Oscar für Datenkraken und Überwacher
GESELLSCHAFT | ROTER TEPPICH (20.12.2008)
Von Katharina Nocun | |
Topfavorit Telekom hat jüngst beim Big Brother Award 2008 abgeräumt. Aber auch der Europäische Ministerrat, der Bundestag, ein Stromversorger und eine Krankenkasse waren erfolgreich, wenn es darum ging, mit privaten Daten grob fahrlässig umzugehen. Die Deutsche Telekom AG schickte sogar ihren Datenschutzbeauftragten, um den Preis entgegen zu nehmen. Der an den Roman „1986“ angelehnte Award wird jährlich in verschiedenen Kategorien durch den Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) verliehen. Die Preisträger – Kategorie „Europa“ In der Kategorie „Europa“ in diesem Jahr der Ministerrat der Europäischen Union siegreich, der sich durch die Einführung der „EU-Terrorliste“ und die hierdurch entstandene Stigmatisierung sowie Diskriminierung einzelner Personen sowie Organisationen erfolgreich für den Big Brother Award qualifiziert hat. Diese undemokratisch und in einem unter Geheimhaltung tagenden Gremium erstellte Liste potentieller Terroristen ist in viele Fällen weder durch ausreichende Beweise begründet noch hinreichend überprüft worden. Alle Institutionen und Bürger innerhalb der Europäischen Union sind verpflichtet, die mit dieser Liste verbundenen Sanktionen auf die Terrorverdächtigen anzuwenden. Ihre Kreditkarten werden gesperrt, der Zugang zu ihrem Vermögen unterbunden, ihre Löhne zurückgehalten, Sozialleistungen jeglicher Art verweigert sowie der Pass entzogen. Die Betroffenen erleiden durch diese Vorgehensweise wirtschaftliche, politische sowie soziale Ausgrenzung und werden über den bestehenden Verdacht nicht informiert. Für diese ausgesprochen drakonischen Maßnahmen und Grundrechtsverletzungen wurden Ratspräsident Bernard Kouchner zusammen mit Generalsekretär Javier Solana durch den diesjährigen Preis in der Kategorie „Europa“ belohnt. „Gesundheit und Soziales“ In der Kategorie „Gesundheit und Soziales“ konnte sich in diesem Jahr die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) erfolgreich gegen die Konkurrenz durchsetzen. Die DAK hat die persönlichen Daten von 200.000 chronisch kranken Patienten an eine Privatfirma weitergegeben, ohne die Betroffenen darüber zu informieren oder überhaupt erst deren Einverständnis einzuholen. Ein privater Dienstleister sollte durch telefonische Beratung chronisch kranker Patienten zu Kosteneinsparungen bei der DAK beitragen. Daten dieser Art unterliegen jedoch dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I. Somit hat sich die DAK grob fahrlässig im Umgang mit ihren Kundendaten verhalten. Gratulation. Demo gegen Datenvorratsspeicherung. (c) K. Nocoun Der Deutsche Bundestag konnte sich den Preis in der Kategorie „Verbraucher“ durch sein tatkräftiges Engagement im Bereich der Verschärfung der Gesetzte zur Reisekontrolle sichern. Durch das Gesetz zur Änderung seeverkehrsrechtlicher, verkehrsrechtlicher und anderer Vorschriften mit Bezug zum Seerecht erfahren nun nicht nur die Schifffahrtsbehörden von Kreuzfahrten und Ozeanüberquerungen, sondern auch die Bundespolizei. Des weiteren ist die Weitergabe der persönlichen Daten auch an ausländische Behörden sowie private Unternehmen ohne die Einwilligung der Betroffenen möglich. Dem Bundestag ist für diese ausführliche Protokollierung der Reisedaten von jährlich ca. 29 Millionen Bürgern zu danken. Außerdem werden durch ein neues Abkommen mit den USA nun die Daten von Flugpassagieren mit dem dortigen Ministerium für Heimatschutz abgeglichen. Das Wort Generalverdacht scheint im Deutschen Bundestag noch nicht