"Pakistan ist gespalten, der Putsch nur eine Frage der Zeit"
POLITIK | UNTER VIER AUGEN (23.06.2009)
Von Michael Billig | |
Pakistans Präsident Zardari vor dem Sturz, das Land vor dem Zerfall - das behauptet Christian Sigrist. Im Interview mit iley reist der Soziologe in die Geschichte des Nachbarlandes Afghanistan. Denn dort glaubt er die Gründe für das Chaos von heute zu finden. Bewaffnet, aber nicht im Kampf: Christian Sigrist (5.v.r.) 1991 umgeben von befreundeten Paschtunen. Das erste Mal war er von September 1966 bis April 1967 in Afghanistan gewesen. (c) Sigrist Sigrist: Keineswegs. Die Entführung der Polizeischüler in der Nähe von Bannu am Rande Südwaziristans war eine Demütigung für die pakistanische Regierung. Die Rückeroberung des Swat-Tals ist ein vorübergender Prestigeerfolg, der aber teuer erkauft wurde. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Durch die Kämpfe wurde eine durch ihre Art Déco-Architekur einmalige Stadt in der Region, Mingora, weitgehend zerstört. Ich denke, die Tage von Präsident Zardari dürften gezählt sein. iley: Sie glauben, dass Zardari gestürzt wird. Woher nehmen Sie diese Vermutung? Sigrist: Er ist ein Krimineller. Nur sein Status als Witwer von Benazir Bhutto hat ihn in diese Position gebracht. Das Militär ist sein Problem. Die Armee ist ethnisch gespalten. Viele Paschtunen, die größte Volksgruppe Afghanistans, dienen im pakistanischen Heer. Die Armee ist die Klammer, die den pakistanischen Staat zusammenhält. Das Gebiet des Swat-Tals, das einst autonom war, wurde beispielsweise 1969 von Pakistan annektiert. iley: Wie weit in der Geschichte müssen wir zurückgehen, um zu verstehen, was gerade in Afghanistan und Pakistan passiert? Sigrist: Das geht bis auf die britische Kolonialzeit zurück: Zum 1747 von dem Paschtunen Ahmed Shah Durrani gegründeten afghanischen Königreich gehörten damals noch Gebiete im Westen des heutigen Pakistans und Kashmir als Vasallen. Zeitweilig auch weite Teile Indiens. Die Briten zerstörten die der europäischen weit überlegene bengalische Manufaktur, um Konkurrenz loszuwerden und den indischen Markt zu erobern. Das war der Anfang vom Niedergang Afghanistans als Fernhandelsdrehscheibe. iley: Was hat die Zerschlagung der bengalischen Manufaktur mit dem Afghanistan zu tun, was wir heute kennen? Sigrist: Eine wirtschaftliche Grundlage des Köngreiches lag am Boden. Kabul war bis dahin ein wichtiger Knotenpunkt auf der Seidenstraße gewesen. Afghanistan ist seitdem geschwächt. Kashmir fiel unter britische Kontrolle und wurde zur Sommerresidenz der Kolonialherren und reichen Kaufleute aus Delhi. Die Briten eroberten mit Hilfe der Sikh-Armee Peshawar und die fruchtbare Indus-Ebene, bis heute ein Kernsiedlungsgebiet der Paschtunen. Auf der pakistanischen Seite leben heute mehr Paschtunen als in Afghanistan. In Afghanistan sind sie aber noch immer das stärkste Volk. Deshalb sind die Probleme Afghanistans nicht erst seit den Kämpfen im Swat-Tal auch die Probleme Pakistans. iley: Deshalb haben die Taliban bei ihrem Rückzug aus Afghanistan in Pakistan Unterschlupf gefunden... Sigrist: Ein Großteil der Taliban kam ja aus Pakistan. Die jungen Kämpfer waren Waisen aus der Zeit des Kriegs mit der Sowjetunion. Das sind im Wesentlichen Paschtunen. Deswegen hat es auch nie ein isoliertes Afghanistan-Problem gegeben. Es ging immer auch um Pakistan. iley: Deutsche Politiker betonen, dass viele Millionen Afghanen ihre Hoffnung auf die Bundeswehr setzen. Sind die Deutschen immer noch willkommen? Sigrist: Dass es Afghanen gibt, bei denen die Deutschen besser angesehen sind als die Amerikaner, ist sicher. Vor allem die Frauen hoffen, dass die Deutschen nicht abziehen. Sofort raus dem Land, wie es die Linke fordert - das geht rein technisch und organisatorisch sowieso nicht. In Afghanistan sind fast 4000 deutsche Soldaten. Das ist ein Dilemma. Und all das, was als Ziel proklamiert wurde, ist nicht erreichbar. Joschka Fischer hatte keine Ahnung von der Region, aber hat den Amerikanern bei der Konferenz auf dem Petersberg eine Plattform geboten. Die dort präsentierten Vereinbarungen und die Interimspersonalie Karzai waren ein Diktat der Amerikaner. iley: Finden Sie die zivile Aufbauhilfe nicht lobenswert? Sigrist: Die zivile Aufbauhilfe ist viel Gerede. Man muss verhandeln, gerade mit den Extremisten. Auch mit ihnen sind Kompromisse möglich. Beispielsweise, dass Frauen studieren können sollten. iley: Sonst war der ganze Einsatz vergeblich? Sigrist: Ich will das mal so beantworten: Millionen junger Menschen können wieder zur Schule gehen. Das ist sicher gut. Die Zahlen über die Ausbildung der Mädchen sind aber geschönt. Es gibt große