Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Journalismus-Abbau an der Leipziger Uni
GESELLSCHAFT | HINTER DEN KULISSEN (03.02.2011)
Von Torsten Wieland
Am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig ist ein heftiger Streit entbrannt. Es geht um die Verteilung von Ressourcen. Die traditionsreiche Journalistik wird zusammengeschrumpft. Mitarbeiter und frühere Absolventen sind alarmiert.


Der Journalismus in der Abwärtspirale - das Treppenhaus im Leipziger Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Foto: T. Wieland
Das Drama begann im Oktober 2010. Prof. Michael Haller, Institutsdirektor und Lehrstuhlinhaber einer der beiden Journalistikprofessuren, wurde emeritiert. Haller ist ein Verfechter eines unabhängigen Journalismus. Er tritt für eine klare Abgrenzung zur Public Relations (PR) ein. Doch schon unter Hallers Führung begann das Institut damit, ein neues Profil für Forschung und Lehre zu erarbeiten. Dieser Prozess wurde seit 2008 laut Institutsrat mit unterschiedlicher Intensität geführt, schließlich nach mehrmonatigen Diskussionen und der Konsultation externer Fachgutachter Ende 2010 mit der Vorlage eines sogenannten Profilpapiers zunächst abgeschlossen. Die Debatte wurde ausschließlich auf Professorenebene geführt. Und allein das Professorium verabschiedete – bei einer Gegenstimme, die vom einzigen vertretenen Journalistik-Professor Marcel Machill kam – den Beschluss: die Abteilung Journalistik verliert eine Professur. Vertretungsprofessor Martin Welker (Journalistik) und wissenschaftliche Mitarbeiter waren zu diesem Gremium nicht zugelassen.

Eine Professur mehr für die PR

Aus dem Beschlusspapier ergeben sich zwei Hauptkonfliktpunkte, die in eine Grundsatzdiskussion münden. Erstens: Nachdem die Abteilung Journalistik bereits von anderthalb Jahren eine Professur einbüßte, soll nun eine weitere folgen – und mit ihr fünf von sechs Stellen wissenschaftlicher Mitarbeiter. Zweitens: Die Abteilung von Prof. Jürgen Bentele und Prof. Ansger Zerfaß "Kommunikationsmanagement/PR" erhält dagegen eine zusätzliche Professur, eine für „Gesundheits- oder Umweltkommunikation“. Pikant dabei: Bentele ist der Dekan der übergeordneten Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie und Zerfaß mittlerweile der geschäftsführende Institutsdirektor. Sie begründen die Umverteilung damit, dass die Forschung des Instituts bislang zu wenig in das Gesamtprofil der Universität Leipzig integriert und im Hinblick auf die internationale Ausrichtung und Drittmitteleinwerbung ausbaufähig sei. Die Vertreter der Journalistik hingegen sehen eine Verschiebung der Gewichte zugunsten von Kommunikationsmanagement und PR, einer Disziplin, die aus ihrer Sicht vor allem aus Drittmittelgründen an Partikularinteressen ausgerichtet ist.

T. Wieland

Hoch aufstrebend - das Leipziger Institut befindet sich in der Burgstraße, eine der ältesten Straßen der Stadt. (c) T. Wieland

Am 6. Januar dieses Jahres hat der Institutsrat des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, geleitet von PR-Professor Zerfaß, nun die umstrittene Vorlage beschlossen. Für die traditionsreiche Leipziger Journalistik – ihre Anfänge gehen bis auf den bekannten Nationalökonomen und Gründervater der „Zeitungswissenschaft“ Karl Bücher zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück - ein Desaster. Die Folgen: Der Masterstudiengang Journalistik soll von 44 auf 20 Studienplätze reduziert werden. Die Hörfunkausbildung mit praktischen Übungen bei dem studentischen Lokalradio „Mephisto 97.6“ soll fortan nicht mehr in der Hand der Abteilung liegen. Der Master-Studiengang Hörfunk soll umgewidmet werden in einen Master-Studiengang „Medienwissenschaft und -praxis“. Eine umfassende Ausbildung in allen Mediengattungen und allen Ressorts ist mit den verbleibenden Mitarbeitern nicht mehr möglich.

