Das Scheitern der deutschen „Einsatzarmee“
GESELLSCHAFT | GESCHICHTE AFGHANISTANS (02.10.2009)
Von Christian Sigrist † | |
Die Deutschen nehmen in der Geschichte Afghanistans nur eine Nebenrolle ein. Sie waren als Experten gefragt und genossen von daher einen guten Ruf - selbst zur NS-Zeit. Durch den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch spielen sie sich heute immer mehr in den Vordergrund - auf verhängnisvolle Weise. Der bis heute dreißig Jahre dauernde afghanische Krieg ist das Ergebnis massiver Einmischungen von Großmächten, die Afghanistan in die Schuldenfalle und eine damit zusammenhängende schwere politische Krise geführt haben. Die UdSSR besetzte Ende 1979 das Land, nachdem das von ihr protegierte Regime auf erbitterten Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung gestoßen war. Die USA nutzten diesen Bruch des Völkerrechts, um die sowjetische Armee mithilfe der von ihnen unterstützten Mujaheddin in einen verlustreichen Zermürbungskrieg zu verwickeln. Begonnen hatte der Zusammenbruch des 1747 gegründeten „Königreichs von Kabul“ mit der Zerstörung der bengalischen Textilmanufakturen durch die East India Company, wodurch der afghanischen Monarchie wesentliche Einnahmen aus dem Fernhandel verloren gingen. Mit Hilfe der Sikhs gelang den Briten die Eroberung Peshawars und der fruchtbaren Indus-Ebene. Die Versuche, Afghanistan zur Kolonie Britisch-Indiens zu machen, scheiterten zwar am erbitterten Widerstand der Afghanen. Aber unter Ausnutzung fortdauernder Thronkämpfe konnten die Briten 1893 mit dem Durand-Abkommen eine Grenze diktieren, die das Gebiet des größten Volks Afghanistans, der Pashtunen, zerteilte. Das fruchtbare Gebiet um Peshawar wurde Britisch-Indien zugeschlagen, der verbleibende Territorialstaat Afghanistan wurde ein von britischen Subsidien abhängiges Protektorat. Der Enkel von dessen Gründer, Abdur Rahman Khan, Amanullah, hat 1919 im dritten anglo-britischen Krieg die völkerrechtliche Souveränität seines Landes durchgesetzt, dabei aber die Durand-Line völkerrechtlich anerkennen müssen. Deutsche Firmen und Fachleute genossen großes Ansehen Amanullah wollte mithilfe eines kleinen Kreises von modernen Intellektuellen eine von Atatürk inspirierte Reform der afghanischen Gesellschaft durchsetzen. Große Hoffnungen setzte er dabei auch auf deutsche Fachleute. 1915 bis 1916 hatte bereits die Niedermayer-Hentig Expedition vergeblich versucht, vom afghanischen König Amir Habibullah Unterstützung bei der Mobilisierung pashtunischer Stämme gegen die britische Herrschaft in Indien zu erlangen. Immerhin erhielt Afghanistan so die erste völkerrechtliche Anerkennung. Das Deutsche Reich und sein Nachfolgestaat hatten im Great Game nie eine entscheidende Rolle gespielt; dafür genossen deutsche Firmen und Experten größeres Ansehen als Briten und US-Amerikaner. Deutsche Militärs halfen beim Aufbau der Armee und der Luftwaffe, Stadtplaner und Architekten entwarfen nach dem I. Weltkrieg einen neuen Stadtteil samt Schloss nach Karlsruher Vorbild, Henschel lieferte zwei Dampfstraßenbahnzüge. 