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Verfehlte europäische Krisenpolitik
WIRTSCHAFT | HINTERGRUND V (11.08.2012)
Von Frank Fehlberg
An der EU lässt Paul Krugman kein gutes Haar. Die Währungsunion sei verfrüht durchgeführt worden, eine gemeinsame Sozial- und Wirtschaftsunion fehle nach wie vor. Kurz: Die Ursache der derzeitigen Krise sei der Euro selbst.

EZB

Krugmans Vorschlag: Die Europäische Zentralbank mit Mario Draghi (Bild) an der Spitze verschafft Südeuropa durch direkte Ankäufe von Staatsanleihen billiges Geld, um den Einbruch der Wirtschaft aufzufangen. (c) EZB

Den Euroländern macht Krugman nicht viele Hoffnungen. Die wirtschaftliche Situation der USA sei bei allen gegebenen Problemen besser einzuschätzen als die Entwicklung des Euroraums. "Heute sieht es so aus, als hätte Europa auf dem Weg in den Abgrund einen leichten Vorsprung, aber noch ist das Rennen nicht gelaufen." Die Europäer hätten bei der Euroeinführung übersehen, dass die (wirtschafts-)politische Einigung eine unabdingbare Vorbedingung für das Überleben des Euros sei. Dem gemeinsamen Handelsvolumen der beteiligten Länder als Grundlage des Euro stünden noch immer die fehlende Mobilität der Arbeitnehmer und eine fehlende gemeinsame Haushaltspolitik entgegen. Ganz zu schweigen von einer "Zentralregierung" wie in den Vereinigten Staaten, die wirtschaftliche Probleme in einzelnen Landesteilen besser abfedern könne. "Was dann kam, war die Mutter aller asymmetrischen Schocks. Und die Ursache dafür war die Einführung des Euro selbst."

Übereilte Währungsumstellungen


Die Währungsumstellung habe den Märkten plötzlich eine Sicherheit geboten, welche die Einzelstaaten mit ihren Nationalwährungen vorher nie hatten gewährleisten können. Griechische Anleihen etwa wurden plötzlich genauso bewertet wie deutsche, durch den entsprechend niedrigeren Zinssatz kamen viele südeuropäische Länder viel billiger an Geld. Da eigene Banken bei der privaten Kreditvergabe schnell ausgeschöpft waren, ergoss sich außerdem ein enormer Kapitalstrom (gerade aus Deutschland) in den Süden. Mit den bekannten Folgen zum Beispiel in Spanien, wo die Jagd nach schnellen und hohen Renditen in Form einer Immobilienspekulation absurde Blüten trieb.

Auch die Ungleichgewichte im Außenhandel nahmen zu, die Wettbewerbsfähigkeit der Länder ließ durch Lohnerhöhungen nach, während im dominanten Exportland Deutschland die Löhne nominell nur langsam stiegen, von der realen Kaufkraft her sogar kräftig fielen. Allein die Gehälter von Bankern, Anlageberatern und Maklern stiegen überall exorbitant. Die Frage danach, ob hinter der vorschnellen Währungsunion, die als politisches Projekt der europäischen Einigung propagiert wurde, wieder einmal (Finanz-)Wirtschaftsinteressen standen, streift Krugman jedoch nicht.

US-Finanzkrise als Auslöser, nicht als Ursache der Euro-Krise


Krugman vertritt die These, dass die Finanzkrise in den USA lediglich der Auslöser des Zusammenbruchs in Europa war, der über kurz oder lang sowieso gekommen wäre. Die Übernahme der Bankenschulden in den einzelnen Ländern habe die realwirtschaftlichen Einbrüche und die Ungleichheit in Europa zusätzlich verschärft. Anders als in den USA, wo viele konservative Politiker mit ihren staatsfeindlichen Thesen über die Ursachen Krise die Bürger schlichtweg "belogen", hätten ihre europäischen Kollegen - weil sie im Gegensatz zu den Amerikanern auch von den eigenen Kriseninterpretationen überzeugt gewesen waren - die Bevölkerung zumindest "getäuscht". Verfehlte Haushaltspolitik wird demnach für die Misere verantwortlich gemacht, aus der "Finanzkrise" ist die "Staatsschuldenkrise" geworden. Dabei war die zusammengenommene Staatsschuld der GIIPS-Länder (Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien) im Verhältnis zu ihren BIPs bis 2007 gesunken - bis zur Finanzkrise.

