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Ein Neokeynesianer ist noch lange kein Occupy-Aktivist
POLITIK | SCHLUSSWORTE (11.08.2012)
Von Frank Fehlberg
Der scheinbar einfache Ausweg, den Paul Krugman bietet, wirft Fragen auf. An den richtigen Schrauben gedreht und schon ist alles wieder in Ordnung? Wie sieht es mit Reformen und Regulierungen vor allem des Finanzwesens aus? Kann der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form weiterexistieren?

###bild###Die Motivation zur grundsätzlichen Infragestellung des weltwirtschaftlichen Systems resultiert aus einer Auseinandersetzung mit den Ursachen und Phänomenen der Krise. Zwar streift Paul Krugman im Verlauf seiner Ausführungen etliche Male das publizistische Übergewicht der "Fundamentalisten" der Lehre des reinen Marktes, die Deregulierung des Finanzsektors in den USA in den 1980er Jahren und zu gierig gewordene Banker. Aber, das wiederholt Krugman schließlich immer wieder, Wirtschaft sei ja keine "Moralfabel". Es ist diese Perspektive des sich selbst als "liberal" bezeichnenden Volkswirtschaftlers, die ihn nicht die Zerschlagung der Banken propagieren lässt, um deren "Systemrelevanz" und damit die zwanghafte Sozialisierung von Verlusten in der Krise in Zukunft zu vermeiden. Sein deutscher Kollege Rudolf Hickel dagegen kennt an diesem Punkt keine Zurückhaltung. Er veröffentlichte Anfang des Jahres die "Streitschrift" Zerschlagt die Banken - Zivilisiert die Finanzmärkte.

Zerstörte Leben! - Ende des Laissez-faire?


Angesichts vieler durch die Eigennützigkeit der Finanzeliten "zerstörter Leben" - immerhin setzt Krugman die Hauptfolge der Krise an den Anfang seiner Überlegungen - bleibt der Rest seines Buches merkwürdig gemäßigt. Er appelliert an die Arbeitslosen, nicht aufzugeben - und brennt anschließend ein Feuerwerk der wirtschaftswissenschaftlichen Logik ohne Moral und ohne jeglichen Idealismus ab. Das dürfte vielen Lesern, zumal wenn sie der angeblich konzeptlosen Occupy-Bewegung angehören, eindeutig zu wenig sein. Es fehlt die Empörung, der schöpferische und deshalb "heilige" Zorn eines Lothar Dombrowski, der Paradefigur des deutschen Kabarettisten Georg Schramm.

Die Abwesenheit von Forderungen nach der Beschränkung überproportional einflussreicher Wirtschaftsmächte in Krugmans Schrift rührt wohl letztlich aus der Methodik der Wirtschaftswissenschaftler selbst her. Grundsätzlich sind Modelle der Wirklichkeit, welche die Realität jedweden ungreifbaren Geschehens als einen Kreis darzustellen versuchen, nicht vor lähmenden Gedankengefängnissen wie logischen Zirkelschlüssen, tautologischen Erklärungen und Selbstbezogenheit gefeit. Die Volkswirtschaftslehre ist mit ihrem fundamentalen Bild vom "Wirtschaftskreislauf" zumindest gefährdet, vor lauter Kopfzerbrechen über Henne-Ei-Probleme den ethischen Faktor als im besten Sinne vernünftigen Ausbruch aus der rein materialistischen Geistes-Selbstbefriedigung nicht wahrzunehmen.

Abgleich zur Occupy-Bewegung


In Anlehnung an David Graeber, Welt-Anarchist und einer der Vordenker von Occupy, hat man keine Mühe, Krugman bei aller seiner Kritik an der gängigen Auffassung von Wirtschaft als "Moralfabel" unter die Anhänger des "produktivistischen Deals" zu zählen. In seinem Buch Inside Occupy (2012) geißelt der Anthropologe Graeber die Betrachtung von Arbeit und Arbeitsdisziplin als Allheilmittel wirtschaftlicher Krisen. Der Zugang zum allein seligmachenden "Konsumentenparadies" durch Arbeit ist letztlich Teil sowohl des Monetarismus als auch des Keynesianismus, also auch eine der Grundannahmen Krugmans. Zu welchem Zweck und auch zu wessen Nachteil Arbeit geleistet wird, wird jedoch dermaßen vernachlässigt, dass sich der Blick auf nötige tiefgreifende Änderungen im "Wirtschaftskreislauf" verstellt.

Der Neokeynesianer Krugman wie auch die Monetaristen kommen über das reduzierte Menschenbild des zahlungsfähigen Konsumenten nicht hinaus. Sie kommen auch über die Volkswirtschaft als im Grunde nationalstaatlich geschlossene Wirtschaftstheorie nicht hinaus. Das sieht man beispielhaft an der Euro-Skepsis Krugmans, der die Ursache der Probleme der südeuropäischen Krisenländer zu allererst in ihrer eingebüßten Nationalwährung sieht. Es stellt sich freilich die Frage, ob ein erweiterter "weltwirtschaftswissenschaftlicher" Fokus bei der Komplexitätsstufe der Weltwirtschaft überhaupt möglich ist.

Wirtschaftswissenschaft als bloße Spieltheorie?


Ob man die vielen Wiederholungen in Paul Krugmans Schrift über die Krise anfangs für lästig, später angesichts der komplizierten Materie gar für hilfreich hält - letztlich stehen sie für die hohe Selbstreferenzialität der Wirtschaftswissenschaft, der sich auch der Nobelpreisträger nicht entziehen kann. Zwar lassen Krugman und andere Fachvertreter die eng begrenzte, aber immer noch sehr wirkmächtige Rationalität der vorherrschenden betriebswirtschaftlichen Sichtweise bei der Behandlung vielschichtiger Sachverhalte hinter sich. Letztlich steht angesichts der weit verbreiteten Verkennung von ethischen Kategorien in diesem Fachgebiet aber fest: Wir haben eine im positiven Sinne "politische", auf Dauerhaftigkeit angelegte Lösung der Krise nicht aus der derzeitigen Wirtschaftswissenschaft zu erwarten.

Occupy: zwischen "lokalen Freiheitsräumen" und Renationalisierung


David Graeber verfolgt als Welt-Anarchist gegen das Primat der Ökonomie und Kommunist im allerweitesten Sinne in Sachen Gruppenorganisation der Occupy-Bewegung so etwas wie einen lokal orientierten Revisionismus. "Es geht also nicht darum, aus dem Nichts eine völlig neue Gesellschaft zu schaffen. Es geht darum, auf dem aufzubauen, was wir bereits haben. Wir brauchen nur die freiheitlichen Zonen auszuweiten, bis Freiheit zum höchsten Organisationsprinzip wird."

Deutsche Anhänger wie Erik Buhn von Occupy Frankfurt münzen diese Ansicht ohne Berührungsängste in den guten alten Sozialstaat um. Im zur deutschen Ausgabe von Graebers Inside Occupy mitgelieferten "Revolutions-Guide" führt Buhn aus: "Uns ist es wichtig, das Wort ‚sozial‘ in der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ wieder großzuschreiben. Wenn ich lokal, zum Beispiel in meiner Straße, in meinem Wohnhaus, ein gutes soziales Miteinander habe, dann kann ich auf gewisse Strukturen, die über Geld funktionieren, verzichten." Da wünschte man sich mehr idealistisches Occupy-Gedankengut in Krugmans blutleerer Analyse.
   






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