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Demokratie als Exportgut
POLITIK | HINTERFRAGT (15.02.2007)
Von Torsten Wieland
Die Demokratie ist laut Lexikon eine Ideologie, der die Idee der Herrschaft des Volkes zu Grunde liegt. Sie geht von den Nationalstaaten der sogenannten Ersten Welt aus. Ein Welttrend hin zur Volksherrschaft ist auszumachen. Die Europäische Union (EU) versucht Demokratie zu "exportieren" - und scheitert dabei oft genug an sich selbst.

Demokratisierungswellen

Seit 200 Jahren versuchen sich Staaten mit mehr oder weniger Erfolg an der Herrschaft des Volkes. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington macht dabei drei Demokratisierungswellen aus. Eine Erste von 1828-1926, eine zweite von 1943-1962 und schließlich eine dritte, die seit 1974 andauert. In letzterer Welle schlugen Länder Lateinamerikas (Nicaragua, Argentinien), Asiens (Südkorea, Philippinen), Südeuropas in den 1970ern (Spanien) sowie Mittel- und Osteuropas seit Ende der 80er Jahre den Weg der Herrschaft des Volkes ein.

Ein historisches "Projekt"

Die Idee der Demokratie ist cirka 2500 Jahre alt. In ihrem Stadtstaat der "Polis" legten 500 v.Chr. die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles die gedanklichen Grundlagen der heutigen Demokratieideologie. Die Römer brachten das republikanische Element in die Ideengeschichte ein. Die römische Republik unterlag der Diktatur. Für fast 1700 Jahre verschwand die demokratische Idee unter dem Mantel der mittelalterlichen katholischen Kirche und dem Gedanken des von Gott gesandten Monarchen. 1689 fasste die Demokratie wieder Fuß in der Menschheitsgeschichte. Mit dem Sieg der "Glorius Revolution" hielt der Parlamentarismus Einzug in England. 100 Jahre später folgten die USA und Frankreich dem Gedanken der Volksherrschaft - wenn auch zu Beginn nur die Herrschaft des wohlhabenden Volkes gemeint war.

Warum Demokratie?

Bei allen negativen Aspekten, die mit der Umsetzung von Demokratie einher gehen, gilt sie uns - der westlichen Welt - heute als beste aller bekannten Staatsformen. Oder wie es Churchill 1947 ausdrückte: "democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time." Demokratie ist das kleinere Übel zu Nichtdemokratie. Sie schafft die Respektierung der Menschenwürde, sorgt verbunden mit der Marktwirtschaft für Handel und Wandel. Sie ermöglicht Stabilität nach innen und Frieden nach außen.

Sieg über den Kommunismus

Viele Nichtdemokratien mussten sich im 20. Jahrhundert der Leistungsfähigkeit der Demokratieideologie geschlagen geben. Die von der Sowjetunion ausgehende Ideologie des Kommunismus hatte dem schließlich nicht viel entgegen zusetzen. Der Reiz der ungehemmten Entfaltung des Menschen, der Reiz der Freiheit war am Ende so stark, dass der Kommunismus im gesamten Ostblock 1989 sang- und klanglos implodierte.
Trotz der großen Überraschung, die im Westen vorherrschte, begriff man schnell die Chance und ging dazu über, demokratische Regierungsformen und die Marktwirtschaft in den Staaten Ost- und Mitteleuropas aktiv zu fördern. Dies gelang größtenteils - was sich in der EU-Erweiterung 2004 und zum 1. Januar dieses Jahres manifestierte. Demokratie ist in Europa auf dem Vormarsch!
Einzig in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion gibt es noch Hindernisse: In der Ukraine geht die Institutionalisierung der Demokratie nicht voran. In Russland genießen Präsident und Staatsapparat so viel Macht, dass von wirklicher Volksherrschaft nicht die Rede sein kann. Einen krassen Fall stellt Weißrussland dar. Das Land hat bisher als einziger osteuropäischer Staat den Sprung auf den Zug der dritten Demokratisierungswelle verpasst und ist zur Zeit fest in der Hand eines Autokraten.

Die großen Demokratieexporteure: USA und EU

Bis 1989 dominierte die Realpolitik, die vor allem gegen das konkurrierende System des Kommunismus gerichtet war die Außenpolitik des Westens. Die USA und die EG/EU gewichteten bei ihrer Entwicklungshilfe für blockfreie Staaten, die Demokratieförderung nur nachrangig. Alles schien erlaubt im Kampf gegen den Bolschewismus. Das Ergebnis war, dass korrupte Diktaturen und Länder mit akuten Menschenrechtsverletzungen Hilfe erhielten, solange man damit den Kommunismus verhindern konnte. Der Politologe Nuschler bringt es auf den Nenner der "menschenrechtlichen Doppelstandards".

