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Des Generals merkwürdiger Plan
POLITIK | ANALYSE & KOMMENTAR (20.03.2010)
Von Christian Sigrist †
Nur ein militärischer Erfolg innerhalb eines Jahres könne das Scheitern der internationalen (d.h. US-geführten, Anm.d.Verf.) Intervention in Afghanistan verhindern. Das sagte der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte McChrystal - vor sechs Monaten. Eine Halbzeitkritik:

Grundlage für diese Kritik ist des "Commander’s Initial Assessment" vom 30. August 2009. Diese 33-seitige Schrift von US-General Stanley A. McChrystal ist einerseits eine Lagebeurteilung, andererseits eine Kursvorgabe. Es geht um eine neue Form der Aufstandsbekämpfung ("Counter Insurgency") in Afghanistan, näher an der einheimischen Bevölkerung und mit weniger zivilen Opfern. Doch schon wenige Tage später, am 4. September konterkarierte der deutsche Oberst Klein diese Pläne. Eine von ihm angeordnete Bombardierung von geraubten Tanklastzügen in der Provinz Kunduz riss etliche Zivilisten in den Tod. Dieses schreckliche Ereignis ließ Zweifel an der Umsetzbarkeit von McChrystals Plan aufkommen und überdeckte in öffentlichen Debatten über den deutschen Afghanistan-Einsatz so manche Merkwürdigkeit am Papier des US-Commanders.

nato.int

General Stanley A. McChrystal (c) nato.int

Auffallend etwa sind die Inititalen im Titel: C.I.A. Es ist die gleiche Abkürzung wie die des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency, eine Organisation, deren schlechter Ruf ihr voraus eilt. Bemerkenswert ist außerdem, dass McChrystal sich auf diesem Papier als "Commander NATO International Security Assistance Force, Afghanistan US Force" bezeichnet. Er nimmt damit für sich die Funktion als Oberbefehlshaber aller in Afghanistan operierenden ausländischen Streitkräfte voll in Anspruch - einschließlich der völkerrechtswidrigen Konglomerierung der UN-mandierten ISAF mit der eigenmächtigen US-Operation Enduring Freedom.

Die ISAF-Truppen werden zu einem subalternen Ensemble von Vasallen-Kontingenten degradiert. Die fehlende Kohärenz der neuen Strategie schlägt sich in bemerkenswerten Sprachblüten nieder: So wird die angestrebte Einbeziehung afghanischer Streitkräfte mit dem Begriff des "partnering" markiert - immerhin eine sprachliche Innovation, welche das Chimärische des Gesamtunternehmens bloßlegt.*

Auf welcher Seite die Afghanen stehen

McChrystal geht davon aus, dass die Aufständischen nicht in der Lage sind, die Alliierten militärisch zu besiegen. Ein „short-term fight“ sei gleichwohl entscheidend für den angestrebten Erfolg der Strategie. Die Strategie verlegt den Fokus in die Bevölkerung, von der sich das Militär nicht mehr abschirmen dürfe. McChrystal sieht als einen “Kern-Vorteil” für die Umsetzung der neuen Strategie die behauptete Tatsache, dass die Mehrheit der Afghanen keine Rückkehr der Taliban wünscht. Er zitiert den afghanischen Verteidigungsminister Wardak, dass die Afghanen die ISAF und die anderen Truppen nicht als Besatzer sehen und dass deswegen auch der Mythos von Afghanistan als Friedhof der Empire hinfällig wird. Gleichwohl betont er den Ernst der Lage und fordert einen “fundamentally new approach”.
Zunächst müsse die "culture of poverty", welche die "underressourced" Streitkräfte plagt, überwunden werden. Es geht ihm also um mehr und den Bedingungen besser angepasstes Equipment. Außerdem müssten die militärischen Einsätze der vielen Kontingente besser koordiniert werden. Die Besonderheit der "Insurgency" in Afghanistan sieht er in ihrer Komplexität, die in der Verschiedenheit miteinander verbundener Aufstände liegt. Insgesamt handele es sich nicht mehr nur um jahreszeitlich begrenzte Konflikte. Die Bedrohung durch die Taliban, die eine Schattenregierung darstellen, sei permanent.

Die Aufständischen lassen sich nur als Objekte der Bekämpfung bestimmen, weil mit dem Petersberg-Abkommen eine international anerkannte (zunächst interime) Regierung, deren Präsident von den USA als Alibi-Pashtune eingesetzt wurde, durch eine Serie von Präsidentschafts-, Parlaments- und Provinzialwahlen eine Scheinlegitimität erlangt hat. Dabei räumt McChrystal selbst ein, dass auch die letzten Wahlen weit davon entfernt waren, "perfekt" zu sein. Damit entfällt aber auch die Legitimation für die internationale Intervention.

