Der Fußballgott
SPORT | SPIEL UND MAGIE (15.11.2005)
Von Oliver Tappe | |
Im Verdacht, ein Fußballgott zu sein, standen schon die verschiedensten mehr oder minder begabten Kicker. Fußballgott: Martin Pieckenhagen. (c) Marc Oude Groothuis, Website von Heracles Almelo In der Regel manifestiert sich der Fußballgott nicht als kühner Recke auf dem grünen Rasen, sondern als undurchschaubares Prinzip, welches willkürlich und gnadenlos für Freud und Leid unter allen Beteiligten des Fußballsports sorgt. Seit der Antike wurde unkontrollierbares Schicksal gerne auf das Wirken von Göttern oder anderen übernatürlichen Wesenheiten zurück geführt. Im christlichen Weltbild gibt es wiederum den alttestamentarischen strafenden Gott und jenen, der Tugendhaftigkeit und Gottesfürchtigkeit belohnt - diese Vorstellung ist geprägt von Konzepten wie Schuld, Gerechtigkeit und Vergeltung. Es ist jedoch eine universelle Menschheitserfahrung, dass es im Alltag viele Bereiche gibt, wo einem diese Logik nicht weiterhilft. Die atheistische Reaktion auf diesen Umstand spiegelt sich in der Phrase "Es gibt keinen Fußballgott" wieder. Sie repräsentiert die Verzweiflung angesichts der Unwägbarkeiten und Zufälle eines Spieles, dessen Wesen sich christlich verstandener Gerechtigkeit erbarmungslos entzieht. Eine Mannschaft kann technisch perfekten und begeisternden Fußball spielen, um dann doch durch einen zweifelhaften Handelfmeter in der 89. Minute zu verlieren. Der beste Spieler auf dem Feld tritt einmal über den Ball, das folgende Gegentor entscheidet die Partie. Der Schiedsrichter annulliert ein Tor wegen angeblichen Abseits, fällt hingegen im Gegenzug auf eine hinterhältige Schwalbe im Strafraum rein. Eine ähnliche Botschaft hat die Weisheit "Der Fußballgott ist nicht gerecht", die allerdings nicht die Existenz einer übergeordneten regulierenden Instanz leugnet. Es gibt einen Fußballgott, der aber leider unberechenbar und eigenwillig ist sowie einen merkwürdigen Sinn für Humor hat. Es ist eine bittere Gewissheit, aber es gewinnt nun mal nicht immer der Bessere oder der Sympathischere, und bisweilen kommt zum fehlenden Glück auch noch Pech hinzu. Gott ist rund Wie reagieren die Beteiligten wie Fans, Spieler und Funktionäre auf die Tatsache, dass "Gott rund ist" (Dirk Schümer und seinem Buch gleichen Titels zufolge) und in brutaler Willkür mal hierhin, mal dorthin rollt, dabei auch noch gelegentlich unglücklich verspringt? Auf die selbe Weise, wie die Menschheit seit Jahrtausenden mit schicksalhaften Unwägbarkeiten umgeht, nicht nur in laotischen Bergdörfern, sondern auch in den Metropolen der westlichen Welt: Mit Glücksbringern, Ritualen, Opfergaben - also mit Instrumenten, die der aufgeklärte Mensch gerne als Aberglaube diffamiert. Fußball lässt sich hier theoretisch in die gleiche Kategorie ablegen wie Börsenspekulation, Brautwerbung oder Gallen-OP. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet nämlich nicht nur das eigene Können, sondern oftmals Glück oder Pech. Hier irgendeine Art von Gerechtigkeit zu erwarten, wäre zwecklos. Deshalb haben weltweit die unterschiedlichsten Kulturen Mittel und Wege gefunden, das Schicksal in die richtige Bahnen zu lenken. Magier, Wahrsager und Medizinmänner streben jeweils auf ihre Art danach, höhere Mächte wie Götter und Geister zu beeinflussen oder auszutricksen. Doch auch der Otto-Normal-Voodoopriester weiß sich selbst zu helfen, und das führt uns sofort wieder zum Fußball. Gerade in Afrika, wo viele alltagstaugliche magische Praktiken die Christianisierung überdauert haben, wird hier nichts dem Zufall überlassen. Gerne wird die Torlinie verhext, um den Ball den Weg ins Gehäuse zu verwehren, daneben kennt man fiese Psychotricks wie blutige Tieropfer vor der Kabine des Gegners. Der Dokumentarfilmer Oliver Becker hat gefilmt, wie afrikanische Fußballmannschaften die Dienste von Magiekundigen in Anspruch nehmen, ein paar Handschuhe als zusätzliche magische Hände ins eigene Tornetz hängen oder unterschiedliche Routen ins Stadion nehmen, weil der gewohnte Weg verzaubert sein könnte. Solche Aktionen sind jedoch vielen westlich orientierten Fußballfunktionären ein Dorn im Auge. Beim Afrika-Cup 2002 in Mali wurde traditionellen Medizinmännern sogar von offizieller Seite der Zugang zu den Mannschaften untersagt. Dennoch kam es diesem Turnier zu kleineren Zwischenfällen: Winfried Schäfer, der Nationaltrainer Kameruns, musste im Magazin 11Freunde das Gerücht dementieren, sein Torwarttrainer N'Kono habe beim Afrika-Cup den Platz verhext - wofür jener tatsächlich während der Veranstaltung verhaftet worden war! All dies mag auf den ersten Blick vielleicht exotisch erscheinen, ist jedoch dem gemeinen abendländischen Fußballfan nicht unbedingt fremd: Ein spontaner Gang zur Stadiontoilette soll schon manches Mal den entscheidenden Treffer provoziert haben. Und welch Familiendramen es bereits gab, weil Mama den Glücksschal vom siegreichen DFB-Pokal-Halbfinale gewaschen hatte! Oder die Tatsache, dass vielfach immer noch das fadenscheinige Trikot aus längst vergangenen erfolgreicheren Zeiten angezogen wird, auch wenn es mittlerweile bedenklich über der Plautze spannt. Blutige Tieropfer vor der Kabine des Gegners Auch aus der Bundesliga sind einige Beispiele ritueller magischer Akte bekannt, man denke nur an Neururers Glückspulli, Klopps Bart oder Matthäus? Angewohnheit, immer als letzter die Kabine zu verlassen. Alles natürlich vergleichsweise unspektakulär. In anderen Kulturen wäre der Geißbock "Hennes", friedlich am Spielfeldrand grasendes Maskottchen des 1.FC Kölns, angesichts der miserablen Leistungen der Podolski-Combo schon längst feierlich geschlachtet worden - als radikalste Option, den wankelmütigen Fußballgott gewogen zu stimmen. Es ist dies das weite Feld der Rituale, die einerseits Ordnung ins kosmische Chaos bringen sollen, andererseits gezielt den Einfallswinkel von Fortunas Füllhorn zu modifizieren suchen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass in einem kulturellen Kontext, wo lange Niederlagenserien auf fremdem Platz als "Auswärtsfluch" hochstilisiert werden, trotz vorgeblicher Aufgeklärtheit und Rationalität eine Affinität zu abergläubischem Gedankengut festzustellen ist. Christliche Vorstellungen schlagen dabei insofern durch, dass regelmäßig ein Spieler als temporärer Messias auserwählt und hochstilisiert wird. Man nehme folgendes Szenario: Martin Pieckenhagen wäre deutscher Nationaltorhüter und würde mit dem oben geschilderten Tor den Siegtreffer im WM-Finale 2006 in Berlin erzielen. Die Bild-Schlagzeile möchte ich mal sehen. Mit dem legendären Satz des Reporters Zimmermann (1954) über den Torwart Toni Turek, "Toni, du bist ein Fußballgott", wäre es wohl nicht getan. Pieckenhagen spielt jedoch nur für einen kaum bekannten holländischen Verein, so dass seinem quasi-göttlichen Status wahrscheinlich eine eher kurze Halbwertszeit vergönnt ist. Und im nächsten Spiel materialisiert sich der Fußballgott womöglich im Hinterteil eines Abwehrspielers, der damit einen an sich harmlosen Weitschuss tückisch und unhaltbar für den armen Martin ins Netz abfälscht... |