"Menschenrechtliche Doppelstandards"

Die EU hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Förderung von Demokratie und Menschenrechten fest als Ziele in ihre Agenda der Entwicklungspolitik aufgenommen. Die Anfänge in den 90ern schienen erfolgversprechend: mit der Demokratieförderung in Südafrika verschaffte sie sich ein stärkeres internationales Profil. In den ehemals sozialistischen Staaten Europas förderte man vor allem Marktreformen. Nach Maßgabe der Modernisierungstheorie ging man davon aus, dass mit Zunahme des Wohlstandes durch Einführung der Marktwirtschaft, das demokratische System sich sozusagen als "Nebeneffekt" etablieren würde. Man sollte damit, bis auf oben erwähnte Ausnahmen, zunächst Recht behalten. Die Aussicht auf Mitgliedschaft in der EU, nach Erfüllung der Kopenhagen-Kriterien, beschleunigte die Transition.
Doch bald schlich sich die Politik "menschenrechtlicher Doppelstandards" wieder ein. Politische, besonders aber ökonomische strategische Interessen, erhielten Vorrang vor einer konsistenten und kohärenten Entwicklungspolitik, bei der Menschenrechte und Demokratie eine entscheidende Rolle spielen sollten. Beispiele gibt es zuhauf: Kenia, Algerien, Nigeria, China. Begünstigt wurde dieser Rückschritt bzw. Widerspruch zum selbstauferlegten Idealismus durch den Trend, dass den nationalstaatlichen Ansätzen innerhalb der EU mehr Raum zugestanden wurde. Eine gewisse Aufgabenverteilung bildete sich heraus: Deutschland für Osteuropa, Spanien für Lateinamerika, Frankreich und Spanien für die Mittelmeerdrittländer, Frankreich für Afrika südlich der Sahara. Der Tatsache geschuldet, dass Nationalstaaten egoistische Akteure sind, bleiben bei einer solchen Aufteilung die nationalen Interessen natürlich nicht außen vor.

Der Fall Niger

Sehr deutlich offenbart sich diese Art neokolonialistischer in Niger. Frankreich pflegt klientelistische Beziehungen zu Afrika und verfolgt eine Politik der Absicherung strategischer und wirtschaftlicher Interessen. Deshalb reagiert es in vielen afrikanischen Konflikten parteiisch. So nahm Frankreich in Niger nach einem Militärputsch 1996 und anschließenden irregulären Präsidentschaftswahlen die Zivil- und Militärhilfe nach nur zwei Monaten wieder auf. Begründet wurde die uneingeschränkte Hilfe mit einer sonst drohenden Destabilisierung der Region. Ein potentieller Staatszerfall könne nicht nur einen Bürgerkrieg mit den einheimischen Tuareg auslösen, sondern auch Libyen würde dadurch zu viel Einfluss in der Region gewinnen. Frankreichs offensichtliches Hauptinteresse galt jedoch einer stabilen Regierung in Niger, von deren Uranlieferungen man zu 100 Prozent abhängig ist.

Das Beispiel Algerien

Die EU nahm kurz darauf ebenfalls ihre Hilfe wieder auf. Wie sehr ihre Mitgliedstaaten Stabilität und Sicherheit den Vorrang vor Menschenrechten und Demokratie geben, zeigt auch das Beispiel Algerien. Hier putschte 1991 das Militär nach dem regulären Wahlsieg der Islamic Salvation Front. Auch hier gab Frankreich innerhalb der EU den Ton an. Anstatt die finanzielle Unterstützung der algerischen Militär-Regierung als Antwort auf die Umkehrung der begonnenen demokratischen Transition und den Menschenrechtsverletzungen einzustellen, flossen sogar noch mehr Gelder. Die Bedenken Dänemarks, Deutschlands fanden keine Beachtung. Dänemark betonte, dass die fortgesetzte Unterstützung der Militärregierungen das falsche Signal für andere afrikanische Staaten und potentielle Diktatoren geben würde.

EU-Förderpolitik: demokratischer Idealismus versus nationale Interessen

Diese zwei Beispiel belegen die Uneinigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten in ihrer Außen- und Entwicklungspolitik. Ein komplexes Netz von Kompetenzen, zu viele "Player" und konkurrierende Interessen bilden die "bürokratische Politik" der EU. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die 1992 im Vertrag von Maastricht beschlossen wurde, scheint noch Utopie. Die Demokratieförderung, die von allen Mitgliedern der Union als Bestandteil dieser Politik angesehen wurde, kommt nicht zum Tragen. Denn obwohl die EU-Kommission die Kompetenz für Förderprogramme hat, unterhalten alle Mitgliedstaaten, bis auf Griechenland, trotzdem ihre eigenen bilateralen Entwicklungs- und Hilfsprogramme. Nationale Interessen stehen dem Idealismus der EU bei der Verbreitung von Demokratie im Weg.
Die Demokratieförderung der EU beschränkt sich zumeist auf die Betonung deren Wichtigkeit und auf symbolische Handlungen. Der Wille zum Handeln scheint beschränkt. Die EU ist mehr daran interessiert, das internationale Ansehen zu stärken, als in komplizierte Politik verwickelt zu werden. Demokratieförderung ist im Interessenkatalog der EU-Entwicklungspolitik nur eines von vielen Zielen. Unter dem Primat von Stabilität und Sicherheit wird dabei übersehen, dass gerade Demokratie die verlässlichen Strukturen in Staaten schafft, die beides auf lange Sicht gewährleisten können.
   






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