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Die Wiege der Demokratie
POLITIK | ZUR EUROPÄISCHEN IDENTITÄT (15.07.2005)
Von Jörg Rostek
Obwohl die Truman-Doktrin von den USA zunächst als Strategie zur Verteidigung der "freien Welt" konzipiert war, bedeutete sie für Griechenland eine nichtkoloniale Bevormundung und führte sogar bis hin zum Bau von Konzentrationslagern auf abgelegenen Inseln.

Die Truman-Doktrin war die Konsequenz der US-amerikanischen Strategieüberlegungen der damaligen Zeit. Der Blick des 33. Präsidenten der Vereinigten Staaten auf das Europa des Frühjahres 1946 war folgender: er sah unsere europäischen Vorfahren in einer katastrophale Ernährungssituation in großen Teilen des Kontinents und eine am Boden liegende Wirtschaft, deren Besserung nicht in Sicht war. Kommunistische Parteien bildeten entweder, wie in Frankreich oder Österreich, Teile der regierenden Koalition oder schienen wie in Italien, kurz vor dem Erwerb der Regierungsmacht. Und dann noch Griechenland. Griechenland, die Wiege der Demokratie war zur damaligen Zeit von einem Bürgerkrieg zwischen linken und rechten Kräften zerfetzt und wurde gleichzeitig von zahlreichen im Norden des Landes agierenden kommunistischen Guerillatruppen, die von Jugoslawien unterstützt wurden, bedroht. Deshalb rief die griechische Regierung die Welt um Hilfe an. Und es antworteten die USA.

Großbritannien, die frühere Kolonialmacht war nicht mehr in der Lage, aufgrund großer Probleme bei der Umschaltung von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft, Massenarbeitslosigkeit und Inflation, als Gegengewicht gegen die Sowjetunion in dieser Region aufzutreten. Die britische Regierung setzte eine Frist bis zum 31. März 1947. Danach würde sie die Hilfe einstellen. Eine fieberhafte politische Aktivität setzte ein. Die Truman Administration beschloss Griechenland und der Türkei finanziell zur Seite zu stehen mit dem Ziel, sie politisch zu stabilisieren und vor der SU zu bewahren.
Um sich aber dabei nicht dem Vorwurf der Intervention auszusetzen, verlangte das US-amerikanische Außenministerium einen offiziellen Antrag der griechischen Regierung auf finanzielle Hilfe. Diese wurde in Washington verfasst und nach Athen zur Unterzeichnung geschickt. Die ökonomischen Verwüstungen Griechenlands durch den 2. WK sollten für den Antrag die Ursache sein. Ebenso wurde in der US-amerikanischen Öffentlichkeit eine Aufklärungskampagne gestartet.

Freiheit oder Sowjetunion
Die Bezeichnung Truman-Doktrin kam von den US-amerikanischen Medien. In seiner Rede vor dem 80. US-amerikanischen Kongress am 12. März 1947 sprach Präsident Harry S. Truman von der Notwendigkeit, allen Nationen die Möglichkeit zu bieten, sich zwischen zweien "alternative way of life" zu entscheiden. Aber, "allzu oft ist es keine freie Wahl", so sagte er. Die eine Alternative sei das Leben in Freiheit, die politische Entwicklung auf der Basis des freien Willens der Mehrheit. Die andere Alternative sei die Unterwerfung unter den Willen der Minderheit, meistens durch Oppression und Gewalt. Neben dieser idealistischen Stellungnahme überzeugte auch der Vergleich zwischen der in der Rede erbetenen finanziellen und militärischen Hilfe in Höhe von 400 Millionen US-Dollar für Griechenland und die Türkei mit den Kosten des 2. WK, das waren $ 341 Milliarden. Truman führte in seiner Rede den Abgeordneten des Kongresses vor Augen, dass die Krisen in Griechenland und der Türkei, ein Hinweis sei für eine Machtverschiebung, die die freie Welt benachteilige. Dies sei ein Ergebnis des Krieges, deshalb seien diese Staaten anfällig für totalitäre Ideen und Systeme, und deshalb zu schützen. Hatten, so Truman, die USA im 2. Weltkrieg nicht für die Freiheit gekämpft und war diese nicht erneut bedroht? Die SU fand nirgendwo in der Rede selbst Erwähnung. Man formulierte sehr vorsichtig. Truman hatte den Vorschlag seiner Berater, das Wort "totalitarianism" durch "communism" zu ersetzten, abgelehnt. Er sprach auch nicht von einer globalen Konfrontation zwischen Ost und West. Truman wollte keine plumpe antikommunistische Propaganda, sondern eine wirkliche Alternative zum sowjetischen Staatsmodell bieten.