angekommen zu sein. Ein weiterer Preisträger in dieser stark umkämpften Kategorie war der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM), welcher Telefoninterviews ohne das Einverständnis und Wissen der Betroffenen von Dritten mithören ließ. Die Richtlinie für telefonische Befragungen des ADM empfiehlt diese rechtswidrige Praxis ausdrücklich, wodurch er sich neben den Deutschen Bundestag als würdiger Preisträger des Big Brother Awards in der Kategorie „Verbraucher“ qualifiziert hat. „Arbeitswelt und Telekommunikation“ Der unumstrittene diesjährige Favorit, die Deutsche Telekom AG, hat sich durch ihr herausragendes Engagement im weiten Feld der Datenschlamperei sowie Verstößen gegen den Datenschutz in der Kategorie „Arbeitswelt und Telekommunikation“ durchsetzen können. Durch den illegalen Zugriff auf Telefonverbindungsdaten war die Telekom nicht nur in der Lage, Journalisten, sondern auch den eigenen Aufsichtsrat effizient zu überwachen. Damit hat sie sich gleich mehrerer Gesetzesverstöße schuldig gemacht und gezeigt, wie wenig ihr das hohe Gut der Pressefreiheit sowie die Privatsphäre der Betroffenen wert ist. Hierdurch versuchte das Unternehmen den Grundsatz des Quellenschutzes der journalistischen Arbeit zu unterwandern. Dies zeugt von ausgesprochener Geringschätzung der bestehenden Gesetze durch die Unternehmensleitung. Die Deutsche Telekom AG hat somit keine Kosten und Mühen gescheut, um dieses Jahr durch ihren Datenschutzbeauftragten den Big Brother Award entgegennehmen zu können. „Technik“ Durch ihre maßgebliche Rolle bei der Einführung und Entwicklung des Digitalstrom-Prinzips hat sich die Yello Strom GmbH ihre Trophäe in der Kategorie „Technik“ sichern können. Durch digitalen Strom soll es in naher Zukunft möglich sein, den Stromverbrauch durch den Einbau spezieller Mikrochips auf die einzelnen Haushaltsgeräte zurückzuführen. Durch die Digitalstrom-ID kann jedes Gerät nun exakt samt Verbrauchsintensität und Zeitpunkt des Gebrauchs erfasst werden. Somit wären Stromanbieter in der Lage, den Tagesablauf ihrer Kunden anhand ihrer Nutzungsprofile genauestens zu rekonstruieren. Angesichts der bestehenden Begehrlichkeiten von Seiten des Staates, aber auch der Wirtschaft stellt sich natürlich die Frage, was mit diesen Daten geschieht, da ein angemessenes Datenschutzkonzept bisher fehlt. Man darf gespannt sein, was die zukünftigen Entwicklungen im Bereich des digitalen Stroms bringen werden. Vorerst Gratulation für die Entwicklung dieser neuen Überwachungsmöglichkeit. „Politik“ In der Kategorie „Politik“ konnte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie den Preis für sich beanspruchen. Durch ihre Zustimmung zum ELENA-Verfahren, welches in Zukunft eine elektronische Signatur verpflichtend machen wird, hat sich das Bundesministerium gegen die anderen Nominierungen erfolgreich durchsetzen können. ELENA steht für den elektronischen Einkommensnachweis, der die zentrale Speicherung der Einkommensdaten durch Informationen der Arbeitgeber ermöglichen soll. Des weiteren soll in Zukunft nur noch mit einer so genannten Job Card der Zugang zu Sozialleistungen gewährt werden. Auch die digitale Geschäftsabwicklung soll durch eine persönliche digitale Signatur ermöglicht werden. Datenschützer sehen auf Grund dieser langfristig angelegten zentralisierten Datensammlung ein hohes Missbrauchspotential, da die Zugriffskompetenzen unter Umständen auch auf weitere Behörden ausgeweitet werden können. Ein kleiner Schritt für Michael Glos, ein großer Schritt in Richtung des gläsernen Bürgers für jeden Bundesbürger. |