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Wahrheit auf dem Rückzug
GESELLSCHAFT | PR vs. JOURNALISTIK (03.02.2011)
Von Ronald Hild
Der drohende Niedergang der Journalistik in Leipzig passt ins Bild: Journalisten stehen einem wachsenden Heer von PR-Strategen gegenüber. Der Journalismus ist in Gefahr. Dabei brauchen wir mehr denn je Orientierung im Informationsdschungel.

R. Hild

Rechercheseminar an der Uni Leipzig - gibts vielleicht bald nicht mehr. (c) R. Hild

Auf den ersten oberflächlichen Blick verfolgen Journalisten und PR-Kommunikatoren eigentlich ein ähnliches Ziel – durch die Auswahl und Aufbereitung von Informationen soll die Meinung von Adressaten beeinflusst werden. Warum dann diese strikte inhaltliche und sprachliche Trennung zwischen Journalismus und PR, mag sich der Laie fragen. Wie so häufig offenbaren sich die Unterschiede erst auf den zweiten Blick.
Idealtypisch erfüllen Journalisten und ihre Erzeugnisse, die der Einfachheit halber umfassend als Massenmedien bezeichnet werden sollen, in demokratischen Gesellschaften drei Funktionen: die Informationsfunktion, die Mitwirkung an der Meinungsbildung sowie die Kontrolle und Kritik des politischen Systems. Normativ sind Unabhängigkeit und Objektivität die wesentliche Qualitätsmerkmale journalistischen Arbeitens. Die Unabhängigkeit in der Informationsbeschaffung und die Objektivität der medialen Darstellung sollen dem Rezipienten ermöglichen, sich frei eine Meinung zu bilden.
Auch der PR-Kommunikator möchte durch seine Arbeit zur Meinungsbildung beitragen, die aber möglichst im Sinne seines Auftraggebers sein soll. Public Relations, kurz PR, im Deutschen häufig mit Öffentlichkeitsarbeit umschrieben, verfolgt das Ziel, ein generell gutes Image von Unternehmen, Institutionen, Parteien aber auch Persönlichkeiten zu generieren. PR-Leute sind vom Auftraggeber abhängig und damit alles andere als objektiv.

Freie versus gesteuerte Meinungsbildung

Grob vereinfacht könnte man sagen, der Unterschied besteht in der freien bzw. gezielten Meinungsbildung. Aber auch hier zeigt der zweite Blick ein viel komplexeres Bild. Die Geschichte von Journalismus und PR ist eng miteinander verbunden. Erst durch die Herausbildung von Massenmedien entstanden die Strukturen für umfassende PR-Strategien – um ein gutes Image zu generieren, müssen die Menschen erst mal informiert werden. Aber umgekehrt verstanden auch die Journalisten sehr schnell, welche Möglichkeiten sich mit der PR verbinden. Pressekonferenzen von Parteien, Präsentationen von Unternehmen, Messen, soziales Engagement von NGOs usw. bieten ein schier unerschöpfliches Potential an Informationen, die Ausgangspunkt für weitere Recherchen sein können. Wir gehen hierbei mal vom idealen Journalisten aus, der die erhaltenen Infos kritisch hinterfragt, sich weitere Meinungen oder Fakten besorgt, diese gegeneinander abwägt und daraus dann einen Beitrag erstellt.
Journalismus und PR - zwei Seiten einer Medaille, zwei Phänomene, die sich gegenseitig bedingen, beeinflussen und voneinander profitieren. In den letzten Jahren hat die PR jedoch erheblich an Bedeutung gewonnen, was sich leicht mit Fakten belegen lässt. Einer Studie von Prof. Siegfried Weischenberg der Universität Hamburg zufolge arbeiteten 2005 48.400 Journalisten hauptberuflich in Deutschland, demgegenüber standen zwischen 50.000 und 60.000 PR-Mitarbeiter, Tendenz steigend. Während die Bedeutung von umfangreichen PR-Maßnahmen für wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Erfolg kaum wegzuargumentieren (allerdings auch nur schwer zu beweisen) ist, sieht sich der Journalismus einer Vielzahl von Problemen ausgesetzt.

