck machen", sagt Lena Behrendes, Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Marburger Philipps-Universität. "Wir haben in Frankreich gesehen, dass Gesetzentwürfe gekippt werden können, wenn der politische Druck groß genug ist. Wenn ich sehe, dass die Landesregierung mit Menschenrechten bricht, sehe ich es nicht mehr als Recht, sondern als Pflicht an, dagegen etwas zu unternehmen." Wie ernst diese Pflicht auch außerhalb der Schulen und Universitäten genommen wird, zeigt ein Blick auf das breite Spektrum der Gebührengegner. Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und viele andere große und kleine Verbände beteiligen sich an den Protesten. Sogar aus dem unmittelbaren Umfeld des Wissenschaftsministers regt sich Widerstand: in einem öffentlichen Schreiben solidarisiert sich der Hauptpersonalrat des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst mit den Studenten. Selbst bei radikaleren Aktionen scheint die Sympathie aus der Bevölkerung nicht abzureißen: Autofahrer, die mitunter stundenlang auf blockierten Straßen warten müssen, zeigen sich verständnisvoll, Imbissbudenbesitzer schleusen eingekesselte Demonstranten heimlich an der Polizei vorbei, Hausbesetzer werden von den Bauern der umliegenden Dörfer mit Obst und Gemüse beschenkt. Ministerin im Kampfanzug Zu einer der bislang spektakulärsten Protestaktionen kam es vor einigen Wochen, als Marburger Studierenden die Teilnahme an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit der hessischen Kultusministerin Karin Wolff verwehrt wurde. Während die Ministerin drinnen über die Zukunft des Bildungsstandorts Hessen referierte, wurde draußen vor der Tür mit Trommellärm, wütenden Sprechchören und stundenlangem Pfeifen zunächst akustisch aufgerüstet. Schließlich gelang es den etwa 500 Demonstranten, trotz massiven Polizeiaufgebots das Gebäude zu umstellen und die Ministerin mehr als zwei Stunden lang festzusetzen. Erst in den späten Abendstunden konnte Frau Wolff den Veranstaltungsort verlassen - verkleidet als Polizistin in voller Einsatzmontur. Aus Angst, Aktionen wie diese könnten sich vor den Augen der internationalen Presse wiederholen, kündigte der hessische Polizeichef nun an, bei möglichen Protesten während der WM härter durchzugreifen. Einschüchtern lassen werden sich die Gebührengegner davon wohl kaum. "Die Fußball-WM", heißt es aus dem Marburger AStA, "kann kein Grund sein, legitimen Protest gegen ungerechtfertigte Gesetze zu unterbinden.". Zudem wisse man eben sehr genau, wie schnell eine öffentliche Auseinandersetzung um ein ausgewiesen ausländerfeindliches Gebührenmodell das Image eines weltoffenen Gastlandes zerstören kann. Die Strategie ist daher denkbar einfach: "Wenn die Politik um ihr Image fürchtet, sind wir auf dem richtigen Weg." |