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Drängende Fragen an...
GESELLSCHAFT | EXPERTENRUNDE (15.05.2008)
Von Michael Billig
... unsere Expertenrunde von der Staatlichen Lotterie, aus dem klinischen Bereich und von einer Suchtberatungstelle. Das Thema: Glücksspielsucht.

Toto-Lotto GmbH

Der höchste Einzelgewinn im Lotto 6 aus 49 mit 37.688.291,80 Euro ging 2006 an einen Mann aus NRW. (c) Toto-Lotto GmbH

...Klaus Sattler, Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden Württemberg

Herr Sattler, was macht das Lotto für Millionen Menschen so reizvoll?

Sattler: Was die Menschen am Zahlenlotto fasziniert, lässt sich sicherlich nicht mit nur einer Ursache erklären. Das Lotto 6 aus 49 ist ein für jedermann verständliches und einfaches Spiel. Mit einem kleinen Spieleinsatz von 75 Cent ist ein Millionengewinn und damit der Traum von finanzieller Unabhängigkeit möglich. Mit seiner mehr als 50-jährigen Geschichte weist es eine große Tradition auf und ist bei den Menschen fest verwurzelt. Den Spielteilnehmern ist bewusst, dass sie mit der Teilnahme am Lotto auch etwas Gutes tun, denn die Erträge aus den staatlichen Lotterien kommen dem Gemeinwohl zugute.

Denken Lottospieler wirklich so?

Sattler: Menschen agieren nun einmal nicht streng wirtschaftsrational, für sie spielen auch andere Motive eine Rolle. Nach den klassischen Wirtschaftstheorien sollten die Menschen ausschließlich Güter mit einem für sie positiven materiellen Nutzen bevorzugen. Doch den so genannten „homo oeconomicus“ gibt es in der Realität einfach nicht. Übrigens: Der Traum von den sechs Richtigen hat sich im letzten Jahr für immerhin 436 Glückspilze in Deutschland erfüllt.

Was raten Sie den glücklichen Gewinnern?

Sattler: Wir raten ihnen, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und ihre neue finanzielle Unabhängigkeit mit gesundem Menschenverstand anzugehen. Wir bieten jedem Großgewinner an, uns in der Lottozentrale zu besuchen. Dort hat er die Gelegenheit, sich Luft zu machen und alles von der Seele zu reden. Oft sind die Gewinnbetreuer von Lotto die ersten Menschen, mit denen der Gewinner in aller Offenheit reden kann.

Zum 1. Januar 2008 ist der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft getreten. Er besagt, dass das Wettmonopol beim Staate verbleibt - mit mehr Ausrichtung auf Suchtprävention und Spielerschutz. Wo liegen dennoch die größten Gefahren für Lottospieler ?

Sattler: Für die übergroße Mehrheit der vielen Millionen Lottospieler in Deutschland ist das Lotto 6 aus 49 nichts weiter als ein Freizeitspaß. Wenn das Lotto-Angebot in seiner jetzigen Form und Häufigkeit, also nur mittwochs und samstags, veranstaltet wird, ist es im Hinblick auf Suchtgefahren weniger problematisch. Jede andere Form würde das Problem verschärfen. Vor allem der schnelle Kick führt zur Euphorie, die süchtig machen kann. Daher sind bei den staatlichen Lotteriegesellschaften die Sportwetten und die tägliche Zahlenlotterie seit Anfang des Jahres nur noch mit einer Pflichtkundenkarte spielbar.

...an Bernd Sobottka aus dem klinischen Bereich, Klinik Schweriner See

Herr Sobottka, würden Sie das Glücksspiel als Rausch bezeichnen?

Sobottka: Nein, das würde ich nicht. Dieser Begriff ist in dem Zusammenhang nicht gebräuchlich.

Als Droge?

Sobottka: Auch nicht. Es gibt zwar zu einer Abhängigkeitserkrankung durchaus Parallelen, aber eben auch Unterschiede.

Wann bin ich dem Glücksspiel verfallen bin?

Sobottka: Wenn das Glücksspiel die Lebensführung beherrscht, wenn soziale, familiäre und berufliche Belange untergeordnet werden. Wenn Sie das Spielen am Automaten einer Verabredung mit Ihren Kindern vorziehen.

