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Verlorene Jahre in NRW
POLITIK | STANDPUNKT zum Schulkonsens (30.09.2011)
Von Kurt Stiegler
Der von der Landesregierung NRW zusammen mit der CDU getroffene "Schulkonsens" ist mehr als enttäuschend. Er raubt den Kindern aus unterprivilegierten Schichten abermals die notwendigen Selbstverwirklichungsperspektiven.

Hatten wir in der Diskussion um die Abschaffung der Studiengebühren noch festgestellt, dass diese eine Bildungshürde darstellten, so gilt dies doch wohl auch für das mehrgliedrige Schulsystem. Aus dieser Erkenntnis ist es unverständlich, warum die SPD und die Grünen in NRW sich darauf eingelassen haben, durch die Schaffung der Sekundarschule eine zusätzl. Schulform einrichten zu wollen, die als nochmaliges Experiment für zwölf Jahre festgeschrieben werden soll. Weitere zwölf verlorene Jahre.
Gerade das Ruhrgebiet mit seiner spezifischen Strukturanpassungsproblematik wird mit dieser halbherzigen Schulreform auch zukünftig in einer degradierten Situation verharren. Wie angespannt sich in dieser Kernregion NRWs die Lage inzwischen darstellt, lässt sich aus der Darstellung eines Berufsschullehrers aus Bochum belegen, der mir gegenüber Folgendes zum 'Besten' gab: "Die Situation dürfte im Verlauf der nächsten zehn Jahre leider derart eskalieren, dass man hier einen Zaun 'drum macht, und der Letzte den Schlüssel wegschmeißt."

Schulpolitik eignet sich nicht für Kompromisse

Dieser (faule) Kompromiss ist weit entfernt von Rot/Grünen Wahlkampfversprechen einer "Schule für Alle", aus der Einsicht, dass eben nicht nur AbiturientInnen das Recht auf Emanzipation durch Bildung haben, sondern auch die heutigen Haupt- und RealschülerInnen. Sie sollten aus Ihrer politischen Erfahrung wissen, dass sich nicht alle Politikfelder für Kompromisse eignen. Gerade die Schulpolitik als zentrale Daseinsvorsorge für zukünftige Generationen darf ausdrücklich nicht aus der Perspektive eines Spielballs der Parteien betrachtet werden, selbst wenn die CDU (vor allem in NRW) aus durchsichtigen Motiven damit zu spielen beliebt.
Auch eine vermeintliche Minderheitsregierung sollte nicht jedes Politikfeld dazu nutzen, um sich die Zustimmung zum Landeshaushalt dauerhaft zu erkaufen. Wer Angst vor dem perspektivischen Regieren hat, sollte es lieber sein lassen. Dies trifft nicht nur auf die Fraktion der SPD in NRW zu, sondern auch auf die Grünen/Bündnis90 im Landtag.

Jetzt sechs Schulformen zur Auswahl

Mit meiner Kritik am nordrhein-westfälischen Schulkonsens stehe ich nicht allein. So kritisiert selbst Marianne Demmer von der GEW diesen Konsens.
"In Nordrhein-Westfalen (NRW) ist das ‚anything goes‘… bereits zur Grundlage eines schulpolitischen Konsenses zwischen rot-grüner Minderheitsregierung und CDU-Opposition geworden. Danach wird die Entscheidung über die Schulstruktur in die Zuständigkeit der Kommunen verlagert. Diese haben demnächst sechs(!) Schulformen in der Sekundarstufe eins zur Auswahl: Sonder/Förder-, Haupt-, Real-, Integrierte Gesamt- sowie Sekundarschulen, die keine eigenen Oberstufen haben dürfen und Gymnasien. Keine Schulform soll mehr Verfassungsrang haben. [Die] Gemeinschaftsschulen, der rot-grüne Lösungsvorschlag für die demografische Entwicklung und den Niedergang der Hauptschulen, sind einem parteiübergreifenden Konsens geopfert worden. Mit dieser Entscheidung entledigt sich die nordrhein-westfälische Landespolitik eines Problems und schafft gleichzeitig die Voraussetzungen für zukünftige Koalitionen jedweder Couleur. Neben den erweiterten Möglichlichkeiten werden die Kommunen zukünftig jedoch auch den Ärger haben. Schulkämpfe um den Erhalt von Realschulen sind abzusehen."

Dieter Schütz /pixelio.de

Inklusion - in NRW wirft dies mehr Fragezeichenb auf. An den Schulen fehlen Ressourcen und Konzepte. (c) Dieter Schütz /pixelio.de

Ein weiteres Beispiel für dieses schulpolitische Chaos ist die Inklusion behinderter Menschen. Zunächst erschien es begrüßenswert, dass behinderte Menschen eine Regelschule besuchen sollen. Hört man sich bei Lehrerinnen und Lehrern um, dann wird diese Inklusion ohne ein schlüssiges pädagogisches Konzept und ohne ausreichende Ressourcen durchgeführt. Es ist unverständlich, warum die Kompetenzzentren 'Inklusion' geschlossen wurden und die LehrerInnen auf die einzelnen Regelschulen versetzt wurden. Dies führt u.a. dazu, dass nicht alle Regelschulen ihren Bedarf an Sonderschullehrern decken können.
Im Übrigen ist mir nicht klar, mit welcher konkreten Zielsetzung behinderte Menschen inkludiert werden sollen, denn der Besuch einer Regelschule sollte eben kein Selbstzweck sein. Ziel sollte vielmehr die spätere Möglichkeit einer Integration, auch in den ersten Arbeitsmarkt, sein. Wenn man Inklusion ernst nimmt, sollte man Sonderschulen nicht zu Inklusionsschulen machen, sonst steht es zu befürchten, dass behinderte Kinder faktisch nicht inkludiert werden. Sollte man nicht zunächst die Sonderschulaufnahmeverfahren verbieten?

Betrachtet man die SchülerInnen-LehrerInnen-Relation auf Sonderschulen, dann ist diese deutlich besser, als auf Regelschulen. Wie wollen Sie unter diesen Bedingungen der Behauptung entgegen treten, die Inklusion wäre ein Sparmodell und würde zu Ungunsten von behinderten SchülerInnen ausgehen?

OECD: Begabungspool nicht ausgeschöpft

Es ist mehr als fraglich, ob die neue Schulform Sekundarschule der Zielorientierung der Erschließung sämtlicher Bildungsreserven nachkommt. Auch der aktuelle OECD-Bericht "Bildung auf einen Blick" stellt wieder fest, dass die Bundesrepublik ihren Begabungspool nicht ausreichend ausschöpft. Darüber hinaus kommt er zu dem Ergebnis, dass die Bildungs-Aufwendungen zu gering sind, insbesondere für die Grundschule.
Eine höhere Durchlässigkeit des nordrhein-westfälischen Schulsystems ist dringend notwendig, um dem Arbeitsmarkt später in ausreichender Anzahl Akademiker, Meister und Techniker zur Verfügung stellen zu können.
Die Sekundarschule ist in NRW eine schwache Schulform, da es in dieser nicht möglich ist, eigene gymnasiale Oberstufen zu bilden. Warum ist dies in CDU-geführten Bundesländern wie Niedersachsen oder Schleswig-Holstein möglich, in NRW nicht?
Der aktuelle Leitantrag der CDU für den nächsten Bundesparteitag sieht die Möglichkeit von eigenen Oberstufen in 'Oberschulen' ausdrücklich vor.
Aus welchem Grund fällt die rot-grüne Landesregierung in dem von ihr vorgesehenen
Schulkonsensmodell selbst hinter den Diskussionsstand der CDU zurück?
   




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