Vor dem Extra
GESELLSCHAFT | HALT GEMACHT (15.02.2008)
Von Olaf Götze | |
Vor mir steht Ralf. Er ist ein Hüne, auch wenn sein Kopf immer etwas geduckt ist, als ob er unter einer Tür herginge. Gepflegt sieht er aus, Sportschuhe, eine frische Jeans und die Jacke in dezentem beige, dazu ein Schal in Brauntönen. Ralf ist frisch rasiert, er trägt Glatze. Sein Gesicht wird durch ein freundliches Lächeln ergänzt. Wir stehen vor dem geschlossenen Supermarkt. Der hat noch nicht lange zu, aber es wirkt so als ob, denn draußen ist es dunkel, es regnet und der Parkplatz ist bis auf wenige über Nacht hier abgestellte Wagen verwaist. Ich habe die beiden, Katja steht ihm gegenüber zufällig getroffen. Ralfs Sätze sind abgehakt. Wenn Ralf seine Lebensphilosophie weitergeben will, dann sind das keine neunmal klugen Sprüche. Dann muss man genau hinhören, sonst versteht man die Zusammenhänge nicht. Ralf hat nur einen Hauptschulabschluss. 36 Jahre ist er alt. Es geht um das, was er im Leben gelernt hat. Das kannst du dir nicht vorstellen, wie sehr er gerne mal wieder einen Bruch machen würde. Einen letzten Coup und dann ab und weg von hier. Das sagt er nicht ohne Stolz, denn er macht es nicht. Die auf dem Amt glauben nicht, dass er nur mit Freunden auf der Straße abhängt. So wie jetzt hier. Das kann man sich nicht vorstellen. Mal hier, mal da, ist Ralf im Moment. Doch wenn man sein Outfit anschaut dann dürfte er auch eine Wohnung finden. Doch mit HartzIV ist das heute schwer. Irgendwomit habe ich mir seinen Respekt verdient, bei der letzten Begegnung. Weil ich genau zuhöre. Manchmal nennt er mich „Alter“ und entschuldigt sich sofort, mich so hart anzugehen. Dieser Riesenkerl. Maurer hat er gelernt und dann ist er selbst hinter den Mauern gelandet. Das ist schon eine Weile her. Er hat einen neunjährigen Sohn, den er nicht sehen darf. Hinter manchem, was heute nicht gesagt wird, stecken noch weitere Geschichten. Er möchte eigentlich kämpfen. Träumt davon den Einzelkämpfer zu machen. Auch mit Naziparolen hat er es schon versucht. Aber das war auch nicht erwünscht. Es macht ihm Mühe, dass er seine Meinung nicht frei raus sagen darf. Ein Trinker sei er, sagt er von sich. Katja würgt ihn schon mal ab. Die alten Geschichten. Das Gespräch hat nichts mit dem dreier Penner zu tun. Auch wenn Katja wirres Zeug redet. Sie hat studiert. Erst eine Apothekerlehre, dann Soziale Arbeit mit Diplom. Note 1,7. Sie wollte die Welt verändern. Heute sieht sie weit weniger gut aus als Ralf. Sie hat auch etwas mehr getrunken. Ihren Termin bei Gericht hat sie hinter sich. Zum wiederholten Mal. Beleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. 700 Euro muss sie zahlen. Sie hofft die Strafe in Sozialstunden abarbeiten zu können. Dass die Polizisten sie brutalst möglich behandelt haben, das hakt sie mit einer Handbewegung ab. Sie trägt ihren Mantel, ihre Hängetasche. Wenn es ihr gut geht, sieht sie alternativ, gemütlich aus. Ihre Haare sind nicht gewaschen, aber ihre Worte sprudeln. Im Gegensatz zu denen von Ralf fließen sie aus ihr heraus. Vergiss das Atmen nicht, Atmen nicht vergessen. Ihre Philosophie kommt aus dem Hier und Jetzt. Auf der Arbeit ist sie damit nie weit gekommen. Dort halten andere die Fäden in der Hand. Soziale Arbeit, diesen Beruf hat sie zum Hobby gemacht, neben HartzIV. Zusammen sind die beiden ein gutes Team. Nur manchmal, wenn sie beide gleichzeitig reden, verstehe ich kein Wort mehr. Vor zwei Wochen bin ich auch verhaftet worden. Auf einer Demonstration gegen Studiengebühren in Frankfurt, schon wieder. Meine Neugier war groß genug und dann saß ich doch im Kessel. 208 Festnahmen in der Fußgängerzone. Verdacht auf Landfriedensbruch. Wir wussten, dass wir Roland Koch keinen Gefallen tun würden mit dieser Demo. Doch die Antwort war nervig. Acht Stunden auf dem Revier und einige die neu waren oder völlig unbeteiligt, haben es nicht so locker weggesteckt. Das erzähle ich heute nicht, sondern ein anderes Mal. Mit dem System haben wir alle zu kämpfen. Heute geht es um etwas anderes. Ich soll es aufschreiben. Das, was hier vor dem Extra-Markt passiert, unsere Geschichte muss in die Öffentlichkeit. Dafür bin ich zuständig. Ralf hält davon nichts. Du schreibst kein Wort. Es geht ihm darum, die Kontrolle zu behalten. Doch da überschätzen sie beide diese Worte. |