regionale Unterschiede, in vielen Regionen wurden Schulen wieder abgefackelt, Lehrer und Schülerinnen ermordet. Von den Hilfsgeldern des Westens ist nur ein ganz geringer Teil in Afghanistan angekommen. Jeder Liter Mineralwasser für die NATO muss eingeflogen werden. Die Einführung demokratischer Institutionen ist nur teilweise gelungen. iley: Aber 2005 hat es demokratische Wahlen gegeben und am 20. August dieses Jahres werden die Afghanen wieder zu den Urnen gerufen. Sigrist: Die Bedingungen 2005 ließen ordentliche Wahlen nicht zu. Erstens war das Land völlig zerstört, zweitens nicht völlig befriedet. Es wurden Kriegsverbrecher - sowohl Paschtunen als auch von der Nordallianz - und Warlords wie Badsha Khan ins Parlament gewählt. Der usbekische Kriegsverbecher General Dostum ist im Beraterstab des Präsidenten. Die Umstände haben Karzai zu einer Karikatur politischer Macht gemacht. Der Präsident kann seinen Palast nur per Hubschrauber und unter Schutz verlassen. Er ist den Geruch einer Marionette der Amerikaner nicht losgeworden. Hinzu kommt, dass die moderaten Kräfte ständig bedroht werden. Das interethnische Klima hat sich verschlechtert, Nation Building kann so nicht gelingen. iley: War der Angriff der Amerikaner auf Afghanistan ein Fehler? Sigrist: Es war ein Fehler, Afghanistan war ja für die Anschläge des 11. September 2001 nicht verantwortlich. Genauso gut hätten die Amerikaner Hamburg bombardieren können, wo das Attentat auf das World Trade Center geplant wurde. Dieser massive Angriff auf ein Land war völkerrechtlich nicht gerechtfertigt. Bush hätte über die Ausweisung von Osama bin Laden verhandeln können, aber er hatte keine Zeit. Im Orient braucht man Zeit. iley: Die Amerikaner erwarteten doch womöglich eine Reaktion von ihrem Präsidenten. Sigrist: Von vornherein war klar: Aus der Luft war Afghanistan nicht zu besiegen, stattdessen kosteten die Bombardements viele zivile Opfer. Die Amerikaner haben auf Hochzeitsgesellschaften gefeuert und für Getötete 25 Dollar Blutgeld bezahlt. Kein Wunder, dass sich viele Afghanen, die nicht unbedingt für die Taliban waren, gegen die Besetzer wendeten. Als die Deutschen Zivilisten erschossen haben, haben sie eine halbwegs angemessene Entschädigung gezahlt, aber Geld allein reicht auch nicht aus: Eine afghanische Versöhnungszeremonie setzt traditionell zwei Jungfrauen, einen Bittgang und eine gewisse Anzahl Ziegen voraus. Das Mindeste ist aber eine persönliche Entschuldigung - die kam aber nur zögerlich zustande. iley: Können die Afghanen unter diesen Umständen den Krieg gegen das Regime der Taliban noch als Befreiung empfinden? Sigrist: Nein. Die Amerikaner wollten Afghanistan unter ihre Kontrolle bringen, allerdings mit den Bodentruppen der Nordallianz. Und das war ein Affront gegen die Paschtunen. Die Paschtunen waren ihre einstigen Verbündeten im Kampf gegen die sowjetische Armee. Gegen die Absprache mit den Amerikanern hatte die Nordallianz auch noch Kabul eingenommen. Wer die Geschichte des Landes kennt, weiß dass Afghanen eine längere Besetzung nicht akzeptieren, wenn es ihren Interessen nicht dient. iley: Sie denken dabei an die Besetzung durch die sowjetische Armee. Sigrist: Oder die Versuche der Briten, das Afghanische Königreich zu unterwerfen. Es gab drei anglo-afghanische Kriege. 1841/42 begehrten die Briten das Land als Kolonie, 1879/80 als Puffersstaat zu den Russen. Aus dem Krieg von 1919 ist Afghanistan als der souveräne Staat in den Grenzen von heute hervorgegangen. Allerdings als ein nicht viabler Staat, einer, der immer abhängig war von äußerer Unterstützung. iley: Vieles hängt von Pakistan ab. Wie wird es ihrer Meinung nach dort weitergehen? Sigrist: Das politische System ist total instabil, das Land ethnisch gespalten und der Militärputsch daher nur eine Frage der Zeit. Die Familie des Präsidenten und die Bhutto-Familie gehören zu den größten Grundbesitzern Pakistans und predigten immer soziale Gerechtigkeit. Sie tun aber nicht, was sie tun könnten, zum Beispiel freiwillige Landverteilung. Die politische Klasse ist korrupt, die einzige Klammer ist das Militär. Die Armee hat durch die Atombombe ein über Pakistan hinausragendes bedrohliches Schwergewicht. iley: Das Militär war auch immer ein Gefahrenherd für Zardaris Vorgänger, Musharaf. Wie ließen sich Generäle zähmen? Sigrist: Wenn das Kaschmir-Problem durch ein Referendum unter Aufsicht der UN gelöst würde, würde die pakistanische Armee an ihrer Legitimation und Macht einbüßen. Es bleibt aber auch dann fraglich, ob der Zerfall des pakistanischen Staates und die Bildung separater Staaten wie Balutschistan noch verhindert werden kann. Vielen Dank für das Gespräch! |