1924 wurde die von deutschen Lehrern betriebene Amani-Ober-Realschule gegründet. Bald stellte sich heraus, dass der reduzierte Territorialstaat der Afghanen nicht viabel war und ist: Ohne Subsidien kann er weder eine zentrale Sicherheitsorganisation noch durchgreifende ökonomische und kulturelle Veränderungen erreichen. Amanullahs Erwarungen, vom Deutschen Reich finanzielle Unterstützung zu erhalten, gingen trotz eines glanzvollen Staatsbesuchs im Mai 1928 nicht in Erfüllung. Das Photo der unverschleiert auftretenden Königin Soraya ging hingegen durch die Weltpresse und verstärkte in Afghanistan die von Mullahs und Briten ausgelöste Agitation gegen das finanzschwache Regime. Nach der Abdankung Amanullahs herrschte 1929 der „Räuberkönig“ Habibullah Kalakani, der nach neun Monaten von Nadir Shah mithilfe pashtunischer Stämme abgesetzt und samt Kabinett exekutiert wurde. Nach Nadirs Ermordung durch einen Amani-Schüler wurde der junge Sahir Shah Thronfolger. Seine Regenten setzten die weitgehende Abschaffung von Amanullahs Reformen fort und förderten die Isolierung des Landes. Aber auch in dieser Zeit konnten deutsche Experten weiterwirken. Nazis propagierten „arisches Bruderland“ Die Nazi-Propaganda betonte wie im Iran die Freundschaft der „arischen Bruderländer“. Die deutsche Botschaft diente als Brückenkopf für Kontakte zu indischen Nationalisten. Als Schmetterlingsforscher und Lepraspezialisten getarnte NS-Agenten versuchten Kontakte zu pashtunischen Britengegnern aufzubauen. Der König vermochte zwar 1941 auf einer loya jirga den Beschluss zum Kriegseintritt gegen die Alliierten zu verhindern. Das deutsche Ansehen war aber so groß, dass die deutschen Experten unter Zusicherung freien Geleits nach Deutschland zurückkehren konnten. Die deutsche Gesandtschaft blieb bis zur Kapitulation des NS-Reiches in Kabul präsent. In den 1950er Jahren kehrten deutsche Experten wieder nach Afghanistan zurück. Mit einem 1963 gewährten 50-Millionen Dollar-Kredit und späteren Ergänzungen nahm die BRD den 3. Rang in der Liste der Geberländer ein. Die BRD beteiligte sich am Aufbau der Universität Kabul, errichtete Gewerbe-und Kunstgewerbeschulen. Die Siemens baute das Telefonnetz aus und errichtete das störanfällige Flußkraftwerk Mahipar. Himmlers Bruder nach dem Krieg Leiter des Europäisch-Afghanischen Kulturinstituts Die Ausbildung der Polizei, deren Akademie vom jeweils pensionierten Direktor des Bundesgrenzschutz (BGS) als Kodirektor geführt wurde, führte nur zu begrenzten Ergebnissen. Die Polizeihilfe konnte nahtlos an das Dritte Reich anknüpfen. Deren Polizeibeamte unterstützten den Aufbau der allgemeinen und der geheimen Staatspolizei. Afghanistan zeigte sich dabei nach Kriegsende dem suizidierten Reichsheini dadurch erkenntlich, dass sein Bruder Gebhard Himmler jahrelanger Geschäftsführer des Europäisch-Afghanischen Kulturinstituts in München wurde. Heinrich Himmlers Schatten lag auch über der Polizeiausbildung nach dem Krieg: Afghanische Polizeibeamte wurden in westdeutschen Geheimdiensten und Landeskriminalämtern weitergebildet und dort auch längerfristig beschäftigt. Der Spross einer vornehmen Pashtunenfamilie wurde nach diesen Stationen sogar einer der mächtigsten Polizeioffiziere Österreichs, der nach seiner Pensionierung mit wöchentlichen Auftritten als „Fernsehmullah“ bekannte wurde. Deutsche Firmen wie Hochtief und Holzmann dominierten den modernen Bausektor. Sie errichteten auch die Villen von Kabinettsmitgliedern. Dies führte zu Bestechungsgerüchten, durch welche die von Sahir Shah 1964 realisierte Verfassungsreform mit der Berufung des ersten nicht-pashtunischen Ministerpräsidenten (Dr. Yussuf) scheiterte: Die im Anschluss an die Eröffnung des Unterhauses beginnende Agitation zur Aufklärung der Bestechungsvorwürfe wurde am 25. Oktober 1965 durch das Militär