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Bildung für umsonst
GESELLSCHAFT | STANDPUNKT (30.05.2011)
Von Frank Fehlberg
Gut ausgebildete und dennoch unter prekären Verhältnissen lebende junge Spanier haben erkannt: Bildung macht nicht satt. In Deutschland hingegen hält das Bildungsversprechen der Politik die Menschen vom Aufbegehren ab. Dabei ist es nicht mehr als ein Placebo.

Tomas Herreros

BASTA! Tausende junge Spanier protestieren gegen die Wirtschaftspolitik ihres Landes. Sie finden trotz guter Bildung keine Jobs. (c) Tomas Herreros

Spaniens gebildete Jugend überrascht Europa mit ihrem Aufbegehren gegen die Folgen jahrelanger schlechter Politik, wirtschaftlicher Schieflage und die neuesten Sparprogramme durch die Finanzkrise. Gerade auf der iberischen Halbinsel steht eine der absurdesten Immobilienspekulationen der letzten Jahrzehnte als Paradebeispiel für eine Volkswirtschaft, die kaum noch auf reale Wertschöpfung gestützt ist.

Vorsprung durch Bildung?

Die Länder des Westens haben sich der Auslagerung von Produktionskapazitäten verschrieben, wollen attraktive Standorte für die Finanzwirtschaft sein, ohne zu bemerken, dass diese mit der Realwirtschaft seit längerem nur noch sehr bedingt in Zusammenhang steht. In den USA spricht man von „Deindustrialisierung“, Großbritannien achtet ausschließlich auf seinen Ruf als „Finanzplatz“, im ohnehin unruhigen Frankreich will man „wettbewerbsfähiger“ werden, um die Industrie zu halten. Deutschland, als erfolgreiche Exportnation, scheint noch eines der helleren Lichter des „postindustriellen“ Zeitalters zu sein – die Deutschen setzen auf ihren Bildungsvorsprung.

Minderleister - realwirtschaftlich gesehen

Seit sich die deutsche Öffentlichkeit an Begriffe wie „Dienstleistungs-“ und „Wissensgesellschaft“ zur Beschreibung des Niedergangs der industriellen Wertschöpfung gewöhnt hat, haben sich einstmals hehre Ziele wie „Bildung“ und „Wissen“ in handfeste Faktoren des wirtschaftlichen Überlebens gewandelt. Wer nur genug gebildet ist, so das Versprechen, der wird seinen Weg in der Welt des 21. Jahrhunderts schon gehen.
Dieser Bildungsbegriff hat nichts mehr mit Freiheit, unabhängigem Denken und forschender Neugier zu tun. Er ist nur mehr die bloße Verheißung einer gesicherten Existenz im Wettbewerb der realwirtschaftlichen Minderleister.
In den wütenden Protesten der gut ausgebildeten und dennoch prekär lebenden jungen Spanier offenbart sich nun der Selbstbetrug, der hinter den „Bildungsoffensiven“ der letzten Jahre auch in Deutschland steckt. Das lapidare Fazit, das man allen Bildungsfanatikern nur wärmstens ans Herz legen kann: Bildung ist kein Butterbrötchenbaum.

Zu große Bürde

Von Bildung kann man nicht leben. Sie ist nicht essbar und heizt die Wohnung nicht. Ihr ökonomischer Wert ist auch keine Konstante außerhalb der sträflich missachteten und unkontrollierbar globalisierten Realwirtschaft. Allein der Bildung die Rettung unserer fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik aufzubürden ist in etwa so aussichtsreich, wie dem Finanzkapitalismus zuzutrauen, er sei Gradmesser und Schrittmacher der wirtschaftlichen Fortentwicklung.
Lösungen des Missverhältnisses zwischen den Bedürfnissen echter Menschen und vermeintlichen ökonomischen Naturgesetzen der Rationalisierung müssen am Kern des Problems ansetzen. Ohne die Erhaltung, Restauration oder Neuschaffung eines demokratischen und sozialen Gemeinwesens, das nicht durch eine massive Interessen-Schlagseite aus dem Gleichgewicht fällt, wird es keine angemessene Würdigung von jeglicher Arbeits- und Kreativkraft geben. Nicht von ungefähr fordert man in Spanien die „wahre Demokratie“ abseits von Parteiinteressen und kurzfristigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Bildung verheißt Karriere - von wegen

Der von Absturz- und Verarmungsangst geschüttelte Mittelstand in Deutschland muss begreifen, dass er nicht durch Anpassung an die Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft seinen Status sichern kann, sondern indem er für das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft eine Bresche schlägt. „Bildung“ verheißt für diejenigen Deutschen, die noch Hoffnung auf Erhaltung und Steigerung ihres Lebensstandards hegen, Karriere. „Karriere“ wiederum verspricht Anerkennung und Geldsegen.
Vom ungelernten Allzweck-Tagelöhner bis zum Akademiker am Existenzminimum schlägt sich das Prekariat des postindustriellen Zeitalters aber meistens mit ernsteren Problemen herum: fehlende Arbeitsperspektiven, Niedriglöhne, ausbeuterische Arbeitsverträge, private Planungsunsicherheit, schließlich Arbeitslosigkeit und schmerzlich empfundene wirtschaftliche und alsbald persönliche Wertlosigkeit. Das Bildungsversprechen der Politik ist das Placebo, das in Deutschland – immerhin noch besser als in Spanien – die Mittelschicht vom Aufbegehren abhält.

Wahre Aufgabe von Bildung

Eine neue solidarische Bewegung ist vonnöten, um in der Politik den Interessen der abgehängten und gefährdeten sozialen Schichten Gehör und Einfluss zu verschaffen. „Der Staat“ gilt den allermeisten als der Inbegriff eines trägen und verschwenderischen Machtsystems zur Unterdrückung privater Freiheiten. Es braucht wieder Idealisten, die ihn für die organisatorische Instanz einer Gemeinschaft Gleichberechtigter halten und die an ihre und damit seine Gestaltungskraft im Sinne aller glauben. Ein demokratischer Staat kann nur ein sozialer sein.
Es muss einen Weg geben, dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben gesündere Entfaltungsmöglichkeiten und eine menschengerechte Ordnung zu geben. Die Mitwirkung an der Suche nach diesem Weg ist eine weitaus wichtigere Aufgabe für die Bildung als die sklavische Erfüllung von Wirtschaftsstandards und das Spielen einer gesellschaftspolitischen Nebenrolle als Standortfaktor. In Spanien regt sich etwas in dieser Richtung.
   











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