Die Republikaner kontrollierten seit den Wahlen 1946 beide Häuser des Kongresses. Truman selbst war Demokrat. Die Reaktion der Kongressabgeordneten war gelinde gesagt nicht gerade enthusiastisch. Mehrere prominente Senatoren und Abgeordnete erhoben Einwende. War die griechische Regierung nicht selbst autoritär? Ist das keine Aufgabe für die Vereinten Nationen? Einige Abgeordneten empfanden Mr. Truman als provokativ und kriegerisch. Die Presse, besonders die liberale, war dagegen. Aus Übersee kam heftige Kritik. Außer den kommunistischen Staaten schlossen sich mehrere sozialistische Parteien und die Regierungen von Schweden, Dänemark, Norwegen und der Schweiz den Kritikern an. In Griechenland verschärfte sich die Polarisierung umso mehr. Moskau kommentierte die Entwicklung kaum. Dennoch wurde das Public Law 75 am 22. Mai 1947 unterzeichnet und Truman bekam, was er wollte. Am 20. Juni 1947 wurde das Agreement of Greek Aid unterzeichnet. Ein bilateraler Vertrag zwischen den USA und Griechenland, der die Details der Hilfszusagen präzisierte, dass heißt Rechte und Verpflichtungen.

Die USA erhofften sich dadurch zwei Vorteile: sie hatten sich moralisch von den Briten abgehoben und den Präzedenzfall geschaffen, dass eine demokratische Regierung aus freiem Willen eine Einstellung gegen die aggressive Haltung autoritärer Staaten einnahm. Das Handeln Griechenlands entsprach der US-Botschaft der Eindämmungs-Politik, deren Ziel es war, die Expansionen der Sowjetunion aufzuhalten. Jedoch entsprachen die Formulierungen des bilateralen Vertrages den Zügen klassischer Großmachtpolitik. Sie erleichterten die Steuerung der griechischen Regierungsgeschäfte durch die US-amerikanische Diplomatie. Zahlreiche außerordentliche und parlamentarische Dekrete wurden erlassen und verabschiedet, um so hohe Regierungsämter durch US-amerikanisches Fachpersonal besetzten zu können. Ein komplexes Netz bilateraler Abkommen und griechischer Gesetze entstand und setzte die US-amerikanischen Kompetenzen fest. So konnten die USA den Zufluss der Gelder überwachen und auf Herz und Nieren prüfen, Projekte ändern, vereiteln oder diktieren. Großbritannien half mit seinen Erfahrungen, die es mit Griechenland gesammelt hatte und sandte Truppen in rebellenfreie Zonen zwecks Stabilisierung. Ein Eingreifen US-amerikanischer Truppen war zunächst unnötig. Ein imperialistisches Image wollten die USA sich nicht leisten. Die Berichte der internationalen Presse, und auch CBS- und BBC- Korrespondenten bezeichneten die griechische Regierung als "Marionettenkabinette" und das Athener Regime als "Scheindemokratie".