blutig niedergeschlagen (mindestens ein Dutzend erschossene Studenten und Oberschüler). Es gab also keine zivilen Kriterien genügende Polizei, die den Demonstranten den Weg zur Villa des Ministerpräsidenten hätte versperren können. ###bild###Die deutsche Polizeiausbildung hat so in einem entscheidenden historischen Augenblick versagt. Sie hat auch nach 2001 die in sie gestellten Erwartungen weder quantitativ noch qualitativ erfüllt. Von daher erscheinen alle Begründungen für eine jahrelange Besetzung des Landes durch den Aufbau von Polizeikräften als äußerst fragwürdig. Der deutsche Beitrag zum Ausbau der Kabuler Universität (Puhantun) trug zwar zur Ausbildung von Akademikern erheblich bei, schuf damit aber eine Schicht von Akademikern, die im Land auf keine Posten mit adäquater Bezahlung hoffen konnten. Deshalb gingen die Aspirationen der Absolventen auch von Gymnasien auf die Erlangung von Auslandsstipendien. Die in den Metropolen erworbene kritische Grundhaltung verband sich mit der Unzufriedenheit der im Lande verbliebenen Intelligenz. Die oppositionelle Intelligenz entwickelte sich nach dem 25. Oktober 1965 in eine antimonarchistische Richtung. Ein Teil dieser Opposition orientierte sich an sowjetischen, der andere an maoistischen Modellen auf der Basis eines kruden Marxismusverständnisses. Innenpolitische Spannung ab 1969 Die innenpolitischen Spannungen verdichteten sich, als eine 1969 eintretende Dürre zu mindestens mehreren zehntausend Hungertoten führte. Dabei hatte Sahir Shah einige ausländische Projekte im Landwirtschaftsbereich realisieren lassen: Das US-Helmand-Valley Project führte aber infolge eines völligen Fehlschlags zu einer enormen Verschuldung Afghanistans. Das deutsch-afghanische Paktia-Entwicklungsprojekt war sicherlich solider, brachte aber für beide Seiten erhebliche finanzielle Belastungen, ohne schon einen Beitrag zur Behebung der aktuellen Nahrungsmittelkrise leisten zu können. Die wachsende Unzufriedenheit ermöglichte es dem früheren Ministerpräsidenten Daud, 1973 seinen ohnehin regierungsmüden Vetter Sahir Shah abzusetzen. Der Präsident des zur Republik umgewandelten Landes hatte zunächst die Unterstützung von Kommunisten und Teilen des Militärs. Durch seine Annäherungsstrategie an Pakistan und den Shah des Iran, mit der er hoffte, aus der finanziellen Krise herauszukommen, erregte er das Misstrauen der Kremlführung, zugleich machte er sich Gewerkschafter und linke Offiziere durch repressive Maßnahmen zu Feinden, die am 27.4.1978 mit dem Saur-Putsch Daud und seine gesamte Familie umbrachten. Die Demokratische Volkspartei blieb aber in zwei stark ethnisch geprägte Fraktionen gespalten, die pashtunische Khalq – und die Parchamfraktion. Die Khalq mit ihren Führern Taraki und Hafez Amin verdrängte die Anhänger von Babrak Karmal und brachte viele politische Gegner um. Die überhasteten Reformerlasse, insbesondere die dilettantisch angegangene Agrarreform, trieben vor allem die Landbevölkerung, aber auch in wachsendem Maße Teile der Städter in immer militanter werdende Opposition. Der präzise Beginn des Aufstandes gegen das Kabuler Regime ist auf Mitte März 1979 anzusetzen, als in Herat zahlreiche sowjetische Militärberater samt Familienangehörigen umgebracht wurden. Zahlreiche afghanische Offiziere schlossen sich den Aufständischen an, so dass auch für die sowjetische Führung die Ablösung des ebenso radikalen wie nationalistischen Hafez Amin sich als unausweichlich