Das große Aussteigen - adé CHE
POLITIK | HOCHSCHULRANKING (14.11.2012)
Von Jörg Rostek | |
Vereinzelte Fachbereiche machen schon länger nicht mehr mit. Mittlerweile raten ganze Fachgesellschaften von dem bekannten CHE-Hochschulranking ab. An großen Universitäten wie Hamburg und Köln ist der Ausstieg beschlossene Sache. Die Uni Münster könnte bald folgen. Als Studierende im Dezember 2003 die Berliner Bertelsmann-Zentrale besetzten, riefen sie ihre Kritik laut ins Megafon: Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) sei kommerziell ausgerichtet, fördere Konkurrenz- und Elitendenken und fordert die Einführung von Studiengebühren. Zehn Jahre später ist die Kritik auch in wissenschaftlichen Gremien angekommen. Derzeit überlegt etwa der Senat der Uni Münster, dem CHE die kalte Schulter zu zeigen und sich künftig nicht mehr an seinem Hochschulranking zu beteiligen. Bunte Punkte - das umstrittene Ranking. (c) Aus dem aktuellen "Studienführer" der "Zeit" Vorwurf: Methodische Schwächen und Irreführung Grundlage der Ausstiegsargumentation bilden zwei Papiere, die unabhängig voneinander entstanden sind, aber die gleiche Kritik am CHE-Ranking aussprechen: eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) mit dem Titel "Wissenschaftliche Evaluation ja - CHE-Ranking nein" sowie eine "Ablehnung des CHE-Hochschulrankings" durch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden. Beide kommen zu dem Schluss, dass das Ranking "gravierende methodische Schwächen und empirische Lücken" aufweise. Bei der ungenügenden Datenlage, auf die sich das Ranking stütze, sei die "Bildung einer Rangreihenfolge kaum zu rechtfertigen". Auch und gerade das simplifizierende Ranking mithilfe der Ampelsymbolik führe, so die SoziologInnengesellschaft, "über die Dürftigkeit der Datenbasis in die Irre". Es suggeriere, "sich hierbei den massenmedialen Präsentationserfordernissen beugend, eindeutige und verlässliche Urteile, die durch die verfügbaren Daten keineswegs gedeckt" seien". Das Urteil könnte härter nicht ausfallen, wenn die DGS schreibt: "Es ist schon für sich genommen bedenklich, dass damit eine Irreführung derer betrieben wird (...), die sich für ein Studium der Soziologie interessieren (…)." Die DGS sieht auch die gesellschaftspolitische Bedeutung des Rankings äußerst kritisch: "Faktisch aber lädt es Fakultäts- und Hochschulleitungen sowie Ministerialbürokratien zu extrem simplifizierenden Lesarten ein, ja fordert diese geradezu heraus", schreiben die SoziologInnen. "Auf deren Basis können dann gegebenenfalls folgenschwere, jedoch sachlich unbegründete Strukturentscheidungen zur Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und zu ihren Studiengängen getroffen werden", warnen sie. Man müsse sich, um diese Tendenzen zu unterbinden "als Fach zur Wehr setzen". Falschen Eindruck vermeiden Nachdem Analysen und Diskussionen - auch mit "zuständigen Vertreterinnen des CHE keine Aussicht auf zukünftige wesentliche Verbesserungen des CHE-Rankings ergeben" hätten, fordere man "alle soziologischen Institute an deutschen Hochschulen dazu auf, nicht länger durch ihre Teilnahme an diesem Ranking den Eindruck zu erwecken, dass sie ein empirisches Vorgehen unterstützen, das die Soziologie aus fachlichen Gründen ablehnen muss". Es folgt ein Appell an "wissenschaftspolitische Entscheidungsträger auf Hochschul- und Ministeriumsebene, sich bei ihren Überlegungen und Interventionen zur Weiterentwicklung des Fachs Soziologie an seinen verschiedenen Standorten nicht länger auf Einschätzungen und Informationen zu stützen, die aus dem CHE-Ranking hervorgehen". Bereits 2011 sprach sich die Bundesvertretung der Medizinstudierenden gegen das CHE-Ranking aus und lehnte in einem Positionspapier "eine Zusammenarbeit mit dem CHE prinzipiell ab". Der finanzielle und personelle Aufwand, den das Ranking mit sich bringe, sei einfach zu hoch. "Die Mitarbeiter der Dekanate und Mitglieder der Fachbereiche müssen eine große Menge an Daten bereitstellen und viele Fragebögen beantworten. Dadurch werden Ressourcen zweckentfremdet, die ursprünglich Forschung und Lehre dienen sollten. Darüber hinaus wird die Unterfinanzierung einiger Hochschulen verschlimmert", so die Studierenden. Ein Instrument für "die entfesselte Hochschule" Die Kritik der angehenden MedizinerInnen war grundsätzlich: Sie kritisierten das Leitmotiv des CHE, "die entfesselte Hochschule", massiv. Es würde versuchen, die Hochschulen "wirtschaftlich", "autonom" und "wettbewerblich" zu gestalten und stünde damit im Widerspruch zur "öffentlichen Finanzierung der Hochschulen" und einem "gerechten Zugang zu Bildung". Das Ranking sei das perfekte Instrument, um die "entfesselte Hochschule" voranzutreiben. Denn erstens könne das CHE die Schwerpunkte setzen, die eine "gute" Hochschule auszeichnen. Zweitens drohe das Ranking, die Ungleichheiten zwischen Hochschulen, die es zu messen vorgibt, selbst zu erzeugen: Während positiv bewertete Universitäten durch das Ranking ihr Image und Bewerberzahlen weiter verbessern können, sinken im Gegenzug die negativ bewerteten weiter ab. Anstatt die Qualität der Hochschulen an allen Standorten zu verbessern, würden so einige wenige exzellente Universitäten geschaffen - auf Kosten aller anderen. Das CHE weist in einer eigenen Stellungnahme die Kritik zurück und hält entgegen, das eine Orientierung für Studierwillige immer wichtig werde. Der Autor ist studentischer Senator an der Universität Münster. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) wurde 1994 in Gütersloh von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz als gemeinnützige GmbH gegründet. Das CHE versteht sich als "Reformwerkstatt" für das deutsche Hochschulwesen. Das CHE-Hochschulranking existiert seit dem Jahr 1986. Es besteht aus einer Rangliste der universitären Standorte verschiedener akademischer Fachdisziplinen. Durch die seit 2005 stattfindende Veröffentlichung in der Wochenzeitung "Die Zeit" hat dieses Ranking eine hohe öffentliche Wahrnehmung erhalten. Die Stellungnahmen zum Download "Wissenschaftliche Evaluation ja - CHE-Ranking nein" - die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), Juni 2012 - die Kurzfassung.pdf Die Langfassung.pdf "Ablehnung des CHE-Hochschulranking" durch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Juni 2011.pdf "Erwiderungen des CHE auf die Stellungnahme der DGS zum CHE Hochschulranking", Juli 2012.pdf |