Frieden schaffen sieht anders aus
POLITIK | KOMMENTAR zum Fall Kunduz (08.08.2010)
Von Christian Sigrist † | |
Nach monatelangen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, jeder Familie, die durch den Luftangriff von Kunduz am 4. September 2009 zivile Todesopfer zu beklagen hat, 3800 Euro zu bezahlen. Das allein reicht aber nicht, wenn man wirklich Frieden schaffen will. Bei der Mehrzahl der Opfer des im besten Fall unverantwortlich zu nennenden Luftschlag-Massakers bei Kunduz handelt es sich um Pashtunen, die sich hier außerhalb der Hauptsiedlungsgebiete ihres Volkes niedergelassen haben. Das Pashtunwali, ihr Werte- und Rechte-Code, setzt für eine Versöhnung nach Mord oder Totschlag einen Bußgang (nanawati) zu den Hinterbliebenen voraus. Dabei sind Rinder, Schafe und Ziegen als Wiedergutmachung zu übergeben, dazu eine oder zwei Jungfrauen, (um die es in diesem Fall nicht gehen kann). Ein Teil des Viehs konnte auch früher schon in Geld entrichtet werden. Unabhängig davon, wieweit das im Übrigen von Stamm zu Stamm variierende Pashtunwali die Wirren des 30-jährigen Krieges in der Provinz Kunduz überstanden hat, würde es sich bei einem Bußgang um ein sinnvolles Anknüpfen an alte Rechtstraditionen handeln, die den Ältesten und somit manchen Entscheidungsträgern noch präsent sind. Die Bundesregierung will die monetäre Entschädigung als "Unterstützungsleistung" erbringen "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht". Getreu der These von Afghanistan als rechtsfreiem Raum wird verkannt, dass die “Kompensation” der Wiederherstellung des Rechts und der Verhinderung von Blutfehden dient. Das bloße Feilschen um Entschädigung ohne den rechtsförmigen Abschluss gilt als Verkaufen der Toten. Die Bundesregierung täte gut daran, die Rechtsfriedens-Chance nicht durch diskriminierende Einschränkung zu vertun. |