Heinrich hat früher in Kanada als Ingenieur Brücken gebaut, Dieter als Fernfahrer auf einem 30-Tonner Tiefkühlkost durch Deutschland kutschiert und Thorsten hat an der Universität Physik studiert. Dann sprang ihr Leben plötzlich aus der Spur und am Ende standen sie auf der Straße.
"Meine Frau hat sich scheiden lassen, da habe ich angefangen zu trinken", erzählt Heinrich, der wie alle anderen anonym bleiben will. Enttäuscht hat er sich ins Flugzeug gesetzt und ist nach Deutschland zurückgekehrt. Aber er hat sich nicht mehr zurechtgefunden. Seitdem zieht er durch die Welt: Schottland, Österreich, Holland, Israel. Er lebt in Notunterkünften, manchmal, wenn es draußen warm ist, schläft er auf der Straße. Für seinen Lebensunterhalt sorgt Heinrich selbst, er verkauft Straßenzeitungen. In Glasgow die Big Issue, in Salzburg den Asfalter, in Den Haag die Straatnieuws. Ungefähr die Hälfte vom Erlös darf er behalten, damit kommt er ganz gut über die Runden. Alkohol und Scheidung - eins von beiden dieser Kombination gibt es in vielen Biografien von Wohnungslosen. Die einen haben erst angefangen zu trinken und sind fürchterlich abgestürzt. Die Familie hat es schließlich mit ihnen nicht mehr ausgehalten und hat sie irgendwann vor die Tür gesetzt. Oder andersrum. Die Frau hatte einen Neuen, den Schmerz darüber haben sie mit Alkohol betäubt. Manchmal bringt auch der Tod der Frau, der Tochter, des Sohns einen Menschen aus dem Gleichgewicht.
Dieter hat einfach nur schnell gelebt und viel getrunken, die Nacht zum Tag gemacht. "Irgendwann war der Führerschein weg", sagt Dieter, der Fernfahrer. Der Boss hat ihn rausgeschmissen. Ohne Job konnte er Miete und Schnaps nicht mehr bezahlen und eines Tages lag der Räumungsbescheid im Postkasten. Das Amt hat die Möbel abgeholt und Dieter war das, von dem er nie gedacht hätte, es jemals zu werden - obdachlos. Thorsten wiederum hat während seines Studiums psychische Probleme bekommen, eine Psychose. Gegen seine Angst hat er versucht mit Alkohol zu kämpfen, aber dadurch ist alles nur noch schlimmer geworden. Das Leben glitt ihm aus der Hand, er kümmerte sich um nichts mehr. Am Ende stand er wie die anderen auf der Straße, schlief mal hier, mal dort.
Wohnungslosigkeit kann jeden treffen, unabhängig vom Beruf und gesellschaftlichem Status, ganz zu schweigen von der Intelligenz. Es gibt Leute auf der Straße, die fließend sieben Sprachen sprechen. Manche Obdachlose kommen viel rum. In der Szene werden diese Reisenden Berber genannt. Die meisten aber bleiben jahrelang am selben Ort. Dort wissen sie, wo es für wenig Geld ein Mittagessen gibt, wo sie umsonst ihre Kleidung waschen können und wo sich die Freunde treffen. "Ich habe anderthalb Jahre im Nachtasyl gewohnt", erinnert sich Dieter. "Ich war ziemlich engstirnig, wollte keine Hilfe annehmen und einfach nicht wahrhaben, dass ich durchhänge." Besonders Männer warten zu lange bis sie eine Stelle aufsuchen, die ihnen beisteht. Sie schauen zu, wie die Schulden immer mehr werden, das Alkoholproblem immer größer, das Leben immer konfuser. Frauen sind da oft anders, ein Grund warum es weit weniger weibliche Obdachlose gibt.
Heinrich, Thorsten und Dieter - die drei Straßenmagazin-Verkäufer zeigen, wie unterschiedlich Obdachlosigkeit verlaufen kann. Heinrich, der Globetrotter, wird wohl nie wieder ein normales Leben führen, er hat seinen Platz in der Gesellschaft verloren und lebt in einer eigenen Welt. Thorsten, der mal Physiker werden wollte, lebt heute in einer Wohnung. Mit Geld kann er immer noch schlecht umgehen, deshalb hat er einen gesetzlichen Betreuer, der ihm die Sozialhilfe einteilt. Hin und wieder muss er in die Psychiatrie um seine Psychose behandeln zu lassen.
Dieter, der Fernfahrer, hat die Kurve fast gekriegt. Er verkauft regelmäßig in der Innenstadt die Münsteraner Obdachlosenzeitung draußen! und kann sich von den Einnahmen eine Wohnung leisten. "Am Anfang war das eine große Überwindung", sagt er. Wer stellt sich schon gerne mit einer Zeitung in die Fußgängerzone und gibt zu arm zu sein? Dieter hat die Ohren auf Durchzug gestellt und die dummen Sprüche der Passanten überhört. Heute ist er stolz, dass er sich selbst aus dem Sumpf gezogen hat. Den Führerschein will er demnächst neu machen und hofft dann auf eine feste Arbeit. "Hinterher ist man immer schlauer", sagt er, wenn er an die schlimme Zeit in seinem Leben denkt. |