Der Weg in die Eskalation
Einige Wochen nach der Unterzeichnung des Public Law 75 traf die "American Mission for Aid to Greece", kurz: AMAG, in Griechenland ein. Der ehemalige Republikaner Dwight P. Griswold stand an der Spitze der Mission, die in eine ökonomische und eine militärische Einrichtung unterteilt war. Der militärische Flügel, die Joint United States Military Aid Group Greece (JUSMAGG) war der zentralen AMAG-Verwaltung unterstellt. Sie versorgte Griechenland mit militärischem Material, das die griechische Armee verstärken und so die politische Ordnung wiederherstellen sollte. Das war ein begrenztes militärisches Engagement der USA in Griechenland, das vom Kongress akzeptiert wurde. Ziel war es ja eher ökonomisch und nicht militärisch zu intervenieren. Aber trotz der Einführung liberaler(er) Kabinette durch die USA war die Demokratisierung Griechenlands kaum effizient. Die alten griechischen Parteien waren aufgrund ihrer zehn Jahre langen parlamentarischen Untätigkeit diskreditiert. Die Truman-Administration erwartete, dass eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes und die Stabilisierung der politischen Ordnung bald zur Isolierung der aufständischen Kommunisten führen würden. Deren Zerschlagung, so glaubte man, könne danach durch die griechische Nationalarmee selbst erfolgen.

Nach einiger Zeit und militärischen Misserfolgen der griechischen Armee stellte die US-Regierung diese Einstellung jedoch in Frage. Die Beendigung des Bürgerkrieges innerhalb weniger Monate stellte sich als utopisch heraus. Man beschloss eine "starke Aktion" und als Markos Vafiadis, der Rebellenführer, am Heiligen Abend 1947 die Bildung einer Provisorischen Regierung in Nordgriechenland verkündete, eskalierte die Situation.

Die Truman-Regierung fürchtete eine Anerkennung Vafiadis durch sozialistische Staaten und beschloss eine Reihe präventiver Maßnahmen. Trotz Warnungen von Albanien, Bulgarien und Jugoslawien verstärkte man das griechische Militär erheblich.

Anfang 1948 beschloss die US-Regierung ein Abrücken von ihrer bisherigen Griechenlandpolitik. Nun setzte die AMAG alles daran, die Guerilla zu einer Kapitulation zu zwingen. Obwohl Stalin im Laufe des Jahres 1948 bekannte, die Vafiadis-Regierung nicht anerkennen zu wollen, war der Plan der USA nun die Beendigung des Bürgerkrieges "by the crushing defeat of the bandit forces and not through appeasement or conciliation".

Im Dezember 1947 wurde eine neue Organisation, die Joint United States Military Advisory and Planning Group (JUSMAPG) unter General James Van Fleet gegründet und der AMAG mit dem Ziel angegliedert, die griechischen Offiziere der obersten Ränge bei der Vorbereitung militärischer Organisationen zu beraten und eine kontinuierliche Ausbildung der griechischen Armee bei der Durchführung des Krieges gegen die kommunistische Guerillia zu schaffen. Am 30. Juni 1948 übernahm der Botschafter Henry F. Grady die Führung der AMAG und löste Griswold ab.

Van Fleet gelang es zwischen 1947 und Frühjahr 1948, das griechische Militär von 161.000 auf 263.000 Mann zu erhöhen. Die Angriffe gegen die Guerilla wurden intensiviert, die Friedensvorschläge des Marko-Regimes im Norden vom Sommer 1948 ignoriert. Washington wollte keine "zweite Tschechoslowakei".

