Überwachen und Abschrecken in der Bibliothek
GESELLSCHAFT | VOR GERICHT (14.06.2009)
Von Annelie Kaufmann und Tim Ackermann | |
Darf die Bibliothek eines kommunalwissenschaftlichen Instituts videoüberwacht werden? Diese Frage führte nun zum bundesweit ersten Urteil zur Videoüberwachung an Hochschulen. Das Oberverwaltungsgericht (OVW) für Nordrhein-Westfalen entschied in zweiter Instanz über die Klage dreier Studierender der Universität Münster. Für das kommunalwissenschaftliche Institut bedeutet das Urteil, dass zwar die bloße Aufzeichnung von Kamerabildern und die Übertragung auf einen Monitor zulässig ist, nicht jedoch das Speichern der so gewonnenen Daten. Darüber hinaus hat das Urteil jedoch große Bedeutung für die Überwachungspraxis an öffentlichen Einrichtungen des Landes: bezüglich der Speicherung wurde die Auffassung der Kläger_innen, dass diese nicht durch das Datenschutzgesetz NRWs gedeckt ist, bestätigt und eine strenge Auslegung des Gesetzes zu Grunde gelegt. Wilde Kameras? Wann an der Universität Münster die ersten Videokameras installiert wurden, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vermutlich griffen Ende der 1990er Jahre die einzelne Institute erstmals zur Videoüberwachung. Auf zentrale Koordinierung, Dokumentation und rechtliche Überprüfung wurde dabei freimütig verzichtet. Heute bezeichnet der Pressesprecher der Universität, Norbert Frie, diese Situation als »Überwachungskamera-Wildwuchs« [1] . Ein etwas unglücklicher Vergleich angesichts dessen, dass die etwa sechzig Kameras an dreißig verschiedenen Standorten wohl kaum von allein gewachsen sind. Zudem war es keineswegs die Universität, die die Gartenschere in die Hand nahm, um im Bild zu bleiben. Zu Beginn des Jahres 2004 fielen die Videokameras eher zufällig der damaligen AStA-Referentin für politische Bildung und demokratische Rechte, Nina Füller, auf. Sie wandte sich an die Hochschulgruppe der kritischen Juristinnen und Juristen und gemeinsam ließ sich schnell feststellen, dass datenschutzrechtlichen Bestimmungen keine Beachtung geschenkt wurde. Das sensible Thema stieß zu diesem Zeitpunkt in der Universitätsverwaltung keineswegs auf offene Ohren, die Grundrechtseingriffe durch Videoüberwachung wurden floskelhaft damit abgetan, sie dienten doch vor allem „zum Schutze und zur Beruhigung der Studierenden“ [2]. Die jedoch wussten gar nicht, wie sicher sie sich fühlen durften – schließlich fehlte in vielen Fällen selbst die gesetzlich vorgeschriebene Beschilderung. Der AStA sah sich angesichts dessen gezwungen, die Datenschutzbeauftragte für Nordrhein-Westfalens einzuschalten, die ihrerseits die Universität mehrfach und nachdrücklich auf die datenschutzrechtliche Auskunftspflicht hinweisen musste. Erst jetzt wurde zögerlich damit begonnen ein Verfahrensverzeichnis mit genauer Beschreibung der verschiedenen Überwachungsanlagen zu erstellen. Der Aufforderung der Datenschutzbeauftragten, die Kameras bis zu einer abschließenden datenschutzrechtlichen Beurteilung zu deaktivieren, kam die Universität jedoch in den meisten Fällen nicht nach. Informationelle Selbstbestimmung einklagen Die Auseinandersetzung zwischen Universität und Studierenden dauerte also an –und damit auch die Eingriffe in das Grundrecht der Studierenden auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht wurde vom Bundesverfassungsgericht erstmals im berühmten „Volkszählungsurteil“ von 1983 als Gehalt der Artikel 1 Absatz 1 und 2 Absatz 1 Grundgesetz so bezeichnet. Artikel 1 Grundgesetz schützt die Würde des Menschen, Artikel 2 die freie Entfaltung der Persönlichkeit. „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, so das Bundesverfassungsgericht, „wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“ [3]. Denn wer befürchten muss, dass abweichende Verhaltensweisen erfasst werden, wird versuchen, nicht durch solche aufzufallen. Überwachung erzeugt so Konformität. Vor diesem Hintergrund beschlossen drei Studierende mit Unterstützung des AStA und Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerichtlich durchzusetzen. Die Klage richtete sich ursprünglich gegen drei Videoüberwachungsanlagen: in der Bibliothek des kommunalwissenschaftlichen Institut, im Foyer des Schlosses, sowie in einem Computerraum der Universitäts- und Landesbibliothek. Die beiden letztgenannten entfernte die Universitätsverwaltung schon vor dem ersten Gerichtstermin, um einem entsprechenden Urteil zu entgehen. Die Überwachung der kommunalwissenschaftlichen Bibliothek wurde jedoch das Thema zweier Ein Aufkleber, wie er am 4. Mai 2006 frontal auf einer Überwachungskamera des Studentenwerks klebte und so die Sicht versperrte. Das Studentenwerk hat Videoüberwachungsanlagen in Nach fast fünf Jahren: Ende gut? Nach fast fünf Jahren der Auseinandersetzung zwischen Studierenden und der Universität um den Umfang und die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung ist die Universitätsverwaltung jedenfalls deutlich sensibilisiert bezüglich der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen. So erklärte der Pressesprecher der Universität Münster Anfang des Jahres, man überwache nur noch dort, „wo es absolut erforderlich ist“ [4]. In der Tat ist die Zahl der Überwachungsanlagen deutlich zurückgegangen – auf allerdings weiterhin zehn bis zwanzig videoüberwachte Standorte. Ob dieses Ausmaß und ob derartige Überwachungsmaßnahmen überhaupt erforderlich sind, kann aus der Sicht derer die überwachen und derer die überwacht werden durchaus unterschiedlich beantwortet werden. Zudem kündigte die Justiziarin der Universität vor Gericht an, nun neue technische Verfahren ausprobieren zu wollen, um die Speicherung doch noch durch zusetzten. Dies könne man ja aus Allgemeinen Studienbeiträgen bezahlen, hieß es dabei provozierend. Diese letzte Aussage dürfte allerdings eher dem Unmut über eine weitestgehend verlorene Auseinandersetzung und nicht einer rationalen Analyse des Möglichen entsprungen sein. Grundsätzlich ist zu befürchten, dass die Universität die nun geklärte Rechtslage dazu nutzen wird, an weiteren Standorten Videoüberwachung zur Abschreckung einzusetzen. Dabei sollte sie allerdings nicht übersehen, dass das Oberverwaltungsgericht die Verhältnismäßigkeit der Überwachung gerade auch damit begründete, dass den Studierenden weitere Bibliotheken als Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Dieser Ausblick macht deutlich, dass die Auseinandersetzungen um Überwachung und informationelle Selbstbestimmung andauern werden. Ansatzweise erträgliche Standards müssen immer wieder und mit verschiedenen Methoden neu durchgesetzt werden. ------------------------- [1] Kalitschke, M.: Kontroverse um Videoüberwachung, in: Westfälische Nachrichten vom 23.01.2009, verfügbar über: http://www.westfaelische-nachrichten.de/l...html, 25.01.2009 [2] So die stellvertretende Datenschutzbeauftragte der Universität Münster in einer Email an Nina Füller vom 21.12.2004. [3] BVerfG, Urteil v. 15.12.1983. Siehe etwa: http://www.telemedicus.info/urteile/88-1-...html. [4] siehe [1] |