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Unbildung als Projekt der Gegenaufklärung
KULTUR | LEKTÜRE von K. P. Liessmann (14.12.2009)
Von Jörg Rostek
Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann hat ein beachtliches Buch geschrieben. Es liefert der aktuellen Bildungsdebatte zwar keine neuen Erkenntnisse, beschreibt aber den Großteil der aktuell diskutierten Missstände konsequent und beleuchtet, wessen Geistes Kind sie sind.

Durch seine lockere Schreibe und seine populären Bezüge gelingt es Liessmann, die Debatte aus dem Elfenbeinturm Universität herauszuholen und sie allgemein zugänglich und verständlich zu machen. Wer sich mit den Themen Bildung und Kritik am herrschenden Bildungssystem auseinandersetzen möchte, der erwerbe und lese Liessmanns "Theorie der Unbildung".

Geschichtsexkurs beim Bildungsbegriff

Leserinnen und Leser, die meinen, sich in der Bildungsdebatte auszukennen, werden bei der Lektüre auch ihre Freude haben. Denn Liessmann beschreibt nicht nur die "Irrtümer der Wissensgesellschaft", sondern liefert darüber hinaus einen kleinen Geschichtsexkurs über die vergangenen Betrachtungsweisen des Bildungsbegriffs: Wo früher humboltsche Bildung angestrebt wurde und Adorno die Zustände als Halbbildung enttarnte, sei heute, so Liessmann, Unbildung auf der Tagesordnung. Warum dies so sei erklärt er mit einer eindrucksvollen Einfachheit, an der Adorno sich hätte ein Beispiel nehmen können. Klarheit ist es, was dieses Buch mitunter auszeichnet.
J. Rostek

(c) J. Rostek

Liessmann hat es gar nicht nötig, sich durch wissenschaftliche Fachausdrücke zu beweisen, sondern, er hat etwas zu sagen. Angenehm, dass er bei seiner Kritik am Buch "Bildung - alles was man wissen muss" (Autor: Dietrich Schwanitz) die Kanondebatte außen vorlässt. Erfrischend, wie er es schafft, eine Quizshow wie "Wer wird Millionär?" auseinanderzunehmen, ohne überheblich zu wirken.

Liessmann ist Professor an der Universität Wien. Auch er leidet unter den Zuständen dort. Wohl deshalb ist es ihm ein Bedürfnis, Begriffe wie Wissenschaftlichkeit und Wissensmanagement zu schärfen und sie gegeneinander zu stellen. Er analysiert die Degradierung des deutschen Bildungsbegriffs und kritisiert die Bildungs- und Wissensvermittlung.
Dabei schafft Liessmann es, frei von Polemik und argumentativer Verflachung komplexe Sachverhalte darzustellen. Der Verfall der Bildung, stellt Liessmann fest, zeige sich dabei am deutlichsten in den Bildungseinrichtungen selbst. Dort sei zwar von Wissen die Rede, das habe mit Verstehen jedoch nichts zu tun. Im Gegenteil: auch dort wehe der Geist der Unbildung und dieser bedeute, den "Verzicht darauf überhaupt verstehen zu wollen".

Fetischisierung der Ranglisten

Ausdruck und Symptom dieser Entwicklung sei die Fetischisierung der Ranglisten, auch Rankings genannt. Beim Versuch der Qualitätssicherung gehe es nicht mehr um Qualitätssicherung, sondern darum, Qualität in Quantität aufzulösen. So entstehe ein "normativer Charakter", der alle Beteiligten zwinge, sich ihm zu unterwerfen, was die Umstrukturierung der Bildungslandschaft begünstige. Elitenbildung, ECTS-Punkte, Controllinginstrumente und Evaluierungen seien weitere Instrumente, mit denen die Unbildung in den Bildungsanstalten Einzug erhalte und kultiviert werde. Aufklärer, wie Schiller und Kant, würden heute, so stellt Liessmann trocken fest, in einem solchen System ausgesiebt, weil sie den gesetzten Kriterien der Unbildung nicht entsprächen. Sie würden einfach von dem Projekt der Gegenaufklärung wegreformiert. So wie der Bildungsanspruch, den sie einst lebten, niederschrieben und in die Köpfe der Menschen trugen.
Doch Liessmann bleibt auch hoffnungsvoll: Verwundert stellt er fest, dass trotz der vorherrschenden Reformtyrannei der Politik und der Schikanen einer immer infantiler und ignoranter werdenden antiwissenschaftlichen Desinformationsgesellschaft der Kampf um die Verwirklichung eines ganzheitlichen Bildungsideals weiter existiert und sich bemerkbar macht.

Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung - Irrtümer der Wissensgesellschaft, Piper Verlag, München, 2009, Taschenbuch, 175 Seiten, 7,95 Euro

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