Medienkompetenz und technischer Fortschritt

Das Internet ist Segen und Fluch zugleich. Die Beschaffung und Überprüfung von Informationen ist unvorstellbar leichter geworden. Die größere Aktualität von Informationen im Internet hat jedoch weitreichende strukturelle Auswirkungen auf die Medienlandschaft. Zeitungen, aber auch Radio und Fernsehen können mit dem Internet in der Frage der Aktualität nicht konkurrieren. Das Nutzerverhalten im Hinblick auf die Informationsgewinnung verlagert sich deshalb zugunsten des Internets, zugleich werden Journalisten gezwungen, den Konkurrenzkampf um die neuesten und aktuellsten Nachrichten aufzunehmen. Die logische Konsequenz daraus ist, dass die Zeit für eine intensive und qualitativ gute Recherche damit immer kürzer wird. Journalisten gehen aus Zeitdruck dazu über, Pressemitteilungen unreflektiert zu übernehmen – gut gemachte, d.h. Journalistenkompatible PR hat damit gute Chancen in den Medien aufgenommen zu werden. Damit schließt sich der Kreis. Öffentlichkeitsarbeiter, die über journalistische Grundkenntnisse verfügen und damit die Selektionskriterien für die Relevanz eines Beitrages kennen, sind in der Lage, Informationen so zu verpacken, dass Journalisten darauf anspringen.
Der Journalismus befindet sich in einer Sinnkrise. Durch die Möglichkeiten des Web 2.0 werden alle Menschen in die Lage versetzt, Texte, Videos, Musik usw. in das Internet zu stellen. User schaffen selbst Informationen, bewerten, beurteilen und kommentieren, unabhängig, wenn auch nicht immer objektiv. Dennoch ergibt sich die Frage, ob Journalisten vor diesem Hintergrund überhaupt noch benötigt werden.
Die Frage ist einfach zu beantworten – JA, natürlich und unbedingt. Auch wenn Informationen von überall auf der Welt verfügbar sind, so hat der Journalist doch eine Funktion, die ihn unersetzlich macht. Er ist in einer überfrachteten Welt, das Korrektiv, der den Informationsoverload kanalisiert, in dem er Informationen auswählt, die als Nachrichten in Frage kommen.

Die Berufung „Journalist“

Vielleicht wird sich das Rollenverständnis des Journalisten ändern – weg vom Informationsbeschaffer hin zum vielbemühten Gatekeeper, der abwägt und entscheidet, welche Informationen das Tor zur Nachricht passieren. Durch die Erfolge der PR bekommt gerade diese Selektionsfunktion immer stärkere Bedeutung. Objektive und unabhängige Journalisten bleiben auch in den nächsten Jahren der entscheidende Garant für eine transparente und freie öffentliche Meinungsbildung. Denn ohne Journalisten gelingt es weder auf den zweiten, oder dritten Blick, eine gut gemachte PR-Mitteilung von einer echten Nachricht zu unterscheiden.
In einem weiteren wesentlichen Punkt unterscheidet sich der Journalist von einem PR-Kommunikator. Während erwartet werden kann, dass beide Berufsgruppen in der Lage sind, Inhalte optisch und sprachlich ansprechend zu verpacken, umfasst das Handwerkszeug eines Journalisten neben der Beherrschung von Text- und Layoutprogrammen eine Vielzahl von Fähigkeiten und Kenntnissen, die der PR-Kommunikator nur bedingt benötigt - Nachrichtenfaktoren, Rechercheschritte, ethische Vorstellungen, Darstellungsformen, Neugier und vieles mehr.

Grundlage für die Umsetzung der an einen Journalisten gestellten Anforderungen ist neben praktischen Erfahrungen auch eine gute, umfassende und fundierte Ausbildung. Vor diesem Hintergrund ist die geplante Umstrukturierung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Uni Leipzig nicht nur traurig sonder auch bedenklich.
   




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