herausstellte, zumal er sich seiner Ablösung durch die Ermordung des Staatspräsidenten Taraki zu entziehen suchte. Sowjetische Luft- und Bodenstreitenkräfte besetzen das Land Weihnachten 1979 begann die Besetzung Afghanistans durch sowjetische Luft-und Bodenstreitkräfte, die mit der Ermordung Hafez Amins eingeleitet wurde. Der Einmarsch des „ beschränkten sowjetischen Kontingents“(immerhin bis zu 130.000 Mann) trieb Millionen in die Flucht in die Nachbarländer Pakistan und Iran. Von Pakistan kehrten Mujaheddin mit Unterstützung des pakistanischen Geheimdienstes und ausgerüstet mit von den Amerikanern und Saudis bezahlten chinesischen Waffen in ihr Land zurück. Insbesondere in den Grenzregionen zu Pakistan wurden Dörfer und Infrastrukturen durch sowjetische Bombardements weitgehend zerstört und über eine Million Afghanen getötet. Der energische afghanische Widerstand drängte die bisher „ruhmreiche“ Sowjetarmee in die Defensive, insbesondere der charismatische Führer der Panjshir-Tajiken fügte den sowjetischen Panzerkolonnen empfindliche Niederlagen zu. Durch Vermittlung der UN kam es am 14.4.1988 zu den Genfer Protokollen, in denen der Abzug der sowjetischen Truppen vereinbart wurde. Am 15. Februar 1989 überquerten die bis zuletzt von den Mujaheddin beschossenen Sowjettruppen die Brücke von Termez. Ein Narr, wer glaubt, dass ohne diese Entzauberung der Sowjetarmee die „Helden von Leipzig“ die Berliner Mauer zum Einsturz gebracht hätten. Das Kabuler Regime versuchte vergeblich, mit den Mujaheddin-Parteien eine Koalition der nationalen Einheit herzustellen. Durch das Ausbleiben sowjetischer Subsidien kam es 1992 zu einem Putsch innerhalb der Kabuler Regierung und zur Absetzung von Präsident Najibullah. Den Mujaheddin-Parteien misslangen jedoch alle Versuche zur Einrichtung einer nationalen Regierung. Ihre Machtkämpfe führten zur Zerstörung der bisher weitgehen unbeschädigten Hauptstadt und zu einer allgemeinen Chaotisierung des Landes. Taliban-Bewegung erwächst zu Stärke In dieser Situation unterstützte der pakistanische Geheimdienst mit Unterstützung von US-Verantwortlichen eine aus pashtunischen Kriegswaisen rekrutierte Bewegung, die Taliban, die ab 1994 über Kandahar nach Afghanistan vordrangen und in schneller Folge eine afghanische Provinz nach der anderen eroberten. Ihr rigides Ordnungssystem sicherte ihnen anfangs große Akzeptanz. 1996 eroberten sie Kabul und besetzten 2001 circa 90 Prozent des afghanischen Territoriums, das restliche Gebiet im Nordosten wurde von Ahmed Shah Massud (Foto, l.) kontrolliert. Die USA hatten lange Zeit die Taliban unterstützt in der Erwartung, unter den von ihnen geschaffenen stabilen Verhältnissen Abkommen über den Bau von Pipelines von Turkmenistan nach Pakistan und Indien vereinbaren zu können. Diese Absicht wurde durch die Rückkehr Bin Ladens nach Afghanistan im Jahr 1996 durchkreuzt. Der einstige Verbündete der USA im Kampf gegen die Sowjetunion hatte sich nach der Erfahrung der Instrumentalisierung und der anschließenden Vernachlässigung der Mujaheddin in einen Gegner des US-Imperialismus verwandelt. Seine Bekenntnisse zu Anschlägen auf US-Einrichtungen und insbesondere zu den Attentaten auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 führten zu einem wachsenden Druck der USA und der UNO auf das Taliban-Regime, Bin Laden auszuliefern. Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus Nach dem 11. September 2001 verschärften sich die Ultimaten. Nach der Verkündigung der Operation Enduring Freedom als Krieg gegen den Terrorismus erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder eilfertig seine „uneingeschränkte“ Solidarität“ - Die Formulierung erinnert peinlich an entsprechende Bekenntnisse kommunistischer Satellitenregierungen an die Adresse Moskaus. Schröder setzte damit seine Unterordnung unter die US-Balkanstrategie aus dem Jahr 1999 fort. Auch mit seiner Unterstützung hat die NATO am 2. Oktober 2001 erstmalig in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall erklärt. Die US-Luftwaffe begann daraufhin mit britischer Unterstützung Luftangriffe auf afghanisches Territorium, obwohl bei den Angriffen vom 11. September kein einziger Afghane beteiligt war, da sich Bin Laden nur auf arabische Mitglieder von Al Qaida verließ. Die Luftschläge ermöglichten den Truppen der Nordallianz eine von Massakern begleitete Offensive und, gegen die Absprache mit den USA, die Einnahme von Kabul. Der ehrgeizige Außenminister Joschka Fischer organisierte nach der anscheinenden Vernichtung des Talibanregimes eine Berliner Vorkonferenz, der die Konferenz auf dem Petersberg, ( 27.11. bis 5.12. 2001), folgte. Unter den Auspizien der Vereinten Nationen wurden von den USA die Nordallianz als wichtigste politische Kraft und in der Interimsregierung der Alibi-Pashtune Hamid Karzai als Interimspräsident durchgesetzt. Zum Schutz dieser Institutionen sowie der geplanten loya jirga wurde vom Sicherheitsrat am 20.12.2001 die Errichtung der International Security Assistance Force (ISAF) beschlossen. Ein Vorauskommando der Bundeswehr wurde im gleichen Monat nach Afghanistan geschickt, u.a. auch das KSK (Kommando Spezial Kräfte). Die ISAF hatte zunächst die Aufgabe, Kabul und Umgebung sowie die UN-Einrichtungen und die humanitäre Arbeit von NGOs zu sichern. Bundeswehr führte die ISAF-Truppen Die Bundeswehr übernahm die taktische Führung der ISAF, Mitte 2003 zusammen mit den Niederlanden deren Oberkommando. Sie wurde zunächst vom deutschen Kontingent geführt. Ende 2003 wurde das ISAF-Mandat auf ganz Afghanistan ausgedehnt, nachdem im August die NATO die Führung der ISAF übernommen hatte. In diesem Zusammenhang übernahm die Bundeswehr Nordafghanistan als Sicherheitszone. Außer dem Hauptstandort Mazar-e-Sharif wurden Stützpunkte für PRT (Provincial Reconstruction Teams) in Kunduz und Faizabad eingerichtet. Die PRT sind keine deutsche Erfindung: Im Frühjahr 2002 erfuhr ich von meinem Freund Hakim Taniwal per Satellitentelephon, dass er als Gouverneur von Khost gemeinsam mit den US-Militärs ein Konzept zur Verbindung von repressiven Aktionen gegen Al Qaida und Taliban mit konstruktiven Projekten im Bereich von Infrastruktur und Landwirtschaft entwickelt hatte. Ich teilte ihm spontan mit, dass ich diese Vermischung von militärischen und zivilen Tätigkeiten als eine Bedrohung für die Sicherheit der NGOs halten würde. Nachdem am 7.6.2003 ein Bundeswehrbus von einem Suizidauto gesprengt wurde (vier Tote, zahlreiche Verletzte), hatte sich das deutsche Kontingent auf Patrouillenfahrten und den Selbstschutz konzentriert. Während britische und US-Streitkräfte seit 2005 ihre Operationen im Süden und Südosten des Landes intensivierten, konnten die Deutschen im zunächst als sicher geltenden Norden ihre Projekte durchführen. Deutsches Militär baute Brücken, Straßen und Kanäle und Schulen – als ob die Afghanen dies nicht selbst tun könnten. Bis 