Befürworter militärgestützter Interventionen
POLITIK | KRITIK AN TOM KOENIGS (25.12.2012)
Von Christian Sigrist † | |
Die internationale Gemeinschaft soll nicht wegsehen, wenn in einem Land Völkermord droht oder schon begangen wird, schreibt der Politiker Tom Koenigs in einem Zeitungsartikel. Er fordert "zur Abschreckung und als ultima ratio" auch militärische Mittel. Die hält unser Autor für ungeeignet und kritisiert Koenigs. Tom Koenigs (c) Pressefoto In seinem Artikel "Ohne die Uno geht es nicht" (28.11.12) versucht der Grünen-MdB und Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses die präventiv eingesetzte "Responsibility to Protect" (Schutzverwantwortung) als Alternative zur gescheiterten Intervention in Afghanistan zu entwickeln. Er merkt nicht einmal, dass er ein Schutztruppenkonzept vertritt, dessen historische Hypothek verdrängt wird. Im Sinne von General McChrystal Koenigs ist nicht vorzuwerfen, dass er das Scheitern der westlichen Afghanistanpolitik nicht abwenden konnte, wohl aber, dass er dies nicht frühzeitig angekündigt hat, z.B. mit einem spektakulären Rücktritt von seiner UN-Mission. Stattdessen befürwortet er eine Strategie, mit der schon der einstige Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan, General McChrystal, gescheitert ist. McChrystal nannte sie "Counter Insurgency". Koenigs verwendet diesen desavouierten Begriff zwar nicht, meint aber das Gleiche: die frühzeitige Prävention von Aufständen. Das Schutztruppenkonzept geht laut Koenigs nicht ohne die UNO. Ihre Menschenrechtscharta ermöglicht eine Rechtfertigung militärischer Intervention, die in Wirklichkeit machtpolitisch gesteuert ist. "Schwere" Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, übersteigt die Möglichkeiten von Militärbündnissen und der UNO. Weibliche Genitalverstümmelung gehört sicher zu dieser Kategorie. Ihre rapide Abschaffung würde die Besetzung weiter Teile Afrikas und Vorderasiens erfordern. Die Überwindung dieses Unrechts kann nur mit friedlichen Mitteln erfolgen, d.h. mit einer qualitativen Verbesserung der Entwicklungsprogramme. Souveränität von Staaten Ausgerechnet die UNO soll dem Ausbruch gewaltsamer Konflikte vorbeugen? Sie hat den Palästinakonflikt auf Dauer gestellt, den Koreakrieg zugunsten der USA moderiert. Im Kongo war sie Komplizin bei der Ermordung Patrice Lumumbas. Ganz zu schweigen von Afghanistan. Durch Verweis auf Menschenrechtsfragen soll die Souveränität von Staaten aufgebrochen werden, während gleichzeitig Großmächte, allen voran die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, sich jeder Kontrolle entziehen. Koenigs will Konflikte präventiv abwenden - er meint wohl militärische Konflikte. Gesellschaften konstruieren und entwickeln sich durch Konflikte, selbst gewaltsame. Externe Einmischungen stören diesen Prozess. Der Genozid in Ruanda wäre durch militärische Intervention nicht zu verhindern gewesen - es fehlte vor allem an einem objektiven Verständnis des regionalen Konflikts und einer kompensatorischen auf Interessenausgleich beruhenden Entwicklungspolitik. Deutsche Afghanistan-Politik Wie wichtig ein objektives Verständnis von Abwärtsspiralen in Krisenregionen ist, zeigt sich ex negativo an einem 2010 im Internet veröffentlichen Beitrag von Koenigs über "Deutsche Afghanistan-Politik nach der Londener Konferenz". Er stellt die von McChrystal 2009 proklamierte Strategie als Fortschritt dar, die allerdings zu spät komme. Koenigs hat vom realen Ablauf des afghanischen Dramas keine Ahnung. Er meint, diese Strategie hätte schon in den Jahren 2002 und 2003 verfolgt werden sollen. Dabei übersieht er, dass der US-Sieg über das Taliban-Regime nicht das Ende der Präsenz und der Macht der Taliban war. Diese ließen sich von den Interventionstruppen überrennen, ohne ihre klandestinen Stützpunkte in Kabul und vielen Landesteilen aufzugeben. Vermischung militärischer und humanitärer Intervention Das Provincial Reconstruction Team (PRT)-Modell wurde von den Amerikanern schon 2002/2003 in der Provinz Khost angesetzt, ohne damit die Unterstützung der "befreiten” (Koenigs) Bevölkerung zu gewinnen und den Zustrom von Taliban aus Pakistan eindämmen zu können. Die Vermischung von militärischer Intervention und humanitärer Hilfe gefährdete die humanitären Nicht-Regierungsorganisationen. Koenigs verweist auf die neue US-Strategie, um die Konzeptionslosigkeit der deutschen Afghanistanpolitik zu kritisieren und überschätzt die Bedeutung der "neuen Strategie". Die Entlassung McChrystals Mitte 2010 machte deren Scheitern offensichtlich. Erstaunlich an dem Text von Koenigs bleibt, dass er das von Oberst Klein verantwortete Massaker an rund 140 Afghanen bei Kunduz in einer Fußnote ohne jeden ethischen Kommentar erwähnt und nicht darauf hinweist, dass dieses Verbrechen kurz nach McChrystals Proklamation von diesem als ruinös für seine Strategie verurteilt wurde. In diesem Text faselt Koenigs auch vom fehlenden "Staatsgeist" der Afghanen. Die Zeit der Stammesherrschaft ist nicht vorbei, Herr Koenigs In einem Interview mit der Deutschen Welle Anfang März 2012 setzt er immer noch auf die Herstellung des Gewaltmonopols des Staates und dekretiert auf die Frage der Interviewers nach den "Stammesrepubliken", die Zeit der Stammesherrschaft sei zu Ende und existiere nur noch in rückständigen Gebieten. Er hat nicht begriffen, dass Afghanistan und die pashtunischen Siedlungsgebiete in Nordwestpakistan ein solches "rückständiges" Gebiet darstellen. Koenigs hätte sich besser vom Sanitätsoberst a.D. Reinhard Erös Rat eingeholt. Der hat bisher 30 Schulen erbauen lassen, und die Eröffnung der Journalismus-Fakultät für Frauen an einer von ihm finanzierten Universität steht bevor. Er kann behaupten, dass er und seine Familie mit ihren Spendensammlungen mehr für Afghanistan zuwege gebracht haben als die UN-Organisationen und NGOs zusammen. Die UN und in wachsendem Maß auch die NGOs werden in ihrer Wirksamkeit durch bürokratische Strukturen behindert und lassen nur einen kleinen Bruchteil ihrer Mittel den Menschen in Krisengebieten zugute kommen. Erös hat sich auf die Kultur der Pashtunen eingelassen, Tee auch mit Fundamentalisten getrunken und so ohne Militärschutz die mit der Bevölkerung beschlossenen Projekte verwirklichen können. Im Deutsche Welle-Interview meint Koenigs, das Scheitern der Nato in Afghanistan würde übertrieben, Afghanistan sei zwar ein unsicheres Land, aber das städtische Leben in Kabul, abgesehen von einigen Anschlägen, normal. Er plädiert für humanitär begründete Interventionen, selbst wenn sie missglücken. Man sollte klarer formulieren: Koenigs befürwortet militärgestützte Interventionen, auch wenn sie schwere Schäden anrichten. |