Ist die Fußballwürde des Menschen unantastbar?
KULTUR | KOLUMNE Socks populi (10.06.2010)
Von Denis Mohr | |
Die Fußball-WM bricht mit ihrer gewohnten Vier-Jahres-Routine über uns herein und es gilt, sich zu wappnen für den anrollenden Setzkasten des unvermeidlichen Disputandums. "Super-Deutschland olé" zur WM 2006 im eigenen Land. (c) iley.de Schwarz-rot-goldene Fahnen werden aus Wohnzimmerfenstern hängen wie lechzenden Zungen bei dem Versuch, mal wieder, mit freundlicher Ausnahmegenehmigung der gegebenen Umstände, etwas mehr zu bedeuten, als ihnen eigentlich erlaubt ist. Das Abstraktum Deutschland striegelt sich wieder zur Nation auf, zur Fußballnation zwar nur, aber immerhin. Und die Fragen werden kommen und sie werden so manchen Feuilleton-Teil verdrecken: Dürfen sich die Abkömmlinge eines Volkes, das sich in historischer Schuld gesuhlt hat, aufführen wie ein Riesenrudel grenzdebiler Affen, dem man eine offene Schnapsflasche ins Gehege gestellt hat, nur weil ein paar überbezahlte Schulabbrecher etwas, das verdächtig wie eine gewaltige Plastikklitoris aussieht und auch entsprechend wahrgenommen wird, über ein Stück Rollrasen treten? Beckenbauer for president Ist eine Fußball-WM Gottes Art, den Deutschen zu sagen: Auch ihr dürft euch, trotz des ganzen Nazi-Krams, einmal in vier Jahren kollektiv von etwas verhexen lassen, das mit symbolischem Bombast den Omni-Orgasmus herbeiführen will, in dem das ontologische Ich zum metaontologsichen "Ooooleeee, ole ole oleeee" zerkocht? Wäre Franz Beckenbauer der bessere Bundespräsident, Joggi Löw der bessere Postminister (auch eingedenk der Tatsache, dass es seit 1998 keinen Postminister mehr gibt)? Und wenn ja – und nein -, warum denn eigentlich nicht gleich so? Die Frage, die sich für den reflektierten Fußball-Gucker durch das alles hindurch in den Vordergrund schiebt, lautet: Wo positionieren, in diesem totalen Reigen, dem man einen gewissen bovinen Flair nicht absprechen kann? Als jemand, den am Fußball hauptsächlich der Fußball interessiert, steht man dabei zwischen allen Stühlen. Zwischen den Totalverweigerern aus konsumismus-, industrialismus-, kapitalismus- und sportkritischer Überzeugung auf der einen und den "Ooooleeee, ole ole oleeee"-lern auf der anderen Seite. Ein Zwischenweg mit dem Credo "Ich mag Fussball, ich hasse Fußballfans" (=Ich!) oder gar "Ich halte die Daumen für die deutsche Nationalmannschaft, aber nicht für Deutschland" (=Ich!) steht gesellschaftlich auf noch feuchten, tönernen Füßen und will sich partout nicht etablieren lassen. Aus beiden Lagern werden missbilligende Blicke abgefeuert, die Psychodynamik der Situation lässt einen kleinlaut werden. Die Fronten scheinen messerscharf gezogen, die Kluft dazwischen ist marianengrabentief und die möglichen Optionen präsentieren sich nur noch dichotom: Ganz oder gar nicht. Wer sich der deutschen Nationalmannschaft verschreibt, verschreibt sich auch Deutschland. Ipso facto. Und wer was anderes meint, ist wahrscheinlich Kommunist! Das sehen sowohl die Verweigerer (sogar die Kommunisten) wie auch die Ole-ole-ler so. Gibt es ein Leben nach dem Fußball? Da dürfte doch wohl eine Form von Diskriminierung zu konstatieren sein, die über alle sozialen Schichten hinweg um sich greift und sich jenseits des normierten Radars für gesellschaftliche Missstände bewegt. Hier kommen disperse Charaktere ins Räderwerk des allumfassenden Irrsinns. Ohne Flacks jetzt. Das bedarf einer Neubegutachtung des erreichten Status quo mit dem ethsichen Elektronenmikroskop. Weitreichende Fragen müssen gestellt werden: Was sagt das Grundgesetz dazu? Ist die Fußballwürde des Menschen unantastbar? Gibt es einen Fußballgott? Existiert ein Leben nach dem Fußball? Nun, hierzu könnte man in einem ersten Schritt erläuternd anmerken, dass... Abgesehen davon und eingedenkt der Tatsache, dass... Als ein bedenkenswerter Punkt könnte an dieser Stelle angebracht werden, dass unter der unwahrscheinlichen Voraussetzung... Also man müsste das Ganze zumindest mal von dem Aspekt her betrachten, dass eben nicht... Ach, scheiß drauf: "Ooooleeeeeee, ole ole oleeeeeeeee." |