Dies bringt Absolventen der Leipziger Journalistik auf die Palme. ZDF-Sportjournalistin Silke Otto und Spiegel-Reporter Alexander Osang gehören zu den 85 Unterzeichnern eines offenen Briefes an Ins^titut und Hochschule. Darin fordern sie die Rücknahme der Beschlüsse. Sie befürchten eine Austrocknung der Leipziger Journalistenausbildung. Soweit die Fakten.

Wer macht hier Lobbyarbeit?

In Zeiten knapper Kassen an den Universitäten, die nicht in den Genuss des finanziellen Füllhorns kommen, der mit einem Exzellenztitel verbunden ist, könnte man meinen, dass Opfer von allen – wohlgemerkt von allen - Bereichen einer Universität erbracht werden müssen. Aber im vorliegenden Fall ist die Sache vielschichtiger. Handelt es sich doch hierbei um eine Ausbildungsstätte für Journalisten, die geschröpft werden soll. Und Journalisten sind nicht irgendein Berufsstand. Journalisten haben eine bedeutende Aufgabe in einer Demokratie. Unabhängiger Journalismus agiert in einer Demokratie als vierte Gewalt – als ein Korrektiv, dass Informationen nicht nur vermittelt, sondern vor allem auch kritisch hinterfragt und einordnet. Und, der Qualitätsjournalismus in unserem Land ist auf bedenkliche Weise abnehmend.

Professor Zerfaß weißt daraufhin, dass die Leipziger Journalistik keine Journalistenschule und eine Neuaufstellung der gesamten Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig unvermeidlich sei. Beides ist wohl richtig. Aber was da im Moment an der Leipziger Universität geschieht mutet mehr nach einer Machtübernahme der PR an, als nach einer fairen Austarierung aller Interessen. Die Wissenschaftlichen Mitarbeiter der Journalistik wurden erst drei Tage vor dem Beschluss des Institutsrats informiert. Zerfaß, hatte zuvor in einer Mail vom Oktober 2010 das Professorium auf Verschwiegenheit verpflichtet. In einer „Richtigstellung“ vom 21. Januar 2011 fordert der Institutrat „Entscheidungen im Sinne des Ganzen (...) auf der Grundlage von Argumenten, nicht von öffentlichen Kampagnen und Lobbyingaktivitäten zu treffen.“
Journalistik-Professor Machill sieht „Lobbyingaktivitäten“ eher bei seinen Kollegen von der PR. In einem Radiointerview wirft er vor allem auch eine gesellschaftliche Frage auf: "Wohin werden eigentlich die Ressourcen gegeben? Gehen sie mehr in Richtung zielgerichtete Kommunikation und Lobby-Arbeit? Oder gehen sie in Richtung unabhängigen Journalismus, der genau diese Lobby-Arbeiten und zielgerichteten Kommunikationen aufdecken soll und für Zuschauer und Zuhörer transparent machen soll? Und das ist genau die falsche Entwicklung, die jetzt bei uns am Institut stattfindet."

Am 25. Januar tagte der Fakultätsrat – auch hier ohne Journalistik-Vertreter, um über die Beschlüsse des Institutsrates der Leipziger Kommunikations- und Medienwissenschaften zu beraten. Eine Entscheidung wurde noch nicht veröffentlicht. Bei einer Annahme der Beschlüsse werden diese an das Rektorat weitergeleitet. Am Ende wird die neue Rektorin Beate Schücking entscheiden. Sie beginnt ihre Arbeit in Leipzig im März und muss nun gleich eine so gesellschaftlich relevante Entscheidung verantworten. Wünschen wir ihr einen klaren Kopf dafür, fernab von „Lobbyingaktivitäten“ und Drittmittelwünschen.

Weiterführende Links
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/campus/1369348/Dfunk: Journalistenausbildung in Gefahr
http://www.trice.de/2011/01/23/offener-brief-journalistik/Offener Brief von Absolventen der Leipziger Journalistik
http://www.kmw.uni-leipzig.de/fileadmin/...fKMW_Uni_Leipzig.pdfStellungnahme des Leipziger Institutsrates
   






Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz