Marktabhängigkeit ist keine Hochschulfreiheit
POLITIK | KOMMENTIERT (15.10.2007)
Von Christoph Buttwegge | |
Am 1. Januar 2007 ist das nordrhein-westfälische Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) in Kraft getreten und hat einen "Paradigmenwechsel" (so Innovationsminister Andreas Pinkwart) in der Wissenschaftspolitik des Landes eingeleitet. Autor Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft. (c) privat Die schwarz-gelbe Landesregierung, erst gut zweieinhalb Jahre im Amt, befindet sich im Reformfieber und kultiviert auch legislativ einen Wettbewerbswahn. Bei dem "Hochschulfreiheitsgesetz", das die wirklichen Absichten seiner Urheber schon im Namen durch einen wahrhaft Orwell'schen Neusprech verdeckt, geht es um eine bessere Marktgängigkeit der nordrhein-westfälischen Hochschulen, was aber mehr Marktabhängigkeit und damit für die Beschäftigten wie für die Studierenden weniger Freiheit bedeutet. Man tut geradezu so, als hätten die Hochschulen bisher unter der Knute der Düsseldorfer Ministerialbürokratie gestanden und würden nunmehr in das "Reich der Freiheit" entlassen. Dabei hört man den Fuchs förmlich nach Freiheit für die (im Stall geschützte) Gans rufen, um sie desto leichter fassen und besser fressen zu können! Wirtschaft und Wissenschaft werden enger verzahnt, die Universitäten der Tendenz nach zu Unternehmen gemacht. Hochschulen sollen eigenes Vermögen bilden, Kredite aufnehmen, Firmen gründen und mit Liegenschaften handeln. Die den Hochschulen in diesem Reformkonzept gewährte Finanzhoheit ("Budgetierung") bringt ihnen kaum mehr als eine Scheinautonomie, welche sie zwar aus der Bittstellerrolle gegenüber dem zuständigen Ministerium entlässt, ihnen aber nur umso heftigere Verteilungskämpfe innerhalb des eigenen Hauses beschert. Man kann jetzt zwar selbst entscheiden, muss aber eben auch einen Konsens darüber herstellen, wo der Rotstift im Falle knapperer Ressourcen angesetzt wird. Denn künftig bestimmt noch stärker, wer Geld hat und bezahlt. Findet eine Hochschule weder kaufkräftige Kundschaft noch reiche Mäzene, fällt sie im sozialdarwinistischen Existenzkampf zurück. Ginge es nach Pinkwart und seinem ursprünglichen Gesetzentwurf, den das von der Bertelsmann Stiftung gegründete Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ausgearbeitet hatte, könnten Universitäten sogar pleite gehen. Freiheit der Bildung. (c) Aike Arndt Die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft gerät aus dem Blickfeld. Statt den Menschen zu dienen, muss sie fortan den Markt bedienen. Rankings zählen auf dem Weg zur Elitehochschule und zur Spitzenforschung, nicht mehr "normale" Hochschulmitglieder, ihre Bedürfnisse und beruflichen Perspektiven. Tauscht sie den Staat gegen die Großwirtschaft als Patron ein, gerät die Hochschule jedoch vom Regen in die Traufe. Von bürokratischen Auswüchsen, die viele dort Arbeitenden zu Recht beklagen, ist sie in Zukunft keineswegs frei - ganz im Gegenteil: Leistungskontrollen, Zertifizierungsagenturen und Evaluationsbürokratien erfordern womöglich mehr Sach- und Personalmittel als vorher. Neoliberale und Lobbyisten reduzieren die Rolle der (Hochschul-)Bildung darauf, eine Ware, ein "weicher" Standortfaktor bzw. ein Wachstumsmarkt zu sein. Die neoliberale Bildungsökonomie sieht im Hochschulbereich ein für marktwirtschaftliche Prinzipien geeignetes Feld, das sie der unternehmerischen Initiative öffnen möchte, und setzt vor allem auf finanzielle Leistungsanreize bzw. Konkurrenzdruck. Hinter diesem Konzept, das Markt, Leistung und Konkurrenz verabsolutiert, steckt ein zutiefst inhumanes Menschenbild: Leistungsschwache bzw. -unwillige müssen mittels massiven Drucks, der manchmal an Nötigung grenzt, gezwungen werden, "mehr aus sich zu machen", während Leistungsträger umgekehrt durch materielle Anreize motiviert werden sollen. Wettbewerb wirkt aber nur dann leistungsfördernd, wenn es nicht um die Vernichtung von Mitkonkurrent(inn)en geht, sondern gemeinsam und nach allgemein anerkannten, fairen Regeln um Verbesserungen gerungen wird. (Hochschul-)Bildung ist viel zu wichtig, um sie dem blinden Wüten der Marktkräfte zu überlassen. Vielleicht führt die Entdemokratisierung der Hochschulen zur Repolitisierung ihrer Mitglieder und zur Wiederaufnahme früherer, auf Emanzipation statt auf effektivere Profitproduktion gerichteter Reformdiskussionen. |