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Der CPE - oder was davon übrig blieb
WIRTSCHAFT | PROTESTE (15.04.2006)
Von Ulrike Marx
Seit Wochen wird auf Frankreichs Straßen demonstriert. Fahnen und Plakate flattern im Frühlingswind. Zuerst sah man die Studenten, dann kamen auch andere dazu. Als eines Tages der Bahnhof geschlossen war, fragte ich mich, worum es hier eigentlich wirklich geht.

U. Marx

Frankreich, ein Land, in dem das Volk noch auf die Barrikaden geht. (c) U. Marx

Tritt ein Neuling in Frankreich seine erste Stelle in einem privaten Unternehmen an, wird zunächst einmal ein befristeter Arbeitsvertrag, ein sogenannter CDD (Contract á Durée Determinée), unterzeichnet. Dieser kann weitere zwei Male verlängert werden, bevor er von einem unbefristeten CDI (Contract à Durée Indeterminée) abgelöst wird. Und wenn alles gut läuft, wartet man dann einfach auf die Pensionierung.

Was seit Anfang des Jahres die Gemüter so erhitzt, verbirgt sich hinter den drei Lettern CPE (Contract de premier employ). Das geplante Gesetz über diese neue Art von Arbeitsvertrag wurde nun am 11.April nach andauernden Protesten endgültig verworfen. Der CPE sollte planmäßig CDD und CDI ersetzen und es sowohl dem Arbeitgebenden, als auch dem Arbeitnehmenden ermöglichen, das Verhältnis während der ersten beiden Jahre unbegründet auflösen zu können. Heftige Gegenwehr von Seiten der Bevölkerung drängte die französische Regierung zunächst dazu, den CPE auf die Dauer von einem Jahr runterzuschrauben.

Für die einen schien das eine akzeptabel Lösung zu sein, für andere war es noch lange kein Grund, die Demonstrationen abreißen zu lassen. Jede Woche kamen mehr Menschen auf der Straße. Viele schlossen sich den Protestlern inzwischen aus ganz anderen Beweggründen an. Jugendliche wollten gern einmal einen Stein werfen, anstatt zur Schule zu gehen. Universitäten blieben geschlossen und öffentliche Unternehmen, wie die französische Bahn, für die der CPE gar nicht bestimmt war, nutzten die willkommene Gelegenheit, um die ihnen rechtlich zustehenden 30 bis 60 Streiktage einzulösen. Somit sei auch der geschlossene Bahnhof erklärt. "Dieses ganze Chaos bringt Frankreich nicht gerade das beste Image ein. Und die Einjahresvariante wäre ein guter Kompromiss gewesen", meint der 24jährige Alexandre aus Lyon, der schönen Großstadt im Südosten. Der ohnehin schon unbeliebte Chaque Chirac mache sich nur noch unbeliebter und die Regierungsopposition wittere ihre Chance, sich anlässlich der bevorstehenden Wahlen im nächsten Jahr ins rechte Licht zu rücken, fährt er fort.

Im kommenden Oktober wird Alexandre sein Studium abschließen und blickt zuversichtlich auf seine berufliche Zukunft beim französischen Energieversorger EDF. "Wer seine Arbeit gut macht, gibt auch keinen Grund ab, einfach so gekündigt zu werden. Und warum sollte jemand, der schlecht arbeitet, Jahre oder jahrzehntelang unkündbar einen Posten besetzen, für den ein anderer besser geeignet wäre?". Dies, so sagt er, wäre beispielsweise ein Grund für die oftmals schlechte Qualität der Lehrer hierzulande. "Die Leute schreien nach lebenslanger Sicherheit. Sie wollen eine Garantie." Doch das entspräche nicht seiner Vorstellung von einem Arbeitsleben. "Wenn ich aus gutem Grund gehen soll, dann hatte ich eine gute Zeit dort und werde eine neue woanders haben." Einige Monate bleibt er der Universität noch erhalten, doch wie sieht die Lage dort eigentlich aus?

Bei einer internen Abstimmung sprachen sich ganze 80 Prozent gegen eine vorübergehende Schließung aus. Sein Freund Francois aus Angers dagegen kann die Hochschule seit zwei Monaten nicht betreten, worum ihn angesichts ein oder zwei verlorener Semester längst niemand mehr beneidet. Doch seit ein paar Tagen hat der CPE-Spuk nun ein Ende und das protestierfreudige Volk hat letztendlich erfolgreich sein Interesse durchgesetzt. Der Bahnhof war heute jedoch schon wieder geschlossen.
   





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