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Die Macht der Hochschulräte
POLITIK | BILDUNGSREPUBLIK (15.05.2012)
Von Michael Billig
Die Hochschulen fordern mehr Autonomie. Und sie bekommen sie. Allerdings droht die gewonnene Freiheit bei den Hochschulräten zu enden.

Die alte Universität verwandelt sich in eine "unternehmerische Hochschule". Eines aber bleibt wie immer: Die Kassen sind klamm. Dass die Hochschulen mit Geld möglichst effizient umgehen, dafür fühlen sich die Hochschulräte zuständig. Diese Aufsichtsgremien sind ein fragwürdiges Ergebnis der letzten Reformjahre. An fast allen Hochschulen der Republik thronen sie über Wissenschaftlern und Studierenden.

Uni Münster bekommt Spardiktat verordnet

Wie weit ihr Einfluss geht, zeigt aktuell ein Beispiel an der Universität Münster. Der Hochschulrat hat dort der Uni einen Sparkurs verordnet. Der Haushalt sah für dieses Jahr ein Minus von 16,8 Millionen Euro vor. Die Uni wollte die doppelten Abitur-Jahrgänge in Nordrhein-Westfalen abwarten und die Haushaltslücke bis 2015 schließen. Der Hochschulrat intervenierte.
Die Uni muss nun auf 8,5 Millionen Euro, die bereits verplant waren, verzichten. Den Großteil will sie in der Verwaltung einsparen. "Der Hochschulrat hat das Rektorat ermuntert, das Defizit jetzt abzubauen", sagt der Uni-Sprecher. Seine Worte beschönigen die Situation.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Hochschulrat Druck ausgeübt hat. Er hätte dem Wirtschaftsplan die Zustimmung verweigern können. Ein solcher Eklat wäre in der noch jungen Geschichte der Hochschulräte einmalig in NRW, wie eine Sprecherin des Düsseldorfer Wissenschaftsministeriums bestätigt.

Einfluss variiert von Land zu Land

Die Regeln, wie weit die Macht der Hochschulräte reicht, sind von Land zu Land unterschiedlich. Überall, wo es sie gibt, sprechen sie ein entscheidendes Wort mit, wenn es um die Besetzung der Hochschulleitung geht. Mancher Kandidat ist schon an ihnen gescheitert. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Einführung der Hochschulräte eine Kann-Bestimmung. "Fünf von sechs Hochschulen haben einen Hochschulrat", sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Bremen verzichtet als einziges Land gänzlich auf Hochschulräte. "Wir und auch die Hochschulen haben sie nicht als notwendig erachtet", sagt Walter Dörhage von der Abteilung Wissenschaft des Bremer Senats. Die vier Hochschulen im Stadtstaat besäßen dennoch eine hohe operative Autonomie.
Als Land mit starker Hochschulautonomie gilt NRW. Das 2007 unter Schwarz-Gelb eingeführte sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz sieht eine globale Mittelverteilung vor. Die Hochschulen verwalten ihr Geld komplett selbst. Sie können Professoren berufen, ohne eine Genehmigung des Ministeriums einzuholen. Sie können eigene Schwerpunkte in Forschung und Lehre setzen. Die Hochschulleitungen haben insgesamt an Autorität und Entscheidungsgewalt gewonnen. Über ihnen stehen nur die Hochschulräte. Der Staat, das Ministerium ist bei vielen Entscheidungen außen vor. Dafür hat eine andere Kraft den Fuß in die Tür bekommen: die Wirtschaft.

Hinter verschlossenen Türen

Von allen Hochschulratsmitgliedern bundesweit kommt rund ein Drittel aus der Wirtschaft. Das hat eine Studie der Uni Bochum bereits vor vier Jahren ergeben. Studierende, Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbände sind in den Aufsichtsgremien kaum anzutreffen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich an der wirtschaftsfreundlichen Quote etwas geändert hat.
Manche nicken nur ab, andere machen ihren Einfluss geltend. Was in den Hochschulräten konkret abläuft, ist geheim. Die Sitzungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Die Öffentlichkeit muss draußen bleiben. In NRW sind Hochschulräte nicht mal abwählbar. Sie können sich nur selbst absetzen.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fordert, dass die Kontrollgremien mindestens zur Hälfte aus externen Mitgliedern bestehen sollen. "Die Hochschulen wünschen sich den Hochschulrat als strengen Freund, der mit der Hochschulleitung vertrauensvoll und kompetent im Sinne ihrer optimalen Entwicklung zusammenarbeitet“, sagte Margret Wintermantel kurz vor Ende ihrer Amtszeit als HRK-Vorsitzende.

Warnung vor Entmachtung

Die Hochschulräte selbst stellen sich als "unabdingbare Organe einer autonomen Hochschule" dar. In einem Positionspapier warnen sie vor ihrer Entmachtung. Sie seien erforderlich, um die Finanzen zu kontrollieren. 40 Hochschulratsvorsitzende haben das Papier, das eine Reihe weiterer Gründe für ihren Machterhalt aufzählt, unterschrieben. Sie versprechen "größtmögliche Transparenz", lehnen öffentliche Sitzungen aber weiterhin ab.
Mitinitiatorin dieses Apells ist ausgrechnet die SPD-Politikerin Annette Fugmann-Heesing. Die Hochschulräte sind in ihrer Partei besonders umstritten. Doch wer will der ehemaligen Berliner Finanzsenatorin und Ex-Finanzministerin von Hessen ihren Vorstoß verdenken: Sie sitzt an der Uni Bielefeld selbst einem Hochschulrat vor.
   




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