Hochschulen in der freien Welt des Marktes
WIRTSCHAFT | BEMERKT (15.02.2007)
Von iley Redaktion | |
Wer die hochschulpolitische Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass Politiker und Rektoren immer öfter von der neuen Autonomie und Freiheit der Hochschulen gesprochen haben. Eines der Worte, die im Gefolge der proklamierten Freiheit auftauchten, ist das Hochschulmarketing. Eben zu jenem Thema luden das zum Bertelsmann-Konzern gehörige Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und die Wissenschaftliche Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung im Januar nach Münster zu einer Tagung. Die mit langen akademischen Rangbezeichnungen vor ihren Namen versehenen Referenten bekleiden allesamt Rektorenwürden oder leitende Positionen in den Presseabteilungen ihrer Universitäten. Das Publikum kam ebenfalls zum größten Teil aus der Praxis. Hochschulen der ganzen Republik hatten ihre Vertreter geschickt, damit diese mit gezücktem Bleistift die dargebotenen Erfahrungen aufnehmen konnten, als das die eigene Hochschule nicht zurück bleibe in dem neu ausgerufenen Wettbewerb der Universitäten. Optimierte Verwertbarkeit von Wissen Doch was machte den Kongress so spannend, dass an dieser Stelle auch nicht mit universitärer Pressearbeit beschäftigten Menschen ein Weiterlesen zu empfehlen ist? Der Einfluss von Wirtschaftsunternehmen auf die Lehre und die Forschung an Hochschulen wächst. (c) Ansgar Lorenz - der Banner-Macher dieser Ausgabe Decodiert bedeutet dies einen Prozess der Anpassung an die alle Lebensbereiche erobernde und kolonialisierende kapitalistische Wirtschaftsform. Dieser Vorgang erstreckt sich auf drei Ebenen: auf die Form des Wissens, auf die Institution Universität und auf die dort tätigen Studierenden und Forschenden. Die Form des Wissens brachte der auch vortragende Rektor der Universität Bremen, Prof. Dr. Müller, auf den Punkt: "Konstruktives statt kritisches Wissen". Die neue Form des Wissens ist vollkommen technisch. Sie hat keinen Zweck an sich, sondern ist nur ein Mittel zum Erreichen eines Zieles, nämlich zur weiteren Expansion der kapitalistischen Warenproduktion. Ein objektiv gesetztes und am Menschen ausgerichtetes Ziel der Forschung kann es nicht mehr geben. Das Denken selbst ist jeglicher Reflexion entledigt und darauf beschränkt, innerhalb des vorgegebenen Rahmens rein technischen Fortschritt zu generieren. Die Institution Universität bekommt innerlich und äußerlich die Struktur eines Unternehmens. Die Autonomie und Mitbestimmung der einzelnen Fachbereiche oder gar der Studierenden wird durch eine starke, autoritäre Führung, wie sie nun auch im nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz festgeschrieben ist, abgeschafft. Der auf den Titel "unternehmerischste Universität" stolze Präsdient der Freien Universität (FU) Berlin Lenzen erläuterte diesen Punkt an Hand der nunmehr uniformen Außenwirkung seiner Hochschule. Um das bislang vorherrschende Bild einer "linken, schmutzigen Stadtranduniversität" zu verändern wurde konsequent ein so genanntes "Branding" betrieben, um zum Beispiel mit Hilfe eines detaillierten Handbuches für den Siegelgebrauch bis in die letzte Nische der Universität ein einheitliches Bild zu erzwingen. Als Lenzen von der Gefährlichkeit eines "aus der Reihe Tanzens" hinsichtlich der Außenwirkung redete, kam mir unwillkürlich die doppelte Wirksamkeit der im 18. Jahrhundert aufkommenden uniformen Kleidung der Soldaten in den Sinn. Zum einen sollte die Uniform den kollektiven Geist der Soldaten stärken und sie zu einem von Emotionen gelösten Teil einer größeren Kriegsmaschine machen, zum anderen aller Welt klarmachen, wem der vollkommen durch seine Funktion definierte Mensch gehörte. "Mehr Leadership" Auch an den Studierenden darf nach Aussage der Referenten der Umgestaltungsprozess der Hochschulen nicht vorbeigehen, auch sie müssen sich anpassen. Die Erhebung von Studiengebühren soll zu einer Studienfachwahl entsprechend den Verwertungsbedürfnissen der Wirtschaft führen und den durch weiterhin hohe Einschreibungszahlen in den Geisteswissenschaften manifestierten Willen der einzelnen Menschen brechen. Hinsichtlich der Forschenden gilt es, die Idee der Freiheit in Forschung und Lehre "großzügiger und mehr im Sinne der Hochschule als des Einzelnen auszulegen", so Prorektor Baaken. Auch die Hochschulen sollen den Prozess der Arbeitsteilung und Entpersonalisierung von Verantwortung umsetzen, der ein Kennzeichen hochkomplexer kapitalistischer Gesellschaften ist und der mit dazu beiträgt, die verheerenden Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf die Menschen zu verschleiern und auf rein technische Probleme zu reduzieren. Der einzelne Studierende wird in diesem Modell auf einen Computer im Herstellungsprozess reduziert. In möglichst geringer Zeit soll er rational und "vernünftig" mit möglichst vielen technischen Programmen ausgestattet werden, um so bald als fertiger Computer seinerseits neue Aufgaben mit rein mathematisch-technischer Intelligenz lösen und neue Computerherstellungsprozesse entwickeln und begleiten zu können. Der forschende Mensch verkümmert zur Maschine und verliert die Fähigkeit zur Reflexion. Die Schlussworte von Prof. Kirchgeorg von der Handelshochschule Leipzig zeigten dann, bis auf den euphemistischen Anglizismus, doch noch unverschlüsselt die eigentliche Konsequenz der totalen Anpassung an die Welt des Marktes. Sie bedeutet nichts anderes als die Durchsetzung autoritärer Herrschaftsformen in allen Nischen der Gesellschaft: "Wir brauchen mehr Leadership." Oder zu Deutsch: "Wir brauchen mehr Führerschaft." (js) |