Der Poker-Boom: einige kritische Anmerkungen
GESELLSCHAFT | SUCHTFORSCHUNG (15.09.2008)
Von Tobias Hayer | |
Seit mehreren Jahren erlebt das Pokerspiel auch in Deutschland eine regelrechte Renaissance. Während Poker bis vor kurzem vorwiegend mit zwielichtigen Gestalten in Hinterzimmern und dem halbkriminellen Milieu assoziiert wurde, ist das Checken, Raisen und Folden mittlerweile zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung vieler Bundesbürger geworden. Dabei bieten sich in Abhängigkeit der individuellen Vorlieben sowohl offline, zum Beispiel in Spielbanken oder im Bekanntenkreis, als auch online unzählige Spielmöglichkeiten sowie verschiedene Pokervarianten an. Verantwortlich für den weltweiten Poker-Boom sind im Wesentlichen drei Faktoren: a) die Übertragung von Poker im Fernsehen mit Tischkameras und die hiermit verknüpfte gesellschaftsfähige Vermarktung als Sport; b) die Verfügbarkeit des Internets und somit die Gelegenheit, im eigenen Wohnzimmer oder von einem anderen beliebigen Ort aus zu ‚zocken’ sowie c) der „Chris-Moneymaker-Effekt“ bzw. der Traum des kleines Mannes: Gerade Pokerspieler, die wie Chris Moneymaker als relative Neulinge millionendotierte Turniere gewinnen konnten, üben eine große Faszination aus und stellen – medial geschickt inszeniert – beliebte Rollenmodelle dar, denen nicht nur von Jugendlichen nachgeeifert wird. Verlusten hinterher jagen Aus der Perspektive der Suchtforschung hat dieser Trend jedoch ebenfalls seine Schattenseiten, die von bestimmten Interessensgruppen in der Öffentlichkeit zumeist negiert werden. Wie bei jedem Wie gewonnen so zeronnen: Beim Poker wird so getan, als gewinne der Beste und verliere der Schlechteste. Dabei spielt der Zufall gewaltig mit. (c) pixelio.de Pokern im Netz Wie an anderer Stelle bereits ausführlich diskutiert, bergen Glücksspiele im Internet grundsätzlich spezifische Suchtgefahren (vgl. Hayer, Bachmann & Meyer, 2005). Die Chance, zu jeder Uhrzeit von zu Hause oder dem Arbeitsplatz aus mit variablen Einsatzhöhen bargeldlos und ohne soziale Kontrolle zu ‚zocken’, kann Berührungsängste und Hemmschwellen sinken lassen, zu einem risikoreichen Verhalten führen und Phänomenen wie dem Kontrollverlust Vorschub leisten. Da sich das Pokerspiel zu einem lukrativen Geschäftszweig entwickelt hat, von dem in erster Linie die Anbieter und einzelne Werbeträger profitieren, liegt es aus deren Sicht nahe, die mit dieser Glücksspielform verbundenen Suchtrisiken zu verharmlosen. Zu diesen Strategien zählt unter anderem der Versuch, damit zu argumentieren, dass prinzipiell alle Verhaltensweisen – und somit natürlich auch das Pokerspiel – süchtig machen können. Diese wissenschaftlich nicht haltbare Rechtfertigung verkennt im Wesentlichen zwei Sachverhalte: Zum einen ist das pathologische Spielverhalten (pathological gambling) bislang das einzige Störungsbild aus dem Spektrum der sogenannten stoffungebundenen Suchterkrankungen, das in den internationalen Standardwerken zur Klassifikation psychischer Störungen auftaucht. Zum anderen bedeutet eine exzessiv betriebene Aktivität nicht zugleich eine Suchtproblematik. Vielmehr können Verhaltensexzesse symptomatisch für eine andere grundlegende Störung sein, wie zum Beispiel das exzessive Chatten beim Vorliegen einer sozialen Angststörung. Der "Zufall" wird verschleiert Als kontraproduktiv für die Suchtprävention stellt sich weiterhin die kommerzielle Vermarktung des Pokerns als Sport heraus. Insbesondere die Verschleierung des Einflussfaktors „Zufall“ auf den Spielausgang suggeriert den Spielinteressierten, dass mit einem gewissen Trainingsaufwand und dem Aufbau bestimmter Kompetenzen (z.B. ein sicherer Umgang mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung, angemessenes Taktieren oder eine ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit) schnell und einfach Geld zu verdienen sei. Jene Botschaft dürfte, gekoppelt mit tatsächlichen Erfolgserlebnissen, in erster Linie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen greifen und die Nachfrage nach dem Pokerspiel in dieser Altersgruppe wesentlich stimulieren. Dieser Umstand stimmt insofern bedenklich, als dass sich gerade die Gruppe der Jugendlichen als besonders gefährdet für die Entwicklung glücksspielbezogener Probleme erweist (vgl. Hayer & Meyer, 2008). Demzufolge bleibt für die Zukunft anzustreben, den Diskurs über die Folgen des Poker-Booms ausgewogener als bisher zu führen. Anstelle einer ausschließlich glorifizierenden, unreflektierten Vermarktung müssen die mit dieser Spielform verbundenen Suchtgefahren in der Öffentlichkeit verstärkt thematisiert und effektive Maßnahmen des Spielerschutzes (einschließlich der Gewährleistung manipulationsfreier Spielabläufe) implementiert werden. ----------------------------------------------------------- Quellen Hayer, T., Bachmann, M. & Meyer, G. (2005). Pathologisches Spielverhalten bei Glücksspielen im Internet. Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 28 (1-2), 29-41 Hayer, T. & Meyer, G. (2008). Problematisches Glücksspielverhalten. In H. Scheithauer, T. Hayer & K. Niebank (Hrsg.), Problemverhalten und Gewalt im Jugendalter. Erscheinungsformen, Entstehungsbedingungen, Prävention und Intervention (S. 164-179). Stuttgart: Kohlhammer Meyer, G. & Hayer, T. (2008). Poker – Glücksspiel mit Geschicklichkeitsanteil und Suchtpotential. Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht, 3, 153-160. |