Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Aus einem Baum wird kein Krokodil
GESELLSCHAFT | ENTWICKLUNG IN LAOS (15.01.2005)
Von Michael Billig
Attapeu ist ein kleiner, verschlafener Ort im Südosten von Laos. Nur wenige Touristen nehmen die beschwerliche Reise in die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz auf sich. Bis auf Vietnamesen, die Land suchen, gibt es für Ausländer keinen Grund hier zu sein. Es sei denn

... sie sind wie die Jenaerin Ines Wiedemann im Auftrag einer Organisation der Entwicklungs-zusammenarbeit vor Ort. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die 36-jährige für den Deutschen Entwicklungs Dienst (ded) in der Region.

Ines Wiedemann steht in ihrer Küche und bereitet einen gemischten Salat zu. Um sie herum schleichen ihre fünf Katzen. Wenn sie nicht gerade in ein Buch vertieft ist, leisten ihr die Vierbeiner in ihrer Freizeit Gesellschaft. Werktags ist die Jenaerin damit beschäftigt, die Existenz ethnischer Minderheiten in Laos zu sichern. "Diese Menschen wissen, wie man im Wald Nahrung findet. Auf die große Welt sind sie aber nicht vorbereitet?, deutet Wiedemann Probleme der rund 50 Völkergruppen in dem sozialistischen Land an. Die Welt von der sie spricht rückt immer näher heran. Wälder werden abgeholzt und brandgerodet, ganze Dörfer dafür umgesiedelt. Das einzige, was die Brau, die Taliang, die Alak und andere Minoritäten anpflanzen, ist Bergreis. "Gemüse als wichtiger Nahrungsbestandteil wird kaum produziert und nur unzureichend konsumiert?, sagt die gelernte Gärtnerin. Deswegen berät sie laotische Kollegen, die in den Bergdistrikten Trainings anbieten. Bei ihnen sollen Dorfbewohner lernen, wie sie asiatische Kohlgewächse, Gurken, Zwiebeln und Knoblauch anbauen. In einem weiteren Schritt, welche Speisen sich damit zubereiten lassen. Wiedemanns Aufgabe liegt speziell in der Planung, Organisation, Gestaltung und Nachbetreuung solcher Maßnahmen.

"Insgesamt haben wir 35 Mitarbeiter in Laos im Einsatz?, berichtet Stephan Giebel vom ded. Er koordiniert von der laotischen Hauptstadt Vientiane aus die Projekte im Bereich der beruflichen Bildung. "Wir beschäftigen uns meistens mit der landwirtschaftlichen Entwicklung. Mit den vielen Ethnien und ihren unterschiedlichen Gebräuchen ist es keine leichte Aufgabe?, erzählt er weiter. Die Erfahrung hat auch Wiedemann gemacht. Wie man Wasserbüffel zum Pflügen und deren Kot als Dünger nutzen kann, gehört ebenfalls zum Training. In einem Lahu-Dorf stellte sich nach der Ernte jedoch heraus, dass die Bewohner nichts essen, was von ihrem Vieh "beschmutzt? wurde. Das verbot ihnen ihre Religion. "Davon war vorher nie die Rede gewesen?, erinnert sich Wiedemann. "Für mich hatte das einen Lerneffekt. Es ist notwendig, im Vorfeld mehr über soziokulturelle und sozioökonomische Hintergründe der Zielgruppen zu erfahren.? Die Kommunikation gestaltet sich häufig trotzdem schwierig. Sie ist zwar des Laotischen mächtig, doch viele Ethnien haben ihre eigene Sprache. Außerdem grenzen allein schon ihre helle Haut- und Haarfarbe die Thüringerin aus. Ihr Status als Ausländerin sorgt dafür, dass auch ihre sozialen Kontakte zur Bevölkerung Attapeus bescheiden ausfallen. "Die Menschen hier sind Fremden gegenüber sehr reserviert?, meint sie und veranschaulicht ihre Situation mit einem Sprichwort aus dem afrikanischen Land Mali: "Der Baum kann 20 Jahre im Wasser liegen und wird doch kein Krokodil.?

Alltag in der Fremde

Doch Ines Wiedemann würde nicht acht Jahre in Südostasien leben und arbeiten, wenn Erfolge ausblieben. Im thailändischen Khon Kaen hat sie Jugendlichen in einer Erziehungs- und Ausbildungsanstalt wieder auf die Beine geholfen. In der Provinz Bokeo im Norden von Laos brachte sie die Entwicklung von Dörfern voran. Und rund um Attapeu gibt es aufgrund ihres Engagements viele neue Kleintierzüchtungen, Hausgärten und sogar eine Obstbaumschule. Auf letzteres kann sie besonders stolz sein. Denn unter den Laoten gilt die Region in der Trockenzeit als zu trocken und in der Regenzeit als zu nass. Früchte werden bisher überwiegend aus dem benachbarten Thailand importiert. "Das ist eher auf die mangelnde Erfahrung der Einheimischen mit Obstanbau zurückzuführen?, so Wiedemann, die einen Farmer überzeugen konnte, das Unternehmen trotz der öffentlichen Meinung zu wagen. Heute ist er in der Lage, sich und seine Familie vom Verkauf von jungen Obstbäumen über Wasser zu halten. Mit einem Teil ihres 6000-Euro-Budgets, was der ded jährlich zur Verfügung stellt, unterstützt Wiedemann außerdem noch junge Leute in ihrer Ausbildung. Sie kauft damit Unterrichtsmaterialien, deckt Studiengebühren und Lebenshaltungskosten. "Ich arbeite viel breitgefächerter als es mein Abschluss in Deutschland zu lassen würde?, hebt die Jenaerin hervor, die nach der Lehre noch ihr Gartenbau-Diplom in Erfurt machte. Zur Zeit ist sie neben ihrer Arbeit noch mit einem Fernstudium der Angewandten Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz beschäftigt.

In ihrem ersten Jahr in Thailand hatte Ines Wiedemann fünfzig Briefe nach Hause geschrieben. In den vergangenen zweieinhalb Jahren im laotischen Südosten waren es insgesamt gerade mal vier. "Der Alltag ist bei mir eingekehrt?, kommentiert sie diese Veränderung. Seit dem sie den Außenposten Attapeu besetzt hat, sind auch die Besuche von Freunden deutlich weniger geworden. Selbst Kollegen kommen selten auf der erst halbfertigen Straße über die Berge gefahren. Die Thüringerin sucht den Austausch mit Menschen, die in der gleichen Situation stecken wie sie. Viele ihrer Bekannten haben Auslandserfahrungen. Mit ihnen hält sie über das Internet Kontakt. "Gute Freunde habe ich zwei Jahre nicht gesehen. Wenn ich sie in Deutschland treffe, ist es so, als seien wir erst eine Woche getrennt?, beschreibt Wiedemann ihre wahren Freundschaften. Zweifellos gibt es Tage, wo sie ihre Freunde vermisst. Besonders schwierig war die Zeit, als ein japanisches Flussfieber sie packte. Sie wurde von Krankenhaus zu Krankenhaus verwiesen und erst im thailändischen Udon Thani konnte ihr geholfen werden.

Bis zum Sommer läuft noch Wiedemanns Vertrag für Attapeu. Mit ihrem Fernstudium will sie sich für weitere berufliche Herausforderungen empfehlen. Eine Rückkehr in die Heimat ist nicht ausgeschlossen. Die Jenaerin kann sich aber ihre berufliche Zukunft genauso gut in Asien oder sogar auf dem afrikanischen Kontinent vorstellen. Auch wenn aus einem Baum noch lange keine Krokodil wird.
   












Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz