Europas Sparer vor dem Scheitern
WIRTSCHAFT | PAUL KRUGMANS VERGESST DIE KRISE (11.08.2012)
Von Frank Fehlberg | |
Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Paul Krugman kritisiert: Seine Fachkollegen und Politiker seien nicht willens oder zu schlecht beraten, die Wirtschaftskrise zu lösen. Besonders die Europäer hätten bisher alles falsch gemacht. Als Programm einer radikalen Reformbewegung taugt sein Buch "Vergesst die Krise!" trotzdem nicht. „Für die Arbeitslosen. Sie haben Besseres verdient.“ (Widmung des Buches) (c) Verlag Der US-Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman steht der Bewegung nah. Er verleiht dem herausfordernd naiven Ruf nach dem Krisenende zumindest den ideellen volkswirtschaftlichen Unterbau. Die Krise ist hausgemacht und kann jederzeit beendet werden - wenn "geistige Klarheit" hergestellt werde und der "politische Wille" dies denn beabsichtige. Große Teile seines Buches beschäftigen sich mit der Reaktion der US-Politik auf die Lehman-Pleite 2008. Krugman hat mit seiner Analyse und seinen Vorschlägen, wie man es besser machen sollte, vor allem die Regierung unter Präsident Barack Obama im Blick. Wohl die größte Schwäche des Buches: Mit den Ursachen der Krise will sich Krugman nicht ausführlich auseinandersetzen. Ihm kommt es darauf an, was man jetzt tun kann. Millionen "zerstörte Leben"Bei der Beschreibung der wirtschaftlichen Lage trifft er zunächst ins Schwarze. Er spricht von "zerstörten Leben", wenn er dem Leser die Massenarbeitslosigkeit und die prekären Arbeitsverhältnisse vor allem der jungen Menschen vor Augen führt. Den Schaden der bisherigen Ereignisse schätzt Krugman so hoch ein, dass die Zukunftsaussichten von Millionen Menschen bereits von der Depression getrübt sind. Als Beispiel dienen ihm gut ausgebildete Hochschulabsolventen, die - wenn sie denn eine Arbeit finden - unter ihren Möglichkeiten bleiben, um die Brötchen verdienen zu können. Für ihre weitere Laufbahn hat das enorme Nachteile: Die Lücke im Lebenslauf und die fachfremde Beschäftigung werten den Betroffenen in den Augen des Arbeitgebers ab. Vor allem Europa sei in dieser Hinsicht stark getroffen. Schulden mit Schulden bezahlenDie Empörung Krugmans über die psychologischen und wirtschaftlichen Folgen von Arbeitslosigkeit und politischer Ignoranz hält sich jedoch in Grenzen. Ein Stéphane Hessel der Wirtschaftswissenschaft will er nicht sein, die Klage über die realwirtschaftlichen und sozialpsychologischen Verwüstungen des globalisierten Finanzkapitalismus ("durchgeknallte Banker") fällt relativ leise aus. So betreibt er das klassische volkswirtschaftliche Geschäft von Angebot und Nachfrage und versucht, seine wissenschaftlich unterfütterte Meinung dem Laien verständlich zu machen. Immer wieder betont er, dass die Lehre über die Wirtschaft "keine Moralfabel" sei - eine Haltung, die einerseits seine Zurückhaltung bei grundlegender Systemkritik erklärt, andererseits die (vor allem deutsche) Krisenpolitik des "Kaputtsparens" aus einem Sünde-und-Buße-Motiv heraus aufs Korn nimmt. "Heute müssten Regierungen mehr Geld ausgeben, nicht weniger, und zwar so lange, bis der private Sektor wieder in der Lage ist, den Aufschwung zu tragen. Doch stattdessen gelten neuerdings arbeitsplatzvernichtende Sparprogramme als der Weisheit letzter Schluss." Und ja, volkswirtschaftlich können Schulden mit Schulden bezahlt werden, so lange die realwirtschaftliche Entwicklung positiv ist. Das Steuer ist in den falschen HändenDass europäische Politiker vor allem auf die langfristige Tragfähigkeit ihrer Lösungsstrategie setzen, hält der Nobelpreisträger für fahrlässig. Er zieht den lange Zeit in der Wirtschaftswissenschaft vernachlässigten Nachfrage-Theoretiker John Maynard Keynes zu Rate, der 1923 treffend formulierte: "Langfristig sind wir alle tot. Ökonomen machen es sich zu leicht, wenn sie uns in stürmischen Zeiten nicht mehr zu erzählen haben, als dass der Ozean wieder ruhig ist, wenn sich der Sturm gelegt hat." Entsprechend fällt das Urteil Krugmans über die Politik in den USA und vor allem in Europa aus: "Wer die langfristige Perspektive einnimmt, ignoriert das gewaltige Leid, das die gegenwärtige Krise verursacht, und die vielen Leben, die sie ruiniert." Zur Ausbalancierung der ideenpolitischen Schieflage will der Professor der Universität Princeton zunächst die "Meinungsführerschaft" der "hochseriösen Experten", welche die Politik bis jetzt vor sich her treiben, beenden. Die politische Verortung Krugmans im US-amerikanischen Umfeld fällt angesichts seiner teilweise harten Schelte der "Konservativen" schwerer, als man denkt. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen seine eigene Zunft, interessengeleitete Wirtschaftswissenschaftler, die zugleich staatsferne Republikaner sind. Sich selbst definiert Krugman gemäß dem amerikanischen Koordinatensystem als "Liberalen", was seine Nähe zu den Demokraten erklärt. Dann wieder hält er es für möglich, dass sich ein US-Präsident Mitt Romney als "pragmatischer Keynesianer" entpuppen könnte. Krugman ist kein KapitalismuskritikerDas macht die Schwierigkeit aus, die der europäische Leser mit der Einordnung der Krugman'schen Thesen oft hat. Hier gibt es kein einfaches Rechts-Links-Gefüge und einen ewigen Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Hier geht es um staatliche Interventionen und das Kräftespiel des freien Marktes. Insofern erscheint Krugman ideologisch unbeschwert - und manchmal auch beliebig. So wird ein oberflächlicher und im weitesten Sinne "kapitalismuskritischer" Kenner der wirtschaftstheoretischen Debatten Krugmans überwiegend positive Würdigung Milton Friedmans nicht verstehen. An dieser Stelle ist es angebracht, an den Ausführungen Krugmans entlang tiefer in die Materie der ökonomischen Lehren einzusteigen, die unser aller Geschick heute mehr denn je beeinflussen. Paul Krugman beendet seinen wirtschaftswissenschaftlichen Rundumschlag mit direkten Appellen an die US-Politik. So müssten etwa, als Flankierung der Konjunkturmaßnahmen, China "und andere Währungsmanipulatoren" in die Schranken gewiesen werden. Trotz aufrüttelnd und hemdsärmlich anmutender Äußerungen bleibt Krugman zuletzt handzahm: Er will keine tiefgreifende Restrukturierung der Zustände und Abläufe der globalen Wirtschaft, sondern lediglich ihre Bestandssicherung erreichen. Man fragt sich, nicht wenig verwirrt von den Gedankenkreisläufen der Volkswirtschaftslehre, ob das nun eine gute oder schlechte Zielsetzung ist. Wie meint doch Krugman? "Die beste Wirtschaftspolitik ist diejenige, die greifbare Ergebnisse bringt." Die historische Bestätigung erblickt der Nobelpreisträger ausgerechnet in der US-Rüstungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Paul Krugman: Vergesst die Krise! Warum wir jetzt Geld ausgeben müssen, 272 Seiten, Campus, EAN 9783593397290 |