"Wer weiter liest, wird erschossen!"
KULTUR | FÜR DIE FREIHEIT DES WORTES (15.12.2005)
Von Jörg Rostek | |
Was haben Hoffmann von Fallersleben, Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Gottlieb Fichte, Gotthold Ephraim Lessing, die Gebrüder Grimm, Friedrich Ludwig Jahn und Albert Einstein gemeinsam? Zum einen waren sie große Geister, und zum anderen unterlagen alle einem von einer "höheren" Instanz ausgesprochenen Berufsverbot, das, durch die Zensur flankiert, eine Ausbreitung ihrer Ideen zu verhindern suchte. Selbst Leibnitz, Karl Marx, Ludwig Feuerbach, Moses Mendelssohn, Sigmund Freud und Kant waren gezwungen, sich der Zensur zu beugen und anzupassen. Berufsverbot, ein roter Faden Berufsverbot und Zensur ziehen sich wie ein roter, schmieriger Faden durch die deutsche Geschichte, so dass man behaupten könnte, sie seien deutsche Tradition. Man denke allein an die "Weimarer Republik". Eine Zeit, in der sich unzählige freie Geister selbst zensierten. So schrieb Axel Eggebrecht in der Weltbühne: "Man legt die Hände in den Schoß und wartet auf Hitler." Die Konsequenz war die nationalsozialistische Herrschaft, die die menschliche Freiheit auf beispiellose Weise vergewaltigte. Oder man denke an die Zensuren in der ehemaligen DDR. Selbst in der BRD gibt es in einer Zeit, in der die Werbebranche mit Slogans wie "Die Gedanken sind frei" und der "Freiheit des Wortes" wirbt, wieder ein Berufsverbot. Ein Linker darf nicht Lehrer werden, weil er ein Linker ist, so sah es Annette Schavan, Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg. Michael Csaszkóczy, damals 34 Jahre alt und parteilos, Lehrer für Deutsch, Geschichte und Kunst mit guten und sehr guten Noten in beiden Staatsexamen, beliebt bei Schülern und Kollegen, Mitglied in der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg", wurde mit dem Argument, er gefährde die freiheitlich-demokratische Grundordnung seiner Stellung enthoben. Laut Bundesverfassungsgericht ist verfassungsfeindlich, wer: sich gegen Menschenrechte, Volkssouveränität und Gewaltenteilung engagiert. Alles Punkte, die auf Herrn Csaszkóczy niemals zutrafen. Erst lehnte Baden-Württemberg die Einstellung von Michael Csaszkóczy als Lehrer ab. Danach auch das Bundesland Hessen und zwar zehn Minuten vor Beginn seiner ersten Lehrerkonferenz. Nun muss sich das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem Fall befassen und lässt sich damit Zeit, voraussichtlich bis Anfang 2006. Herr Csaszkóczy lebt heute vom Arbeitslosengeld II. Die Zeit (2. September 2004) widmete diesem Ereignis einen Artikel mit dem Titel "Zu links für das Lehramt" und erinnerte an die Zensuren der 80er Jahre. Zensur, weltweit Doch nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wurden und werden noch heute, besonders in autoritären Regimen, aber auch in "modernen" Demokratien, Berufsverbote und Zensuren angeordnet: Raúl Gibb Guerrero, berichtete über ein von Mexiko operierendes Kartell, tot. Alfredo Mota, recherchierte im Drogenmillieu, verschollen. Gonzalves Rocha, von einem vorbeifahrenden Motorrad erschossen. Melato Barth, Verleger, überlebte am 31. März 2005 mit knapper Not einen bewaffneten Überfall... Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig. Ein Blick in den "Writers in Prison"-Bericht 2005 des P.E.N.-Zentrums, eine Organisation, die sich schon seit 1960 für die Freiheit des Wortes einsetzt, genügt, um festzustellen, dass wir noch lange Zeit von einer zensurfreien Welt entfernt sein werden. Dort liest man: "Leider überwiegen jedoch immer noch die schlechten Nachrichten. Die Anti-Terrorgesetzgebung und -praxis im Westen und anderswo hat gerade in totalitären Ländern den Vorwand für weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Verfolgung kritischer Stimmen geliefert. Internetautoren in China, Vietnam, Iran, Tunesien und vielen anderen Ländern werden zunehmend ins Visier genommen und mit langjähriger Haft bestraft, während große westliche Software-Unternehmen gerade China mit der neuesten Filter-Technologie beliefern oder die schmutzige Arbeit selbst übernehmen. Nicht nur in Afrika nehmen Verleumdungsklagen gegen unsere Kolleginnen und Kollegen zu. Die Verantwortlichen in Regierung und Verwaltung dürfen nicht in Frage gestellt werden, sonst wird der gesamte Machtapparat in Bewegung gesetzt." Weitere Staaten, die dort Erwähnung finden sind: Myanmar, Kuba, Mexiko, Brasilien, Malediven, Nigeria. Und das sind nicht alle. Auf der "Rangliste der Pressefreiheit 2005" der Vereinigung "Reporter ohne Grenzen" konkurriert Deutschland gegenwärtig nach Trinidad und Tobago mit Griechenland und Belgien um Platz 18. Die Staaten Iran, Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea sind laut dieser Liste die größten Feinde der Pressefreiheit. |