Das angestrebte Ziel, eine Bedingung herzustellen, in der der Aufstand die "Viabilität des Staates" nicht mehr gefährden kann, geht von einer unrealistischen Annahme aus: Der als Puffer geschaffene Territorialstaat Afghanistan war nie viabel; das heißt, ihm fehlen dauerhaft die Ressourcen, die erforderlich sind, um die von einem modernen Staat erwarteten Entwicklungsvorhaben zu realisieren. Der General unterstellt einfach, dass die Afghanen einen "sense of national identity" haben. Während der 1980er Jahre bestand durch den antisowjetischen Widerstand dafür eine gewisse Chance, die aber durch den pakistanischen Geheimdienst und die von ihm unterstützten Mujaheddin-Parteien vertan wurde. Das nach dem 11. September 2001 eingegangene Bündnis der USA mit der nicht-pashtunischen Nordallianz hat den politischen Graben zwischen dieser und den Pashtunen enorm vertieft. Die afghanische Regierung hat nicht einmal das traditionelle Gemeinwesen zu erreichen vermocht. Hinzu kommt das Fehlen eines arbeitsfähigen Rechtssystems: In der raschen Erledigung von Streitigkeiten liegt aber eine der Stärken der Taliban.

Einbeziehung lokaler Milizen

Die Operationen müssen McChrystal zufolge im ersten Stadium die Initiative gewinnen und die Dynamik des Aufstandes aufbrechen. Zentral ist dabei ein radikal ausgeweitetes und eingebettetes “partnering” mit den afghanischen Sicherheitskräften. Die afghanische Nationalarmee soll dadurch im Herbst 2011 auf eine Stärke von 134.000 und danach von 240.000 gebracht werden. Die Zielvorgabe für die afghanische nationale Polizei ist 160.000. Voraussetzung für dieses “partnering” ist eine vermehrte kulturelle Expertise; dazu gehört auch, dass das Schlüsselpersonal der ISAF eine Ausbildung in den lokalen Sprachen erhält (das ist zumindest für Pashtu wegen seiner extrem schweren Erlernbarkeit unter diesen Bedingungen unrealistisch).
Der aktuelle Feldzug in der Helmand-Provinz soll zeigen, ob die neue Strategie umgesetzt werden kann. Ob es mehr als ein Signal ist, soll sich entscheiden am Erfolg der zweiten, noch bevorstehenden Kampagne, in der die Aufständischen auch in der Provinz Kandahar besiegt und definitiv vertrieben werden müssten. Bestandteil der Strategie ist eine engere Zusammenarbeit mit lokalen Autoritäten und Milizen.

Durch die symbolische Unterwerfung der Provinz (Hissen der afghanischen Flagge nach der Einnahme von Marjah) ist keine dauerhafte und schon gar nicht produktive Integration in den afghanischen Staatsverband erreicht worden. Selbst wenn die Opium-Produktion stark eingeschränkt werden sollte, so kann das allenfalls dazu führen, dass die Produktion in andere Regionen verlagert wird.
Das nächste Etappenziel, nach der äußerlichen "Befriedung" der Helmand-Provinz die Provinz Kandahar von Aufständischen zu säubern und sie dauerhaft der Kontrolle der Institutionen des afghanischen Staates zu überlassen, muss als unrealistisch eingeschätzt werden. Während der sowjetischen Besatzung waren nur der Flughafen und wenige befestigte Stellungen in Kandahar unter permanenter Kontrolle der sowjetischen Armee. Ansonsten galt: Nur tagsüber übten diese die Kontrolle über das Stadtgebiet aus, nachts herrschten die Mujaheddin.
Die Erfolge in Helmand und im Gebiet von Kunduz wurden durch die Einbeziehung von Milizen (arbaki) in die Operation erreicht. Dauerhafte Stabilisierung lässt sich so nicht erreichen, die lokalen Kommandanten und Warlords werden auf Dauer ihre eigenen Interessen verfolgen, sodass die partikularistischen Zustände, wie sie während der Mujaheddin-Epoche herrschten, wiederhergestellt werden.



* Die Einschätzungen des Autors hat die Redaktion durch eine kursive Schrift kenntlich gemacht, um sie von der Lagebeurteilung McChrystals besser unterscheiden zu können.

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