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Eingebettete Journalisten für Gute-Nacht-Geschichten
POLITIK | KRIEGSBERICHTERSTATTUNG (15.08.2005)
Von Michael Billig
Im Irakkrieg 2003 haben US-amerikanische Medien sich eine Selbstkontrolle auferlegt. Auch internationale Nachrichten-Agenturen unterwarfen sich der Propaganda der US-amerikanischen Regierung. Der eingebettete Journalist erlangte Anerkennung.

Michael Bllig

Sebastian Gräve von der Kunstakademie in Enschede (NL) stellt in der Serie "Dschungelkampf" Szenen aus einem Krieg nach, wie wir sie aus der Presse und dem Fernsehen kennen. Er greift unsere Sehgewohnheiten auf und spielt mit ihnen. (c) Michael Bllig

So mancher Kritiker des Irak-Feldzuges prophezeite den USA ihr zweites Vietnam. Es heißt, den Krieg in Vietnam haben die US-Amerikaner vor allem wegen der zunehmenden Proteste in der Heimat verloren. Und das stünde ihnen wieder bevor, wenn die ersten tausend GIs gefallen sind. Selten wird erwähnt, dass die Medien damals eine entscheidende Rolle einnahmen. Sie berichteten unabhängig und machten die Weltöffentlichkeit auf den Horror aufmerksam. 30 Jahre später rückten US-amerikanische und britische Soldaten im Irak ein. Im Gepäck hatten sie die Journalisten, eingebettet. Wenn jemand aus der Vergangenheit gelernt hatte, dann waren es die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens.

Das Verfahren versprach den Journalisten im Schutze von Soldaten größere Sicherheit. Immerhin stellten die Streitkräfte auch die Logistik. Das Ganze ließ LIVE-Bilder vom Krieg und hohe Einschaltquoten erwarten. Stundenlang konnte der Fernsehzuschauer den Himmel über Bagdad beobachten. Informationen zogen die eingebetteten Journalisten überwiegend aus von PR-Strategen des Militärs geplanten Pressekonferenzen. Wenn die Wahrheit mitunter die öffentliche Meinung gegen den Einsatz im Irak aufbringen und die Moral der Truppe gefährden konnte, kam sie da nicht zur Sprache. Ein eingebetteter Journalist hinterfragte auch nicht. Die meisten sympathisierten mit ihren Kameraden und feierten einen sauberen Präzisionskrieg. Wer tage- oder wochenlang mit einer Einheit durch den Irak zog und drohte, in den gleichen Wüstensand beißen zu müssen, konnte kein unabhängiger Berichterstatter sein. Journalisten, die sich unsicher bezüglich ihrer journalistischen Pflichten waren, denn die Recherche blieb auf der Strecke, ließen sich gern mit der Rechtfertigung der Streitkräfte beruhigen, alles weitere unterliege militärischer Geheimhaltung.

Wenigstens begannen in Europa sich die Medien mit sich selbst und mit ihren Kollegen in Übersee zu befassen. Die deutsche überregionale Presse glaubte, eine freiwillige Selbstzensur US-amerikanischer Zeitungen ausgemacht zu haben. ARD und ZDF äußerten Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Quellen. Was aber die Nachrichten über den Krieg betraf, waren sie auch auf eingebettete Journalisten angewiesen. Freie Journalisten kamen nur eingeschränkt an Informationen. Die Medien haben sich vollends manipulieren, mit gezielter Streuung von (Fehl)Informationen durch politische und militärische PR auch instrumentalisieren lassen. Schon im ersten Irakkrieg 1990 hatte der US-Nachrichtenkanal CNN die Exklusivrechte an audiovisuellen Inhalten, die ausschließlich der Kontrolle der Regierung der Vereinigten Staaten unterlagen. Damit waren die gesamten international vermittelten Fernsehbilder von einem Sender. Hauptsache alle bekamen noch ihr Stück vom Kuchen und konnten die Zuschauer mit Bildern vom weltgrößten Medienereignis unterhalten.

"Die Live-Berichterstattung im Fernsehen verdeutlicht dieses Problem des Irakkriegs besonders. Die eingebetteten Journalisten zeigten das, was ihnen die Streitkräfte zeigten. Sie kommentierten ein Ereignis, während sie es selbst beobachteten - auf Kosten der Recherche. Das Hintergrundwissen wurde den Rezipienten vorenthalten. Ob sie es vermissten, ist eine andere Frage", schreibt Victoria Strachwitz in ihrer Magister-Arbeit. Sie verdeutlicht, dass das, was heute embedded journalism genannt wird, sich die britische Regierung unter Margarete Thatcher bereits 1982 im Falkland-Krieg zu Nutze machte. Strachwitz erörtert das Wechselspiel von Streitkräften, Politik und Medien zu dieser Zeit in Großbritannien und vergleicht es mit dem Irak-Krieg 2003. Die Arbeit ist jüngst im Deutschen Universitäts-Verlag erschienen und heißt "Der Falklandkrieg als Medienevent". Sie war dem Autor Inspiration für diesen Text.

Patriotismus und kommerzielle Interessen hatten die Medien gefügig gemacht. Sie schlossen sich vorbehaltlos der Propaganda der US-Regierung an: das Regime Saddam Husseins sei die Inkarnation des Bösen, ein Embargo sei ineffektiv und Verhandlungen nützten nichts, die Massenvernichtungswaffen des Irak würden den Tod und die eigenen Waffen den Frieden bringen, vor allem vertrete man überall in der Welt höchste moralische Werte und kämpfe für Demokratie. Zu den Kriegsvorbereitungen gehörte eine professionell organisierte PR-Kampagne, um die Medienvertreter auf Linie zu bringen. Es war soweit gekommen, dass, wer in den USA kritisch berichtete, riskierte seine Arbeitsstelle zu verlieren.

Letztlich ist es dem arabischen Sender Al Jazira zu verdanken, dass das Gleichgewicht in der Kriegsberichterstattung über die Geschehnisse im Irak wieder hergestellt wurde. Al Jazira stellte ein Gegengewicht zu CNN und FOX dar und eröffnete dem Fernsehzuschauer noch eine andere Perspektive. Der Sender zeigte keine Sattelitenaufnahmen von möglichen Waffenfabriken, sondern Bilder von der Stelle, wo die Raketen und Bomben einschlugen und welchen Schaden sie anrichteten. Gefangene, Verletzte und Tote tauchten jetzt auch im deutschen Fernsehen auf und man hatte das Gefühl, der Wahrheit ein Stück näher zu sein.

Weiterführende Links
http://www.duv.deDeutscher Universitäts-Verlag
   





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