2007 schien die Bundeswehr vom traditionellen Deutschen-Bonus profitieren zu können. Das änderte sich, nachdem der Deutsche Bundestag trotz zahlreicher Warnungen am 9.3.2007 dem Einsatz von sechs Tornados zur Luftaufklärung zugestimmt hatte. Am 19.5.2007 werden bei einem Suizidanschlag im Bazar von Kunduz drei Bundeswehrsoldaten getötet und fünf weitere schwer verletzt. Seitdem nehmen Überfälle und Anschläge auf deutsche Soldaten zu trotz steigender Mannschaftszahlen. Bombardierte Tanklastzüge Das krasse Versagen der deutschen Einsatzführung bei der von ihr veranlassten Bombardierung von zwei Tanklastzügen in der Nacht zum 4. September 2009 bei Kunduz, bei der etwa 125 Tote, davon mindestens zwei Dutzend „Zivilisten“ zu beklagen sind, erzwingt eine Revision der bisherigen auf Selbstschutz und technische Hilfe konzentrierten deutschen Strategie. Das Hinausschieben der Exit-Diskussion ist nicht länger vertretbar. Als Erstes müssten jetzt nach einer umfassenden Aufklärung des Bombardements von Taliban wie auch von arglosen Einheimischen Verhandlungen mit den betroffenen Familienverbänden über Wiedergutmachung und Versöhnung geführt werden. Das kann aber nur ein Anfang sein. Zunächst muss die Illusion aufgegeben werden, die NATO könne den Afghanen durch den Aufbau einer Armee von 250.000 Mann und einer starken Polizei die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übergeben. Die mittelfristig einzige realistische Möglichkeit besteht in der Übertragung von Sicherheitsaufgaben auf regionale Ordnungskräfte (Stammes- und städtische Milizen). Scheitern die Verhandlungen über einen geordneten Rückzug, die (durch finanzielle Zusagen) verstärkt mit Garantien für Mädchen-und Frauenbildung verbunden werden können, so ist auf die Dauer eine katastrophale Beendigung der zur Einsatzarmee transformierten Bundeswehr zu befürchten. Deutschland hat die Chance, als Vermittler zu wirken, vertan Am 4.12.2002 behauptete Verteidigungsminister Struck in bodenloser Unkenntnis der regionalen Verhältnisse: „Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Dieser Satz ist so wahr wie Willy Brandts Diktum: „Die Freiheit Westberlins wird in Saigon verteidigt.“ Durch den subalternen Einsatz der Bundeswehr ist das Gegenteil von Strucks Behauptung eingetreten. Jetzt mehren sich die Anzeichen für eine wachsende Bedrohung deutscher Ziele durch Islamisten. Was aber schwerer wiegt, ist, dass die deutsche Politik die Chance vertan hat, durch militärische Abstinenz als Vermittler im Afghanistankonflikt wirken zu können. An diesem Versagen tragen die grünen Bellizisten eine erhebliche Mitschuld, auch wenn sie sich angesichts des jetzigen Desasters als Vertreter eines besonnenen Exits ausgeben. Völlig ungeeignet für einen verantwortbaren Exit ist der augenblickliche Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung. Seine jetzige Funktion erhielt er als Kompensation für seinen Rücktritt als Minister der hessischen Koch-Regierung. Mit seinem Rücktritt sollte der Parteispendenskandal Kochs verdeckt werden, nachdem er zuvor schon mit der xenophoben Doppelpasskampagne Koch zum Wahlsieg verholfen hatte. Jung ist insbesondere vorzuwerfen, dass er sich bis zum jetzigen Zeitpunkt weigert, anzuerkennen, dass die ihm unterstellten Soldaten sich im Kriege befinden. Dringlichste Forderung ist, dass keine afghanischen Kriegsflüchtlinge ausgewiesen werden, so lange die Sicherheitslage in Afghanistan derart schlecht ist. |