Würden Sie das auch als Krankheit bezeichnen?

Sobottka: Ja, wenn das Glücksspiel das Leben dominiert und zu massiven negativen Konsequenzen führt. Menschen, die zu uns in die Klinik kommen, sind in Extremfällen bereits durch Geldmanipulationen und Beschaffungskriminalität auffällig geworden.

Wie viele kommen denn?

Sobottka: Wir haben im Jahr rund 100 pathologische Glücksspieler, meistens welche, die an Automaten spielen. Es fallen aber auch Patienten auf, die ihre Zeit mit Computer-Spielen in einer großen Online-Gemeinschaft verbringen. Damit haben wir zunehmend zu tun.

Wie kann einem „Zocker“ geholfen werden?

Sobottka: Der niedrigschwelligste professionelle Zugang ist eine Suchtberatungsstelle. Dort gibt es immer mehr Experten, die sich auf Glücksspielsucht spezialisiert haben und auch Kontakte zu Selbsthilfegruppen herstellen können. Eine andere Möglichkeit stellen Psychotherapeuten dar. Patienten, deren Leben durch das Glücksspiel schon schwer beeinträchtigt ist, brauchen Abstinenzbedingungen mit stationärer Therapie.

... an Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspielsucht in der Suchthilfe der Caritas im Rhein-Kreis Neuss

Frau Verhoeven, können Sie Trends beobachten, welche Glücksspiele zurzeit stark angesagt sind?

Verhoeven: Ja klar. Der größte Teil der Menschen, die zu uns kommen, ist abhängig von Glücksspielautomaten des gewerblichen Geldspiels. Bis zu drei Automaten dürfen allein schon in jeder Imbissbude aufgestellt werden. An zweiter Stelle kommen die Automatenspieler aus staatliche Kasinos. An dritter Stelle die Roulettspieler, dicht gefolgt von Sportwettern und Pokerspielern.

Wie sieht der typische Spieler aus?

Verhoeven: Er ist männlich, Mitte 30 bis Anfang 40 und hat, bevor er Hilfe in Anspruch nimmt ca. acht bis zehn Jahre Spielerfahrung.

Boris Becker macht für Poker Werbung. Wirkt es?

Verhoeven: Poker ist stark im Kommen. Es melden sich in unserer Beratungsstelle vermehrt Menschen, die diesem Hype zum Opfer fallen. Sie fallen der Werbung anheim, die suggeriert, Poker sei ein Kompetenzspiel. Fakt ist aber, dass Poker ein klassisches Glückspiel ist, das ein hohes Suchtpotential hat.

Warum?

Verhoeven:Es ist in vielen Untersuchungen deutlich geworden, dass Glücksspiele, die eine hohe und sehr schnelle Abfolge zwischen Geldeinsatz und dem Spielergebnis haben, eine sehr hohes Suchtpotential aufweisen. Dazu gehören auch die Sportwette und natürlich die klassischen Kasinospiele, Roulette, Black Jack usw.

Von welchen Erfahrungen haben Sie gehört?

Verhoeven: Wer Pech hat, gewinnt zuerst. Gerade junge Menschen, die Anfänger in Sachen Glückspiel, werden angefüttert. Poker wird als Sport vermarktet. Gewinne werden psychisch als Eigenkompetenz gesehen und nicht als Glück. Entsprechend werden die Verluste als persönliches Versagen gewertet. Gerade junge Männer, die sich am coolen Image des erfolgreichen Pokerspieler orientieren, schämen sich, sich und anderen einzugestehen, dass sie auch Spiele, sprich Geld verlieren. So beginnt ein unheilvoller Kreislauf, der die Bindung an das Glücksspiel verstärkt.

Pokern eigentlich auch Frauen?

Verhoeven: Ich habe kürzlich eine Poker-Meisterschaft im TV gesehen. Da hat eine Frau gewonnen. Fünf bis zehn Prozent sind Frauen, die wegen Glücksspiel in unsere Beratungsstelle kommen. Weltweite Studien gehen aber von 30 Prozent Frauen unter den Glücksspielern aus.
   






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