Nur steinige Auswege


Der Ausweg aus der Wirtschafts- und nun auch Haushaltskrise, so Krugman, gestaltet sich im gemeinsamen Währungsraum umso schwieriger. Während sich Einzelländer mit eigenen Nationalwährungen jederzeit durch eine Abwertung ihres Geldes eine Entspannung der Marktbedingungen zu ihren Gunsten schaffen könnten, sind die GIIPS-Staaten mit der monetaristischen Logik dazu gezwungen, die Kreditwürdigkeit des Staates und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften durch drastische Sparmaßnahmen und reale Lohnkürzungen wiederherzustellen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Hier empfiehlt Krugman kombinierte monetaristisch-keynesianische Maßnahmen im europäischen Verbund.

Sein Vorschlag: Die EZB verschafft Südeuropa durch direkte Ankäufe von Staatsanleihen billiges Geld, um den Einbruch der Wirtschaft aufzufangen. Deutschland müsste im Gegenzug ein starkes Konjunkturprogramm auflegen, um Löhne und Preise zu steigern. Einige Standortvorteile Südeuropas wären so wiederhergestellt. Freilich würde die Inflation steigen, doch eine begrenzte Inflationssteigerung würde letztlich allen entgegenkommen, denn die Schulden ließen sich besser abtragen. "Aber die Deutschen hassen schon den bloßen Gedanken an Inflation." Das Streben nach Preisstabilität und die Aufrechterhaltung des hohen Außenhandelsüberschusses der "Exportnation" ist hierzulande eben heilig - auch wenn es die südeuropäischen Länder zu Armenhäusern macht. So bleiben Niedriglöhner und Arbeitslose in Deutschland und den GIIPS-Ländern von derselben unsinnig dogmatischen Politik getroffen.

Vorherrschender "Glaube an die Vertrauensfee"


Und so bleibt es in Europa beim "Kaputtsparen" (Krugman), solange bis das "Vertrauen der Märkte" wieder hergestellt ist. Weit verbreitet für diese Wirtschaftspolitik ist heute der Begriff "Austeritätspolitik", im Grunde noch eine Beschönigung der Zerstörung wirtschaftlicher, sozialer und demokratischer Substanz. Nach dem Prinzip der austeritas (lat. Herbheit, Enthaltsamkeit) richtete sich einst das eifrig-entbehrungsreiche Leben in reformerischen Mönchsorden in Abgrenzung zu regel- und maßlosen Klosterzuständen. Mönchen, die es mit dem Fasten gesundheitsgefährdend übertrieben, wurde immerhin anempfohlen, nicht allzu austerus zu sein.

Dagegen fahren die "Wirtschaftsexperten" heute den Kurs der "Liquidierer" der "Österreichischen Schule" von Joseph Schumpeter (1883-1950) bis Friedrich August von Hayek (1899-1992). Diese, so Krugman, behaupteten, das Leid in der Krise "sei gut und notwendig, und man solle nichts zu seiner Linderung unternehmen". Die "Spardoktrin" stamme wiederum von David Ricardo (1772-1823), der das Krisenleid positiv in den Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts integriert habe. Eine politische Klasse, die zur Krisenbekämpfung allein auf den "Glauben an die Vertrauensfee" des Geschäftsklimas setze, sei letztlich die Dienerin der Interessen der Gläubiger, nicht derjenigen, die Geld investieren oder es erarbeiten. Man erreiche mehr, wenn man den Ärmsten Geld in die Hand drücke - denn das Geld fließe direkt in die Realwirtschaft zurück, in der es dringend gebraucht werde.

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