Ein düsteres Kapitel griechischer Geschichte
Eine große Anzahl nordgriechischer Dörfer wurden evakuiert, um den Rebellen Versorgungs- und Rekrutierungsmöglichkeiten zu nehmen. Die USA setzten einen Feldmarschall ein mit Namen General Alexandros Papagos. Zahlreiche autoritäre Maßnahmen der alten Regierung wurden wieder eingeführt. Zuerst verbot man die kommunistische KKE-Partei durch das Notstandsgesetz 509. Dieses Notstandsgesetz sah die Todesstrafe nicht nur für Aktionen vor, die gegen die "bestehende politische und soziale Ordnung" gerichtet waren, sondern auch für jeglichen Versuch, Ideen zu propagieren, die den Sturz der Athener Regierung verursachen könnten. Kommunisten wurden als "Feinde des Landes" bezeichnet. Vom März 1946 bis zum April 1949 wurden nach "offiziellen" Angaben der US-Botschaft 5.000 Menschen hingerichtet. Die meisten Todesurteile wurden von außerordentlichen Militärtribunalen verhängt. Am Ende des Bürgerkrieges waren insgesamt 32.500 frühere Rebellen und Linkssympathisanten wegen wirklicher und vermuteten Subversionsaktivitäten und 18.000 Mitglieder der KKE wegen kriegsbedingter Verbrechen inhaftiert.

Zahlreiche Opfer der Repressionsmaßnahmen des Bürgerkrieges wurden in so genannte "Umerziehungslager" deportiert. Die Praxis einer brutalen Bestrafung oft grundlos festgenommener und allgemein verurteilter Menschen bildete bis in die 50er Jahre hinein eines der düstersten Kapitel der griechischen Geschichte. Die Umerziehungslager waren in Wahrheit Konzentrationslager für politische Gefangene auf entlegenen griechischen Inseln, wie zum Beispiel Makronissos, Gavdos, Joura, Agios Efstratios. Sie waren regelmäßiger Folter, Zwangsarbeit und täglicher politischen Propaganda ausgesetzt, die sie "umerziehen" sollten. War die "Umerziehung" erfolgreich, wurden die "Gesunden" als Ausbilder oder Aufseher im Lager angestellt oder in das nationale Heer integriert. Im Konzentrationslager auf Makronissos waren allein 15.000 Menschen interniert. Die Lager wurden von Militärs verwaltet, aber erheblich von US-amerikanischer Seite unterstützt. Deren genaue Funktion wurde versucht zu vertuschen. Die Folge der Existenz der Konzentrationslager und die Beteiligung der USA an ihnen hatte verständlicher Weise eine negative Langzeitwirkung auf die Bevölkerung. Zahlreiche linksorientierte oder einfach liberale Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler verarbeiteten die Lagererlebnisse in ihren Werken. Sie schufen eine lange einflussreiche Tradition von Antiamerikanismus und Antikonservatismus, sogar bis heute. Der griechische Bürgerkrieg endete im September 1949, als die Guerilla kapitulierte. Er forderte ca. 600.000 Tote.

Truman-Doktrin ein Teil europäischer Identität
Die Truman-Doktrin läutete aus der Perspektive der USA einen Feldzug zur Rettung der Demokratie ein und dieser sollte in Griechenland beginnen. Bilaterale Wirtschaftshilfe, Sanktionen, die Liberalisierung des Handels und die Währungspolitik sollten eingesetzt werden, um ein Anwachsen des sowjetischen Einflusses zu stoppen. Die Truman-Doktrin-Rede sollte für die SU, aber auch für den Westen ein Zeichen der Entschlossenheit sein. Die Truman-Doktrin revolutionierte die US-Außenpolitik, indem sie das Signal für die radikale Revision des traditionellen US-amerikanischen Isolationismus gab und die USA zum Kern des so genannten westlichen Machtblocks machte.

Die Truman-Doktrin lenkte die griechische Geschichte in eine völlig neue Bahn. Die Folge der Existenz der Konzentrationslager, an denen die USA beteiligt waren, hatte verständlicher Weise eine negative Langzeitwirkung auf die Bevölkerung. Dennoch ermöglichte die Truman-Doktrin, trotz des Rückfalls in diktatorische Maßnahmen und deren Folgen, ebenfalls den ersten Schritt Griechenlands zu einer intensiven Westanbindung, Modernisierung und weiteren Europäisierung.
   





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